Das 1969 im Geist der 68er-Gegenkultur von Raymond Martin gegründete Magazin U-Comix machte sich um die Comickultur verdient, indem es deutschen Lesern amerikanische Undergroundcomix und neue, innovative Erwachsenencomics aus Frankreich zugänglich machte. Ab 1980 erschien das Heft regelmäßig, zunächst im Volksverlag, später im Alpha Comic Verlag und brachte es zu hohen Auflagen und etlichen Konflikten mit dem Jugendschutz. Ab Mitte der 1980er Jahre diente das Heft auch zunehmend als Plattform für deutschsprachige Künstler, ehe es 1997 eingestellt wurde. 16 Jahre später brachte Herausgeber Steff Murschetz das Heft zurück: das neue U-Comix, von dem inzwischen acht Ausgaben vorliegen, enthält kaum ausländische Lizenzcomics, sondern besteht überwiegend aus Beiträgen einheimischer Zeichner. In einer Dialog-Rezension nehmen Stefan Svik und Thomas Kögel das aktuelle Heft unter die Lupe.
Stefan: Ich freue mich, dass wir heute über das aktuelle U-Comix sprechen. Du hast die letzten drei Hefte gelesen, ich verfolge das Magazin seit dem Start 2013, als es mit einem Heft zum Gratis-Comic-Tag 2013 und der Nummer 182 losging, denn Chefredakteur, Autor und Zeichner Steff Murschetz knüpft mit seinem Team an deutsche U-Comix-Geschichte an. Die ersten beiden Hefte waren noch im kleinen Format eines typischen Comichefts, seit Ausgabe 184 hat U-Comix das große Zeitschriftenformat, um am Kiosk oder im Comicshop nicht übersehen zu werden. Und mit dem ersten Eindruck fange ich gleich an: Ich halte die Titelbilder von Steff für einen noch sehr verbesserungswürdigen Punkt. Ein Comicexperte sagte mir dazu mal, dass er die Cover peinlich findet. Das finde ich etwas zu hart formuliert, aber ich denke, dass sie U-Comix etwas unter Wert verkaufen mit Begriffen wie „Leckomio“ und Figurnamen wie „Kotzilla“, denn in den Heften finden sich viel differenziertere und viele kluge Beiträge, noch dazu sind sehr schön gezeichnete Comics dabei. Mit dem Heft zum GTC 2014 zu Orwells 1984 bewies Murschetz, dass er mehr erreicht, wenn er sein Titelbild nicht so überlädt. Wie ist Dein erster Eindruck vom aktuellen U-Comix, Thomas?
Thomas: Mit den Titelbildern sprichst du schon einen wichtigen Punkt an, denn das ist nun mal das erste, was man von so einem Magazin wahrnimmt. Und ich sehe es auch so: Zum einen sind sie extrem überladen und unübersichtlich, zum anderen erwecken die Motive den Eindruck, dass U-Comix ein Heft für (post-) pubertierende Jungs ist, denen MAD zu brav geworden ist. Das Cover des ersten Gratisheftes hat hier die Richtung vorgegeben: Dort gelang das „geniale“ Kunststück, eine Rakete und die übergroßen Brüste einer Astronautin zu einem angedeuteten Penis zu verbinden. Und mit so einem Cover macht man nun einmal eine gewisse Ansage, was Niveau und Inhalt des Heftes angeht. Mich hat das jedenfalls spontan abgeschreckt, so dass ich zunächst wenig Interesse an dieser neuen Inkarnation von U-Comix hatte. Denn auch die weiteren Covermotive gingen ja in eine ähnliche Richtung. Erst das von dir angesprochene Titelblatt des Gratiscomics 2014 ist da wohltuend anders. Und tatsächlich, wenn man mal reinblättert in die Hefte, dann zeigt sich der Inhalt vielfältiger als es die Cover vermuten lassen.
Stefan: Steff kennt diese Kritik an den Covern bereits und ich bin etwas von meinen Mails mit ihm beeinflusst*, denn dort sind Idealisten am Werk. Steff zeichnet eine Nacht durch und holt sich am nächsten Morgen ein Brot von der Tafel in Oberhausen, weder er noch sonst einer der Künstler bei dem Heft verdient an U-Comix Geld. Ich mag diesen Idealismus und die Freiheit gönne ich ihnen; dass sie dann zu so Pippikacka-Witzchen greifen finde ich tragisch. Aber wer länger dabei ist, kennt etwa den wunderbar sensiblen Abgesang auf H.R. Giger oder im aktuellen Heft Steffs Abschied in Comicform von einem langjährigen Freund. Bei U-Comix gilt also ganz besonders „Beurteile ein Buch nie nach dem Cover“, aber ganz klar: Deine Kritik an den Covern unterschreibe ich voll und ganz, diese Art Altherrenhumor finde ich völlig entbehrlich! Als objektiver Journalist muss ich sagen, dass mir manche Beiträge in U-Comix zu blöde sind, „Popoclub“ (von Atik Kargar & Steff) ist so unlustig wie Pussyterror von Frau Kebekus, das sind Sachen zum Fremdschämen. „Kotzilla“ (von Thorsten Wieser) hingegen brachte mich zum Lachen, zwar doofer Name, aber gewitzter Seitenhieb gegen die Atomlobby. Das Interview mit Joe Sacco ist super! „Bangkok Monkeys“ (von Ben Marquardt) ist so stark wie Inspektor Canardo, „Sami und Iggy“ (von Ralf Marczinczik) mag ich. Und Simon Hanselmanns „Megg, Mogg und Eule“ lässt der Avant-Verlag vorab in U-Comix abdrucken, das ist ein echter Ritterschlag für das Heft von Seiten der eher intellektuelleren Ecke der Comicwelt. Und Comicgate richtet sich ja oft eher an kopflastige Experten, denen U-Comix vielleicht vermittelt, dass sie hier geistig unterfordert seien. Hast du das so empfunden? Und was hat dir besonders gut gefallen?
Thomas: Kopflastige Experten? Naja, wenn du meinst … Es geht mir hier aber überhaupt nicht um geistige Über- oder Unterforderung, ich will einfach möglichst gute Comics lesen, und das können gerne auch total bescheuerte Sachen sein. Aber fangen wir doch mal mit dem Positiven an: In Ausgabe Nr. 189 haben mir am besten gefallen: „Mediokrates“ von Ralph Niese, die schwarz-weiße Kurzgeschichte „Saumzug des Grauens“ von Diana Kennedy und die wundervoll überdrehte Kriegsfilmparodie „Cliff Steele“ von Christian Scharfenberg. Außerdem noch die beiden One-Pager aus der Reihe „Ein seltsamer Tag“ von Michael Vogt und Olaf Brill (letztere entstanden allerdings nicht originär für U-Comix, sondern sind ein kolorierter Nachdruck aus dem Science-Fiction-Magazin phantastisch!) Das sind alles Comics, die nicht nur durch ihre guten Zeichnungen (oder in Nieses Fall die tolle, extravagante Kolorierung) auffallen, sondern auch Geschichten erzählen, die irgendwie ungewöhnlich und interessant sind.
Es gibt hier tatsächlich echte Perlen zu entdecken, aber mein Problem an U-Comix ist, dass die Mischung zu inhomogen ist. Ich gehe da gerne noch näher drauf ein, aber erstmal lasse ich dich nochmal zu Wort kommen …
Stefan: Wie man dauerhaft Leser mit Stoffen jenseits des Mainstreams glücklich macht und nicht nur Hefte, sondern ein ganzes Verlagsprogramm homogen und von zuverlässig hoher Qualität gestaltet, lehrt uns Weissblech Comics – vom klugen, fleißigen und mit Selbstironie gesegneten Levin Kurio lässt sich Erfolg lernen! Aber U-Comix soll ruhig anders sein, das ist ja eine Stärke der Hefte: Es herrscht noch etwas erfrischende Anarchie und der Inhalt ist immer wieder überraschend. „Cliff Steele“ hat mir auch sehr gut gefallen, ich habe bereits beim einführenden Text laut gelacht, wegen mir hätte der Comic gerne länger sein dürfen.
Ich möchte jetzt mal in aller Deutlichkeit sagen, was DAS Plus von U-Comix ist, quasi schon mal eine Laudatio vorab für Comic-Auszeichnungen, die U-Comix redlich verdient hat: Wir haben hier das Gegenstück zum britischen 2000 AD oder zum französischen Métal Hurlant, zumindest hinsichtlich der Tatsache, dass hier ein mehrmals jährlich erscheinendes Comicmagazin existiert, mit Schwerpunkt auf deutschsprachigen Künstlern, das den Zeichnern und Autoren ein großartiges Forum bietet, ihre Werke bekannt zu machen. Das ließe sich zwar auch über COMIX sagen, aber nicht nur hat U-Comix wesentlich besseres Papier, es bietet auch inhaltlich viel. Zwar kein Geld sofort, aber dafür Öffentlichkeit, die sich in bare Münze verwandelt lässt, so erschien etwa gerade Der 50-jährige Punk von Bert Hennings als Buch, der ohne U-Comix sicher weniger bekannt wäre. Webcomics sind gut und schön, aber ein Printmagazin wie U-Comix leistet so viel für die deutsche Comicszene, dass man die Hefte gar nicht genug loben kann, oder?
Thomas: Klar kann man loben, man kann aber auch Kritik üben, wenn es Anlass dazu gibt. Der Vergleich mit Weissblech Comics ist gar nicht so verkehrt: Sowohl dort als auch bei U-Comix schielt man nicht aufs Feuilleton und betont die fröhlich-trashigen Aspekte des Comics. Aber bei Weissblech kann ich eine klare Linie erkennen, man kann schnell ziemlich gut einordnen, was man für sein Geld bekommen wird (das gilt übrigens auch für die von dir angesprochenen 2000 AD und Métal Hurlant). Bei U-Comix ist das nicht so. Klar, in Comic-Anthologien gibt es immer Beiträge, die einem besser gefallen und andere, mit denen man nichts anfangen kann. Aber bei U-Comix ist der Mix so unausgegoren, dass ich überhaupt nicht weiß, wofür das Heft steht und was es will. Will es das U-Comix der 1970er und 80er Jahre fortführen? Will es so tun, als sei seitdem nichts passiert, und in alten, vergangenen Zeiten schwelgen? Oder will es ein modernes Update sein und den Geist jener Zeit in unsere Gegenwart führen? Und wenn das „U“ für Underground steht, hat das dann eine inhaltliche Bedeutung jenseits von „hier darf gekifft werden“ und „mehr Popos und Busen als anderswo“? Oder ist das alles egal und man druckt halt einfach mal alles, was man so zusammenkriegt? Hauptsache, das Papier ist gut?
Stefan: Steff wählt schon aus und lehnt Beiträge ab, die nicht ins Konzept passen. Da er allerdings kein Honorar zahlen kann, ist es ihm nur bedingt möglich, zu starke Vorgaben zum Inhalt zu machen. Seit den letzten drei Heften empfinde ich U-Comix allerdings geordneter als zu Beginn. Ein roter Faden ist erkennbar, etwa durch die immer sehr gelungenen Interviews und durch Figuren wie den 50-jährigen Punk. Anders als COMIX ist das keine Sammlung von Leseproben, sondern ein wunderbares Forum für Comics, die sonst gar nicht beachtet werden würden. Das mit dem Kiffen ist ein gutes Stichwort: Der Vertrieb auch über Headshops und die Werbung für diese im Heft gehören wohl zu U-Comix. Und da wäre ich nochmal bei der Big-Brother-Sonderausgabe. Da inszenieren sich die Macher als Gegner von Volkszählung, die in Twitter und Smartphones keine Chancen, sondern reines Teufelswerk sehen, stattdessen werden die Kiffer der Freak Brothers rausgekramt. Aber haben die Teenager und Twens von heute nicht andere Themen und Sorgen als Marihuana und Volkszählung? Andererseits lobte kürzlich auch Denis Scheck das Buch Der Circle, das Datenschutz und kritischen Umgang mit sozialen Netzwerken thematisiert. Sind Anzugträger wie Scheck und Jan Böhmermann nicht viel mehr heutiger Underground als U-Comix? Damit würde ich gerne schließen und Dir das Schlusswort überlassen. Von mir sieben Punkte für das aktuelle Heft.
Thomas: Das von dir angesprochene Heft, die Ausgabe zum Gratis-Comic-Tag 2014, kenne ich nicht, aber vielleicht würde so ein Themenschwerpunkt ja auch der regulären Reihe gut tun. Hier steht aber die aktuelle Ausgabe im Mittelpunkt und bei der sehe ich neben ein paar echten Lichtblicken auch viel Banales oder gar Ärgerliches (neben „Popoclub“ konnte ich auch mit Thorsten Wiesers „Kotzilla“ und dem Beitrag von Flauteboy so gar nichts anfangen). Ich gebe vier Punkte, traue U-Comix aber durchaus zu, dass es sich steigert. Wenn man sich weiter traut, sich vom angestaubten 70er/80er-Zeitgeist zu lösen und es vielleicht auch noch schafft, den unterirdischen Frauenanteil unter den Machern anzuheben, was automatisch den gar nicht mal so subtilen Sexismus des Hefts reduzieren würde, dann könnte das in Zukunft durchaus was werden.
Stefan: Der Frauenanteil ist bei den Cartoonisten ähnlich klein. Und zum Thema Sexismus weist Steff darauf hin, dass in seinen Münchhausen-Comics die Frauen die starken Figuren sind und der Mann der peinliche, geile Bock. Aber klar, man geht durch das Cover bereits mit Vorurteilen an die Lektüre heran, denn man sieht, was man sehen will. Quasi der Rorschachtest der deutschen Comicszene.
U-Comix 189 Undergroundcomix.de, 2015 Heft, farbig, 84 Seiten Preis: 6,90 Euro |
Stefan: | Thomas: |
* für das COMIC!-Jahrbuch 2014 führte Stefan Svik ein Interview mit Steff Murschetz zum Neustart von U-Comix.