Daniel Clowes ist ein Meister der Kurzform, mit Patience brilliert er auch auf der Langdistanz. Sein jüngster Comic um einen verzweifelt-verliebten Zeitreisenden ist keine SF-Genreliteratur, sondern die tragisch-amerikanische Variation von Loriots TV-Sketch über das schief hängende Bild.
Jack und Patience sind kein schillerndes Paar: Während sie, die nur auf dem Cover stolz, selbstbewusst und smart erscheint, von plagenden Existenzängsten und geheimnisvollen Sorgen, die ihre Vergangenheit betreffen, verfolgt wird, hat Jack als Handzettelverteiler für seinen Stripclub – seien wir ehrlich – die berufliche Kurve nicht gekriegt. Seine Beschäftigung ist ihm so peinlich, dass er sie vor der schwangeren Patience verschweigt. Soweit, so schlecht. Aber es kommt noch schlimmer: Als Jack eines Tages von seinem Job heimkehrt, findet er Patience tot in der Wohnung vor – und sein Leben wird fad. Die folgenden 17 Jahre werden ausgespart (offenbar nicht erzählenswert), und Jack liebt seine verstorbene Frau immer noch, und inzwischen haben wir 2029. Durch einen Zufall erfährt er von der Existenz einer Zeitmaschine, derer er sich annimmt (nicht ganz gewaltfrei) und die er dazu benutzt, in der Vergangenheit aufzuräumen: Er vermutet einen alten Freund von Patience als Täter, und versucht nun, dessen Identität zu erfahren. Aber in Patiences Vergangenheit gibt es mehr dunkle Geheimnisse, als Jack ahnt, und so verstrickt er sich in Ereignisse, die er besser nicht zu ändern versuchen sollte. Terminator-Kenner wissen, dass unser Schicksal nur in den Händen unserer Gegenwart liegt. Während seiner Reisen in verschiedene Phasen von Patiences Leben lernen wir Leser Jack immer besser kennen – und nicht als guten Menschen. Die Zeitmaschine verwandelt Jack, das Opfer der Gesellschaft, in einen erbarmungslosen Jäger im unerbittlichen Zeitstrudel, in einen Getriebenen seiner Möglichkeiten, allerdings ohne die Hoffnung auf Erlösung. Wer die Vergangenheit manipuliert, muss damit rechnen, dass man trotz guten Willens letztlich alles falsch machen wird – manches Mal ist man sogar die Ursache allen Übels. Wie Loriots vergeblicher Versuch, ein schief hängendes Bild wieder geradezurücken, die darauf folgende bürgerliche Apokalypse (Chaos in der Stube) erst auslöste, so macht Jack alles nur schlimmer. Und ob das ein gutes Ende nehmen kann?
Clowes, dem Autor von u.a. Ghost World (1997), Wilson (2010) und Der Todesstrahl (2011) hat sich mit Patience eine Menge Zeit gelassen. Während seine Storys meist seriell in der Fantagraphics-Serie Eightball erschienen, ist Patience von vornherein als eigenständiger und zusammenhängender Comic geplant gewesen. Im Gegensatz zu stereotypen SF-Genre-Zeitreisen wie Mark Millars und Sean G. Murphys Chrononauts (2015) schert Clowes sich nicht um historisch-brisante Was-Wäre-Wenn-Fragen, sondern nimmt eine Perspektive von unten an, wie ein Dialog zwischen Jack und einem Fremden zeigt. Auf dessen Frage „Hey Du, wenn du in der Zeit zurückreisen und Hitlers Mutter umlegen könntest, würdest du’s doch tun, oder?“ antwortet der Unbekannte: „Also, ich würd erstmal einen Tag zurück und Marino den Wurfarm brechen.“ Patience entwirft keine globalen Weltrettungs- oder Untergangsszenarien, sondern nimmt das private (Un-)Glück in den Blick. Dieses zerbrechliche Glück ist ein Schatz, der seinen einzigen Wert in der Gegenwart besitzt, bedroht von den Ängsten der Vergangenheit und den Sorgen um die Zukunft: „Jeder Moment, jede Entscheidung, jede Zellteilung verdiente so viel Aufmerksamkeit, als handelte es sich um das letzte, entscheidende Inning der World Series oder die Haarfasern bei einer ungeklärten Entführung.“
Viele Elemente in Patience sind Clowes-Lesern schon längst bekannt: Seine raffinierte Platzierung der Sprechblasen, deren manche hinter den Panelrändern verschwinden, so wie manche Gespräche sich aus der eigenen Reichweite entfernen. Seine Vorliebe für technische Apparaturen, deren Wirkung nicht hauptsächlich in einem SF-Effekt besteht, sondern vielmehr ein Lackmustest für das Wesen seines Besitzers ist (vgl. Der Todesstrahl). Und die phlegmatisch durch ihre Familiengeschichte stolpernden Figuren in Clowes‘ Kosmos (vgl. alles von ihm) erinnern an Chris Wares Jimmy Corrigan (oder anders herum), dessen Seiten aufregender gestaltet sind, dem Clowes aber in nichts nachsteht, wenn es um die Traurigkeit seiner bürgerlichen Gestalten geht. Ein Beobachter menschlicher Abgründe – wie Loriot (mausgrau, aschgrau oder steingrau?), nur farbenfroher und mit Zeitmaschine.
Loriot + Farben + Zeitmaschine
Reprodukt, 2017
Text und Zeichnungen: Daniel Clowes
Übersetzung: Jan Dinter
180 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 29 Euro
ISBN: 978-3-95640-119-0
Leseprobe