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Teenage Mutant Ninja Turtles: The Last Ronin

Pünktlich zum Kinostart des jüngsten Filmabenteuers rund um die pizzaliebenden Schildkrötenhelden – der sehenswerte Animationsstreifen Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem läuft seit Anfang August – haben Fans mit der Miniserie The Last Ronin (erschienen bei Splitter) nun Gelegenheit, eine andere Seite der sich sonst so familienfreundlich präsentierenden Ninja Turtles kennenzulernen. Die dystopische, in einer alternativen Zukunft angesiedelten Story geht auf eine über 30 Jahre alte Idee der beiden Schöpfer Kevin Eastman und Peter Laird zurück und stellt eine bewusste Rückbesinnung auf den düsteren Charakter der ursprünglichen Comicvorlage dar.

Ein Ninja Turtle mit einer Mission. © Splitter

In der Zukunft wird New York von Oroku Hiroto – einem Nachfahren des „Shredders“ und Erzfeind der Turtles – mit unterdrückerischer Gewalt regiert. Die Stadt ist von einer hohen Mauer umgeben, um das inzwischen völlig verseuchte Grundwasser abzuhalten. Zu Beginn sehen wir einen der Turtles, wie er durch das toxische Wasser schwimmt, um in die hermetisch abgeriegelte Stadt einzudringen. Die anderen drei Turtles sind bereits tot, wir werden aber über die Identität des Überlebenden noch im Unklaren gelassen. Üblicherweise geben die farbigen Augenbinden sowie charakteristische Waffen Aufschluss darüber, um welchen Ninja Turtle es sich handelt. (Ansonsten sehen alle vier gleich aus, was angeblich dazu geführt hat, dass sie nicht einmal von den Animatoren der Zeichentrickserie auseinandergehalten werden konnten.) Der verbleibende Turtle trägt eine schwarze Augenbinde und führt sämtliche Insignia der Ninja Turtles: Leonardos Katana, Donatellos Bō, Raphaels Sai und Michelangelos Nunchaku.

Die Waffen sind aber nicht das einzige, was er mit sich trägt. Begleitet wird er außerdem von Stimmen seiner drei toten Kameraden, „Wohin du gehst, gehen auch wir, das weißt du doch.“ (S. 7) Was folgt, ist eine seitenlang sich erstreckende, spektakuläre Actionsequenz, in der unser namenloser Turtle versucht, in die Festung Hirotos vorzudringen und dabei dutzende humanoide Robotersoldaten aus dem Weg räumt – Verfolgungsjagden per fliegender Autos in der Luft und Motorräder am Boden inklusive. Hiroto selbst haust an der Spitze eines Turms, der hoch über der Stadt thront. Einmal dort angekommen, wird der Turtle dann aber doch überwältigt und stürzt im Kampf mit einem Roboterkontrahenten in seinen vermeintlichen Tod. Schwer verletzt schleppt er sich in die Kanalisation, bereit dazu, Seppuku (den rituellen Selbstmord der Samurai) zu begehen. Bevor es dazu kommt, bricht er jedoch erschöpft zusammen. Er erwacht in einem Krankenhausbett, verarztet und bandagiert. Ihm gegenüber seine alte Weggefährtin April O’Neil, die ihn mit seinem Namen anredet: Michelangelo. Ab jetzt wissen wir, wer überlebt hat.

Seppuku als einziger Ausweg? © Splitter

Was für eine Eröffnung! Die Handlung prescht nach vorne, unterstützt von einem dynamischen Artwork (Esau & Isaac Escorza, Ben Bishop), welches der Cartoon Show ebenso Referenz erweist, wie dem aktuellen IDW-Run oder den Indie-Comicursprüngen bei Mirage Comics (dazu gleich mehr). Die Atmosphäre ist betont gritty und erinnert mit ihrem verbitterten Einzelkämpfer inmitten einer postapokalyptischen Zukunft an Comic-Klassiker wie Frank Millers The Dark Knight Returns (1986) oder Mark Millars Wolverine: Old Man Logan (2008). Apropos Frank Miller: Diesem ist neben Jack Kirby nicht nur The Last Ronin gewidmet (wie Autor Kevin Eastman im Nachwort hervorhebt), sondern auch die allererste Ausgabe der Teenage Mutant Ninja Turtles (TMNT) aus dem Jahre 1984. Tatsächlich verdanken bereits die ersten Comics der TMNT Miller sehr viel. Was als humorvolle Kritzeleien von mit Nunchakus bewaffneten Schildkröten in einem Wohnzimmer von New Hampshire begann, mit denen sich Kevin Eastman und Peter Laird gegenseitig zum Lachen bringen wollten, wuchs sich bald zu einer seriösen 40-seitigen Ausgabe aus. Mit ein bisschen Geld, das sie sich von Eastmans Onkel ausliehen, gründeten die zwei ihr eigenes Studio „Mirage Comics“, unter dessen Label sie dieses erste Abenteuer der Ninja Turtles publizierten. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.

Es ist kein Geheimnis, dass sich Eastman und Laird dabei stark von Millers Daredevil-Run inspirieren ließen. Die radioaktive Substanz, welche Matt Murdoch bei einem Autounfall seine Superkräfte verlieh, kommt stattdessen mit vier Schildkröten in Kontakt. Daredevils Lehrmeister heißt „Stick“, der Lehrmeister der Turtles stattdessen „Splinter“. Wo sich Daredevil mit dem Ninja-Clan „The Hand“ herumschlagen muss, kämpfen die Turtles gegen „The Foot“. Und so weiter, wir alle kennen die Parallelen. Dennoch wäre es verfehlt, in den TMNT eine bloße Parodie oder schlichten Abklatsch zu sehen. Die markanten Schwarzweiß-Zeichnungen sorgen von Anfang an für ein eigenes Flair, und wer mit den Turtles in erster Linie die Zeichentrickserie für Kinder aus den späten 80ern assoziiert, wird von der rohen Gewalt, die in der Mirage-Comics-Ära vorherrscht, überrascht sein. Nachdem aus den Ninja Turtles ein erfolgreiches Franchise mit Serie, Filmen, Comics und Spielzeug geworden war, haben sich Eastman und Laird zerstritten, wodurch sie nie mehr gemeinsam an einer TMNT-Comicreihe gearbeitet haben.

Daredevils Originstory in der Version von Frank Miller (links, © Marvel), und deren Referenz in der ersten TMNT Ausgabe (rechts, © Mirage/IDW)

The Last Ronin ist heute das, was einer Kollaboration der beiden ursprünglichen Schöpfer noch am nächsten kommt. Die Geschichte wurde von Eastman und Laird bereits zu einer Zeit skizziert, in der die ersten TMNT-Comics herauskamen. Dass die Idee aus den 80er Jahren stammt, merkt man The Last Ronin deutlich an: Nicht nur erinnert das Szenario mit der gefängnisartigen Stadt verdächtig an den John-Carpenter-Filmklassiker Escape from New York („Hättest besser ‘nen Gleiter geklaut, Snake Plissken!“, S. 15), auch Hirotos Mensch-Roboter-Hybriden-Armee scheint direkt aus Robocop entsprungen. Laird teilt also einen Story-Credit, wirklich ausgearbeitet wurde die Geschichte aber von Eastman und Tom Waltz, die seit 2011 die TMNT-Reihe für IDW schreiben. The Last Ronin ist eine Art Elseworlds-Story, die mehr erzählerische Freiheiten gegenüber der Hauptserie ermöglicht und auch für Neulinge wenig Kontext voraussetzt – die Schattenseite davon ist, dass außer Michelangelo kein einziger Mutant überlebt hat, was traditionelle TMNT-Fans eher vor den Kopf stoßen dürfte. Die Energie, die durch diesen Comic pulsiert, bleibt dennoch gewaltig und man meint beim Lesen etwas von jener kreativen Freiheit zu spüren, die damals zwei der Öffentlichkeit unbekannten Comicfans aus Neuengland dazu angetrieben hat, ihre verrückten Ideen auf die Welt los zu lassen. Den Geist dieser Zeit beseelen vor allem jene Passagen, die in Rückblenden Michelangelos Leidensweg in Japan beschreiben und die von Eastman selbst gezeichnet wurden: Grobe, fast holzschnittartige Schwarzweiß-Illustrationen lassen Mirage Comics noch einmal auferstehen.

Eastmans Artwork auf den Spuren der originalen Mirage-Comics. © Splitter

Zugegeben, nicht alles an The Last Ronin ist perfekt. Dass die Publikation der ursprünglichen US-Einzelausgaben massiven Verzögerungen ausgesetzt war (eine 5-teilige Miniserie, die von Oktober 2020 bis April 2022 dauert? Come on!) merkt man dem fertigen Buch leider an vielen Stellen an. Was am Anfang noch wie eine tolle Idee oder ein cooler visueller Einfall wirkt, macht am Ende kaum noch Sinn. So umgibt sich Hiroto zu Beginn etwa mit einer Menge Krähen, die an den Leichen unliebsamer Gegner picken. Am Ende entpuppen sich diese Krähen als Roboter, was ihrem Dasein als Aasfresser eher zuwiderläuft. An solchen Beispielen wird klar, dass Eastman und Waltz selbst nicht mehr so genau wussten, was sie am Anfang etabliert hatten, oder dass es sie schlicht nicht kümmerte. Manches ist einfach da, weil es eben in dem Moment cool ausgesehen haben dürfte. Wer sich also an solchen Inkonsistenzen oder der Tatsache, dass das hohe Tempo des Anfangs nicht bis zum Schluss gehalten werden kann, wenig stößt, der kommt bei The Last Ronin durchaus auf seine Kosten. Man muss sich nur damit abfinden, dass ein Held, der durch eine quietschbunte Kinderserie Bekanntheit erlangt hat, in einer dystopischen Welt auf Rache sinnt. Denn düster ist der Comic allemal: Wenn man keinen einzigen Turtle im Laufe der Story Pizza essen sieht, weiß man, dass es schlecht um die Welt bestellt ist.

Old Man Mutant Ninja Turtle auf Rachefeldzug

8von10Teenage Mutant Ninja Turtles: The Last Ronin
Splitter, 2023
Text: Kevin Eastman, Peter Laird, Tom Waltz, Zeichnungen: Esau Escorza, Ben Bishop, Isaac Escorza, Kevin Eastman
Übersetzung: Matthias Penkert-Henning
224 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 35,00 Euro
ISBN: 978-3-98721-215-4
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