Rezensionen
Kommentare 1

Yuggoth Rising – Erster Akt

Es ist nun sieben Jahre her, dass Sebastian „Bestie“ Dietz den ersten Band seiner auf neun Nummern angelegten Serie Yuggoth Rising in Eigenregie veröffentlichte, immerhin drei Jahre vor Alan Moores Lovecraft-Epos Providence, das erst 2015 startete. Inzwischen ist Yuggoth Rising abgeschlossen. Jetzt soll die Reihe soll nach und nach in Sammelbänden noch einmal aufgelegt werden.

Alle Abbildungen © Sebastian Dietz

In seiner Serie verarbeitet Dietz auf originelle Art und Weise Motive der Horrorwelten von H.P. Lovecraft. Kenntnisreich umschifft er dabei die offensichtlichen Klischees rund um Tentakelmonster, Angst und Entsetzen, sondern lenkt den Fokus auf die weniger bekannten Traumerzählungen des Phantastik-Pioniers aus Providence. Diese handeln von fiktiven Figuren wie dem Schriftsteller Randolph Carter (Lovecrafts Alter Ego), dem Künstler Pickman oder dem verarmten Adeligen Kuranes, alles Figuren, die – häufig unter Zuhilfenahme von Drogen – die ihnen widerwärtige Realität hinter sich lassen. Hinter dem Mantel des Schlafs erschließt sich ihnen dagegen eine wahrhaftigere Welt voller Wunder. So heißt es in Lovecrafts Erzählung „Der Silberne Schlüssel“, in der Lovecraft sehr bestimmt gegen die Rationalität und den Wissenschaftsglauben anschreibt: „[Die Menschen] begriffen nicht, dass die rohen Fundamente ihres Weltbildes genauso unsicher und widersprüchlich waren wie die Götter ihrer Vorfahren und dass die Befriedigung des gegenwärtigen Augenblicks der Fluch des nächsten ist. Ruhige, beständige Schönheit findet sich nur im Traum, und diesen Trost hatte die Welt weggeworfen, als sie in ihrer Anbetung der Wirklichkeit die Geheimnisse der Kindheit und der Unschuld verschmäht hatte.“

„The closer you get to the meaning …

Vielleicht ist der größte Verrat, den Dietz an Lovecrafts Werk begeht, dass die Träumer in seinem Comic nicht einer kindlichen Unschuld nachspüren, wie Randolph Carters dies in seinen Geschichten versucht. Bei Dietz sind die Eingeweihten, die den Schlüssel zu den Traumlanden haben, elitäre Kultisten, die materialistisch denken und nur auf ihren Vorteil bedacht sind, während auf der Erde gerade die „Zeit der Säuberung“ einsetzt. Die Sympathieträger in der Story sind jedenfalls andere.

Da wäre zum Beispiel der Linguist Wendricz, der – und hier sind wir ganz bei Lovecraft – das Geheimnis einer alten, indigenen Kultur lüften soll. Eine weitere Identifikationsfigur, die uns gleich zu Beginn der Story an die Hand gegeben wird, ist die junge Frau Madelaine, die ihre Mutter sucht, nachdem diese aufgrund der Wirtschaftskrise ihre Wohnung verloren hat. Die belanglose, menschgemachte Zivilisation zeigt hier deutlich ihre hässliche Seite. Und zuletzt gibt es noch den Reporter Timmy McWright, der zu Beginn der Geschichte einer Werwolf-Erscheinung im Hinterland von New York nachspürt und wie immer eine rationale Erklärung für das Geheimnis findet. Gegen Ende des ersten Akts zeichnet sich ab, dass die Handlungsfäden systematisch zusammengeführt werden, so dass ein Geflecht von zunächst unabhängig scheinenden Subplots sich mehr und mehr zu einem kompakten Ganzen verdichtet.

… the sooner you know that you’re dreaming“ – Dio

So sehr aber auch die offensichtlichen Monster-Klischees (bisher) vermieden werden, Entsetzen und Horror kommen doch nicht zu kurz in Dietz‘ Comic und kulminieren in Kapitel 2 zu einem drastischen Höhepunkt, als einer der träumenden Kultisten von einem Maskierten mit schwarzen Handschuhen grässlich ermordet wird, eine Tat, die den Hauptplot erst in Bewegung bringt. Die zelebrierte Ästhetik der Grausamkeit und das ungewöhnliche Mordinstrument lassen darauf schließen, dass Dietz seinen Dario Argento gut studiert hat – Profondo Rosso lässt grüßen. Aber auch Alan Moore scheint einen großen Einfluss auf Dietz zu haben. Wie der Bärtige aus Newcastle  in seinem Schlüsselwerk Watchmen setzt auch Dietz an jedes Ende eines Kapitels fiktive Zeitungsausschnitte und wissenschaftliche Artikel, die der fiktiven Welt eine realistische Grundierung geben und gleichzeitig auch den dokumentarischen Stil von Lovecraft-Erzählungen wie „Cthulhus Ruf“ aufgreifen und neu beleben.

Sebastian Dietz hat mit Yuggoth Rising eine Lovecraft-Erzählung geschaffen, die auch in Zukunft neben Werken wie Alan Moores Providence als Referenz für eine gelungene Weiterentwicklung des Mythos dienen wird. Nicht nur ist das Skript sorgfältig strukturiert und die Welt durch dokumentarischen Überbau sehr dicht gewoben, auch handwerklich überzeugt der Künstler mit durchdachter Seitenarchitektur und Zeichnungen, die in ihrer Mischung aus klarer Linie und Realismus bisweilen an den britischen Zeichner Bryan Talbot (The Tale of One Bad Rat) sowie an Eric Shanower (Age of Bronze) erinnern. Und auch der rohe, handgemachte Underground-Charme der Zeichnungen und die dekorativen Titelbilder gefallen.

Really, Sherlock? Ich würde meine Hand da nicht ins Feuer legen.

Erwerben kann man die Reihe unter anderem im Cthulhu-Webshop, der sehr viele Lovecraft-Comics anbietet.

Eine überzeugende Fortschreibung von H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos

8von10Yuggoth Rising – Erster Akt
undergroundcomix.de, 2016
Text und Zeichnungen: Sebastian Dietz
104 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 13,00 Euro

Leseprobe

 

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.