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Sammy und Jack – Integral 1

Gerrit und Christian diskutieren heute über die neue Sammy-und-Jack-Gesamtausgabe bei Kult Comics, deren erster und zweiter Band bereits erschienen sind.

Alle Abbildungen © Kult Comics

Christian: Manchmal überrascht es mich, wie schnell in den 1970er Jahren neue Serien des französischen Spirou-Magazins ihren Weg nach Deutschland fanden. 1970 erschien die erste Sammy-und-Jack-Geschichte von Berck und Cauvin, 1973 war sie schon in Kaukas primo-Magazin und seitdem eigentlich ständig in irgendeiner Form präsent. Eine zeitlang erschienen neue Sammy-und-Jack-Comics in Kauka-Taschenbüchern unter dem Motto Super Spass, ab 1984 waren sie viele Jahre lang als Fortsetzungsgeschichten im Fix-und-Foxi-Magazin. Das ist schon eine hohe Dynamik für eine B-Serie, die doch deutlich im Schatten der wirklich berühmten Serien wie Spirou, Schlümpfe oder Lucky Luke steht. Ich habe die Serie in Form von Comic-Wundertüten kennengelernt, die es in den 1980ern in jeder Bäckerei für eine Mark gab. Kannst du dir nicht mehr vorstellen heutzutage. In den Tüten fanden sich in der Regel Kauka-Taschenbücher, manchmal aber auch obskures Zeug wie Hannibal Möhrenzahn, einige Sammy-und-Jack-Bücher waren waren auch dabei, die mich damals vor allem deswegen beeindruckt haben, weil sie nicht nur sehr witzig waren, sondern ganz schön derb und sarkastisch. Lese ich heute Sammy und Jack in der neuen Gesamtausgabe, muss ich sagen, dass sie den Test der Zeit gut überstehen. Wer die Reihe nicht kennt: You are in for a treat!

Gerrit: Die Integral-Ausgabe richtet sich an die deutschsprachigen Leser*innen vornehmlich der „Generation Zack“, die zwischen 1972 und 1980 ihre Comicsozialisation erfahren haben. Besonders anschaulich wird das, wenn man bei einem Internet-Versandhandel recherchiert, was die Nostalgie-Käufer*innen des ersten Bandes noch alles gekauft haben (s. Abb.). Wer sich über das Fehlen mancher Klassiker wundert: Man kann davon ausgehen, dass die sich mit Lucky Luke und Michel Vaillant schon längst eingedeckt haben.

Nostalgie-Käufer*innen von Sammy und Jack kaufen auch andere Gesamtausgaben von Funny-Serien der 1970er Jahre – das ist sicher keine Überraschung.

Die in den letzten Jahren als Gesamtausgaben in verschiedenen Verlagen aufgelegten Funny-Serien Pitje Pit (1970, dt. ab 1979), Benni Bärenstark (1962, dt. ab 1980), Die Blauen Boys (1968, dt. ab 1969) und Spaghetti (1957, dt. ab 1974) bieten Comicfreund*innen die Möglichkeit, Teile ihrer Kindheit zurückzukaufen. Ich frage mich, welches die prägenden Serien späterer Leser*innen sein sollen.

Mit Sammy und Jack verbinde ich gar keine Kindheitserinnerungen, und gerade deshalb hat der 2022 veröffentlichte erste Band mich neugierig gemacht. Er enthält sieben Abenteuer der beiden Titelfiguren, die im Chicago der 1920er und 1930er Jahre als Leibwächter für jeden arbeiten, der ihnen dafür Geld bietet. Der bullige Jack Attaway leitet das Unternehmen, während der zierliche Sammy Day einer seiner Angestellten ist. Ihr Arbeitsverhältnis ist von Unzuverlässigkeit, cholerischen Anfällen und einer breiten Kluft zwischen redlichem Bemühen einerseits und ihrem kolossalen Scheitern andererseits geprägt.

Sammy und Jack sind so sympathisch, weil sie ungeschickt, unbeholfen und ohne Frage unvollkommen sind.

Christian: Der Szenarist René Goscinny hatte in den ausgehenden 1940ern ja eine prägende Begegnung mit Harvey Kurtzman, kurz bevor dieser sein MAD-Magazin in die Welt brachte. Dennoch wirken Goscinnys bekannte Serien Asterix (für Pilote) und Lucky Luke (für Spirou) vergleichsweise zahm gegenüber Sammy und Jack, dessen Szenarist Raoul Cauvin wirklich versteht, dem Affen Zucker zu geben. Jede Geschichte ist pure Eskalation – so war das MAD-Magazin, wie ich es kenne. Immer ein leicht satirischer Unterton und gnadenloser Klamauk bis zur Erschöpfung. Sensibel darf man da nicht sein. Auch verstehen Berck und Cauvin eine ganze Menge von gutem Timing und sind in der Lage, albenlange Geschichten mit durchdachtem Spanungsbogen zu erzählen. Im ersten Band sind, bis auf den 44-Seiter „Rhum Row“ (bei Kauka „Die Schnapsschaukel“), aber zunächst kürzere Geschichten um die 24 Seiten an der Reihe. Bevor Sammy und Jack wie Asterix und Obelix ihre Reiseabenteuer erleben, spielen die Shorts stets im gleichen Großstadt-Setting. Die Kunst liegt noch in der Variation sich wiederholender Erzählstrukturen. Dabei gelingen gerade im Kleinen teils besonders hemmungslose Eskalationsgeschichten. Das Durchgeknallte wird aber auch in späteren Erzählungen das prägende Element bleiben und immer wieder die Schwelle zum Grotesken überschreiten.

Gerrit: Zimperlich geht es wirklich nicht zu. Maschinengewehre rattern regelmäßig durch die Panels, und ständig fliegen Handgranaten durch die Luft und hinterlassen angeschmorte Leibwächter. Das ist schon etwas mehr als das obligatorische Römerverhauen bei Asterix, aber es ist wiederum auch nicht so arg wie etwa bei Clever & Smart. Und man darf nicht vergessen, dass es auch bei Lucky Luke oder Tim und Struppi manches Mal zur Sache geht – meinem Sohn musste ich nach einer Tim-in-Amerika-Lektüre erklären, was Lynchjustiz sei. Insofern ist bei Sammy und Jack doch alles ihm Rahmen, wobei ich gestaunt habe, als ich gleich in der ersten Geschichte „Die Gorillas tanzen Samba“ eine Blutlache gesehen habe. Das kenne ich nicht aus den mir bekannten Funny-Serien wie etwa Benni Bärenstark.

Handgranaten gehören zum Standardrepertoire von Sammy und Jack

Cauvins Storys finde ich, im Unterschied zu den Funny-Serien der ersten Garde, etwas schematisch: Sammy und Jack nehmen widerwillig oder blauäugig einen Auftrag an, den sie von Anfang an völlig falsch einschätzen. Ein Happy End ist ihren Bemühungen nie vergönnt, denn sie mögen sie ihren Auftrag zwar einigermaßen erfolgreich erfüllen, den Lohn für ihre Arbeit aber streichen sie aus verschiedenen Gründen nicht ein. Ob das genügt, um die Nostalgie-Leser*innen alle zehn Bände dieser mutigen Integral-Ausgabe anzuschaffen, weiß ich nicht.

„Rhum Row“, der Schlusspunkt des ersten Bandes, ist auf jeden Fall auch der Höhepunkt: eine spannende und völlig verrückte Geschichte, deren Kern absurderweise auch noch wahr ist. Bercks Zeichnungen sind erstklassig: dynamisch, pointiert und detailverliebt. Interessant sind die unterschiedlichen Kolorierungen, die Peter Nover in seinem Nachwort darstellt. Zwischen der Originalfassung und verschiedenen deutschen Ausgaben gibt es erhebliche Unterschiede. Die Kult-Ausgabe orientiert sich an der Originalkolorierung, was, wie ich finde, immer eine gute Entscheidung ist, aber manchmal für meinen Geschmack etwas kontrastarm ausfällt. Des Öfteren versinken die Details in den dunkelblauen, dunkelgrünen und schwarzen Flächen.

Die Nachtszenen sind manchmal etwas arg dunkel-in-dunkel gehalten, was in der Druckausgabe besser zu sehen ist als am Bildschirm.

Christian: Um dunkle Nachtszenen besser einschätzen zu können, empfehle ich dir, die Gesamtausgaben von Sammy und Jack oder auch den Minimenschen mal mit der Druckversion der Fix-und-Foxi-Heften aus den 1970er und 1980er Jahren zu vergleichen. Du wirst weinen angesichts der grafischen Brillanz von damals und dem, was heute davon übrig ist, auch wenn das Papier heute hochwertiger ist. Man muss sich auch fragen, ob Comics in festen Deckeln im Buchregal noch den gleichen Zauber haben wie die damals billigen, tagesaktuellen Hefte mit redaktioneller Betreuung. Aber alles eben zu seiner Zeit: Die Fix-und-Foxi-Jahre – und wohl auch die goldenen Spirou-Jahre – sind nun mal vorbei. Bevor ich zu negativ klinge, möchte ich aber doch klarstellen, dass die Druckqualität der Integral-Ausgabe völlig in Ordnung ist und das umfangreiche Begleitmaterial informativ und bereichernd.

Im redaktionellen Teil steht ja, dass die erste Sammy-und Jack-Story tatsächlich außergewöhnlich blutig und auch vom Bodycount her krass ist. Später kam dann eher die überzogene Gewalt der Tom-und-Jerry-Filme zum Einsatz, wobei dennoch immer wieder, wenn es erzählerisch Sinn macht, auch Blut und Leichen vorkommen. Deswegen funktioniert ja überhaupt erst die wohl genialste und aberwitzigste Szene in „Rhum Row“, in der Jack meint, er könne sich schnell ein paar Dollars in einem Nebenerwerb verdienen. Als er herausfindet, dass sein Job darin besteht, dass er in einem völlig abgedunkelten Raum überleben muss, während Gangster zum Zeitvertreib versuchen, auf ihn zu schießen, ist es zu spät für einen Rückzieher. Das ist von Berck ebenso wie von Cauvin genüsslich ausgewalzt und großartig am Rande des Nervenzusammenbruchs erzählt.

Gerrit: Die Blinde-Kuh-Szene ist wirklich herrlich-abgedrehter Slacpstick, zeichnerisch wie erzählerisch unterhaltsam. Was die Farben angeht, sehe ich anhand der abgebildeten Vergleichsbeispiele der verschiedenen Ausgaben keine klare Linie, dass die primo-Ausgabe etwa kontrastreicher bzw. -ärmer oder dergleichen wäre. Mir ist aber aufgefallen, dass ich mit einer sehr hellen Lampe mehr Freude beim Lesen der Integral-Ausgabe hatte. Der redaktionelle Teil, der überwiegend aus der niederländischen Originalausgabe (Saga Uitgaven) übersetzt wurde (wenngleich oft wenig elegant), ist ungewöhnlich umfangreich und bietet sehr viel Material.

Christian: Ob es mehr Bände von der Reihe braucht? Eindeutig ja. Du sagst ja selbst, dass „Rhum Row“ der Höhepunkt des Bandes ist. Die Geschichten davor sind mehr oder weniger variierende Fingerübungen im eng gesteckten Setting. Ab „Rhum Row“ öffnet sich die thematische Vielfalt und der Aberwitz geht in den Folgebänden erst richtig los. Da kommt noch was auf uns zu.

Gerrit: Word! Ohne „Rhum Row“ wäre ich skeptisch gewesen, aber nun bin ich neugierig auf diese langlebige Serie. Es hängt ein wenig vom zweiten Integral-Band ab, der im Oktober 2022 erschienen ist.

 

9von10

Christians Fazit: Cholerischer, derber Wahnwitz.

 

 

 

7von10

Gerrits Fazit: Unterhaltsamer und liebevoll gezeichneter Funny

 

 

Sammy und Jack – Integral 1
Kult Comics, 2022
Text und Zeichnungen: Raoul Cauvin, Berck (d.i. Arthur Berckmans)
Übersetzung: Uwe Löhmann (aus dem Französischen) und Bernd Leibowitz (aus dem Niederländischen)
288 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 35,00 Euro
ISBN: 978-3-96430-246-5
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