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Währenddessen… (KW 49)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Niklas: Kintu war nicht ganz das, was ich erwartet hatte. An Stelle eines fantastischen Historienromans, las ich über eine Familie im Uganda des Jahres 2004. Sie versucht, einen uralten Fluch zu überwinden, den ein Vorfahre einst über sie brachte. In fünf Abschnitten beschreibt Autorin Jennifer Nansubuga Makumbi die Schicksale von fünf Nachfahren des ersten Kintus. Alle plagen verschiedene psychische Probleme. Weder Geld noch der Wechsel zum christlichen Glauben können die alten Wunde heilen. Nur gemeinsam gelingt es, ihren Seelen Frieden zu schenken.

Ich habe leider noch nicht viele afrikanische Romane gelesen, aber es wirkt sehr erfrischend, dass in Kintu der Kolonialismus so gut wie keine Rolle spielt. Das soll nicht bedeuten, dass Makumbi ihn komplett ausklammert. Sieht man von einem fanatisch missionierenden Prediger ab, lesen sich die Figuren wie Menschen, die frei von aufgezwungener Kultur leben. Mit kleinen Details erweckt die Autorin Uganda: Sei es der Besuch beim Doktor oder Gespräche beim Familiendinner. Die Figuren lösen Probleme auf ihre eigene Art. Das ist so mundan, dass es schon richtige Literatur sein muss, da ich trotz der gewöhnlichen Prämisse wissen möchte, wie es weitergeht.

Persönlich hätte ich mir mehr Abschnitte über den ersten Kintu im achtzehnten Jahrhundert gewünscht, der die interessanteste Figur des Buches ist. Er befindet sich in einer Position der Macht, die es vorsieht, dass er in einer Vielehe leben muss. Diese Tatsache erweist sich für ihn als enorm anstrengend. Er muss nicht nur allen Frauen Respekt erweisen, sondern auch Kindern den Vorzug geben, die er nicht mit seiner liebsten Frau gezeugt hat. Das ganze Buch könnte diese Situation zur Haupthandlung nehmen. Trotzdem bleibt Kintu ein interessanter Roman, selbst wenn der Stil an manchen Stellen etwas merkwürdig ist. Er erinnert mich ein wenig an ein Gespräch auf Englisch unter Deutschen. Zumindest hat Kintu mich auf den Geschmack gebracht. Vielleicht gefällt mir der nächste afrikanische Romane besser.

Julian: Wie auch Christian verfolge ich seit der ersten Staffel Riverdale. Nach einer guten ersten Staffel die, trotz ihrer Eigenheiten (Gesangseinlagen, Teenieproblemchen) überdurchschnittlich gut inszeniert ist, folgte eine eher durchwachsene, weil narrativ auf 13 Episoden angelegte und auf 20+ aufgeblähte, zweite Staffel mit interessantem Finale und einer lobenswerten Musicalepisode. Die dritte Staffel beschreitet nun neue Wege, löst sich von Fanvorstellungen und Riverdale-Konventionen.

Archie Andrews muss unschuldig ins Gefängnis, während die ganze Stadt in einen kollektiven Rollenspielwahn verfällt und einem mysteriösen Baumwesen, dem Gargoyle King huldigt. Wurden einige Figuren im Laufe der ersten beiden Staffeln deutlich abgeschwächt, sind sie nun wieder in ihrer ursprünglicher Form vertreten. Man nehme etwa Alice Cooper, die, so munkelt man, ursprünglich so übel mit ihrer Tochter Betty sprach, dass man ihre Dialoge z.T. bereits während des Drehs entschärfte. Nun schließt sie sich der Sekte des ominösen Edgar Evernever an, dessen Tochter vermutlich ebenfalls eine tragende Rolle zukommen wird. Cheryl Blossom entwickelte sich indes zu einem Abziehbildchen ihrer selbst. War sie noch in der ersten Staffeln als soziopathisches Missbrauchsopfer angelegt, wandelte sie sich während der zweiten Staffel zum Freddy Krüger der Serie: Ein sprücheklopfender, cooler Fan-Favorit. Ein Fehler, den wir aus verschiedenen Serien kennen, etwa O. C. California (Taylor Townsend, die sich von einer Intrigantin zur mit Micky-Mousing unterlegten Albernheit wandelte), Gilmore Girls (Paris, Doyle und unzählige Nebenfiguren), Buffy (Oz) oder Charles „Chuck“ Bass in Gossip Girl, der am Anfang zwar Mädchen vergewaltigte, später aber zum sympathischen Lebemann umgeschrieben wurde. Ein Problem, dem Serien nicht zuletzt erliegen, denn mit der Verweichlichung und Ikonisierung bzw. Memeifizierung verlieren sie immer an Qualität. Nicht mehr die logische Charakterentwicklung steht im Fokus, sondern das nächste Tumblr-Meme / -Gif. Auf Tumblr indes meckern einige Fans, weil Joaquin Desantos, einst in Staffel 1 herausgeschrieben, nun erneut auftauchte, ein trauriges Ende fand und man darin eine angebliche Homophobie zu erkennen glaubt – bei mehr als fünf homo- bzw. bisexuellen Figuren eine durchaus gewagte These.

Und so sagt jede Figur nur noch den ihr angestandenen Spruch und der Fan gerät in Verzückung. Nun gehört aber Robert Aquirre-Sacasa zu den besseren Autoren, was er mit Comics wie Afterlife with Archie und The Chilling Adventures Of Sabrina eindrucksvoll bewies, und ignoriert seine (Teenie-)Fans. Die Core-Four zerstreuen sich in alle Winde, gehen auf Heldenreisen oder tauchen einige Episoden lang nicht mehr auf. Eine gute Entscheidung! Riverdale wandelt sich zur ernsten Serie, deren Ernsthaftigkeit nicht nur Effekt, sondern logische Entwicklung darstellt.

Die Fans spaltet dies naturgemäß in zwei Lager: Jene, die eine Trennung ihrer Lieblingspaare, die fehlenden Gesangseinlagen und den Campfaktor vermissen und jene, die sich über die notwendigen Schritte zur Serienrettung erfreuen. Bettys Pferdeschwanz öffnet sich, nicht nur metaphorisch.

Apropos Betty: Wenn sie – nicht wie einst ihre Cousine Cheryl – bei den Sisters of Quiet Mercy länger als nur eine Episode verweilt, bewegt man sich weg vom cliffhangerorientierten Serial hin zur ernstzunehmenden Show, wie es uns die erste Staffel versprach (in der noch bestimmte Network-Konventionen eingehalten werden musste, wie man aus dem Aquirre-Sacasa-Umfeld hört). Die Autoren trauen sich, was kaum ein Serienautor wagt: Sie lassen Figuren fallen. Dazu gehören nicht nur Personen wie (mein Favorit) Penelope Blossom, die in Staffel 3 erst einen Auftritt hatte, sondern auch mal Toni und Cheryl, die, wie bereits erwähnt, memeifizierten, und es entstehen großartige Episoden wie The Midnight ClubGesprengte KettenBlutmond oder Der Mann in Schwarz. Darauf stoße ich mit einem Milchshake im Pop’s Diner an. Wohlsein!

Sleepoverparty bei den Sisters Of Quiet Mercy: Betty Cooper und Ethal Muggs. © Netflix

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