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Monster – Gesamtausgabe

Mit der Gesamtausgabe von Enki Bilals Monster-Tetralogie schließt der Carlsen Verlag eine wichtige Lücke im Gesamtwerk Enki Bilals. In Monster brach Bilal erstmals mit den klaren, strukturierten Konturen seiner vorangegangenen Arbeiten zugunsten einer skizzenhafteren Darstellungsweise, was die surreale, unwirkliche Atmosphäre noch vergrößert, die schon in seinen frühen Arbeiten angelegt war. Gleichzeitig fand er hier zu vielen Erzählmotiven, die er in den folgenden Werken oft aufs Neue aufgreifen und variieren würde.

Alle Abbildungen © Carlsen Verlag

Auf eine kurze Formel gebracht ist es die Widersprüchlichkeit des modernen menschlichen Lebens, die Bilal seither umtreibt, sowie die Notwendigkeit und gleichzeitig die Vergeblichkeit des menschlichen Erinnerns. In Monster ist es die Figur des Nike Hatzfeldt, eines Gedächtniskünstlers des 21. Jahrhunderts, der sich bis ins kleinste Detail an seine ersten Lebenstage während des Jugoslawienkriegs erinnern kann, als er mit zwei weiteren Waisenkindern namens Leyla und Amir unter dem offenen Dach eines ausgebombten Hospitals in Sarajevo liegen musste. Dem erwachsenen Nike ist es ein Anliegen, die beiden anderen Kinder wiederzusehen, nicht ahnend, wie stark sich gerade in seiner und in den Biografien der anderen beiden Waisenkinder die Verwerfungen der Zeit bündeln. Bald jedoch gerät Nike ins Visier einer radikal-monotheistischen Sekte, den sogenannten Obskurantisten, die sich aus fundamentalistischen Abweichlern des Judentums, des Christentums und des Islams zusammensetzen und deren Ziel allgemeinplanetarische Tabula Rasa ist, die Vernichtung jeglicher Erinnerung und Kultur. Dieser Sekte hat sich auch Amir, das zweite der drei Kinder angeschlossen, während Erinnerungskünstler Nike auf der Seite der von ihnen bedrohten Personen steht.

Man erkennt, wie hellsichtig Enki Bilal die globale Bedrohung des religiösen Fundamentalismus bereits in den 1990ern Jahren vorausgedacht hat, dennoch hat man bisweilen das Gefühl, er verliert den Fokus bei all den Motiven von fliegenden Fischen und verfremdeten Tieren, die durch seine Bilder schwirren. Es ist eben nicht nur der Schrecken des Talibanismus, der Bilal umtreibt; wäre dies der Fall, hätte er vielleicht eine stringentere Geschichte erzählt. Bei Bilal schwingt ein viel fundamentalerer Schrecken mit.

Terror-Fundamentalisten und Agenten

Ein immer wiederkehrendes Motiv in allen seinen Werken seit Monster ist, dass die Menschheit sich nach Jahrtausenden sich abwechselnder Hochkulturen heillos verrannt hat und aus ihrer Misere nicht mehr herausfindet. Der Wunsch nach Tabula Rasa ist also gar kein so abwegiger Gedanke, entsprechend hat Bilal die Idee des Obskurantismus in seinen Büchern Animal’z, Julia und Roem, sowie Die Farbe der Luft ein weiteres Mal aufgegriffen, mit dem Unterschied, dass es hier die Erde selbst ist, die die Menschheit und deren kulturellen Ballast von sich abstreift. Dennoch steht am Ende dann auch der Menschheit die gereinigte Welt als neuer Garten Eden ohne Zwänge zur Verfügung – was einen kitschigen Touch hat, aber auch die Konsequenz aus dem ist, was in der Trilogie von vorneherein angedacht war. Vielleicht wäre ein Ende ohne Menschen für Bilal auch schlichtweg sinnlos, weil Geschichte und Mensch einander bedingende Begriffe sind. Ohne Menschen gibt es keine Geschichten.

Auch in Bug, seinem neuesten Buch, greift Bilal den Wusch nach Tabula Rasa auf. Hier ist es der Zusammenbruch des Internets und der digitalen Infrastruktur, die die Menschheit auf sich selbst zurückwirft. Es rächt sich, dass der Mensch seine Kulturtechniken an die künstlichen Intelligenzen abgegeben hat und es sich in einer programmierten Realität gemütlich gemacht hat, so dass selbst das Schreiben von Hand oder das Begehen eines Hochhauses zum unlösbaren Problem wird, sobald die Technik zusammenbricht. Damit zeigt sich auch, dass Enki Bilal tief in seinem inneren ein sehr wertkonservativer Künstler ist, dessen surreale Kunst unterm Strich sehr einfache, greifbare Botschaften transportiert. Das jedoch in großen, wuchtigen Bildern.

Replikanten und feindselige Fliegen

Das erste Kapitel von Monster, 1998 noch unter dem Titel Der Schlaf des Monsters erschienen, ist sehr stark von der Bilderwelt des Films Blade Runner geprägt. Das spiegelt sich in den Fahrzeugen, in den Werbeaufschriften am Himmel, in den Frisuren, aber auch in der gezeigten Umwelt, die nur Städte und Wüsten zu kennen scheint, aber keine Natur. Tiere hingegen gibt es nur noch losgelöst von ihrem natürlichen Kontext und damit völlig der Herrschaft der Menschen ausgeliefert. Auch wenn dieses Detail in Monster nur eine Randnotiz ist und erst im späteren Animal’z zum zentralen Motiv wird, so zeigt sich doch auch darin die grundliegende Stimmung von Bilals Arbeiten. Während die Tiere entweder aussterben oder sich anpassen, sich aber im Kern ihres Wesens treu bleiben, ist der Mensch ohne Natur völlig auf seine verquere Kultur- und Gedankenwelt reduziert, also exakt der Wurzel des Übels, die ihn jetzt daran hindert, je wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. War Sprache und Kultur bereits von Anfang an der Virus des Menschen, so hatte er doch bisher immer noch seine Umwelt als Korrektiv. Jetzt aber ist das Virus die einzige Bezugsgröße, die dem Mensch noch bleibt.

Ist die Realität aufgezehrt, ist Realismus keine Option mehr, einzig auf den Surrealismus ist noch Verlass. Während es in Die Farbe der Luft die Umwelt ist, die sich in einer globalen Kraftanstrengung heilt, sind es in Monster die Menschen selbst, die sich nach und nach von innen heraus erneuern. Entsprechend ist es nur konsequent, dass die – teils sehr spannenden – Thrillerelemente aus Der Schlaf des Monsters in zunehmendem Verlauf der Geschichte bröckeln und irgendwann einfach nicht mehr relevant sind. Schlussendlich erklärt sich damit auch die Bezugnahme auf den Künstler Andy Warhol, dessen Name in Monster in immer neuen Anagrammen aufgegriffen wird. Ebenso wie Andy Warhol vertraute Bilder aus ihrem Kontext nahm und neu erfahrbar machte, wird auch in Monster jegliche menschliche Erfahrung neu gedacht und neu bewertet. So zum Beispiel, wenn der Tod dank Klontechnik und Bewusstseinsspeicherung zur biografischen Episode wird, Miniatombomben als Einladungen zu Happenings zweckentfremdet werden oder Krieg zur künstlerischen Performance wird. Losgelöst vom jeweiligen Kontext ist alles beliebig und der Tisch tatsächlich gereinigt. Nur dem Leben eine Bedeutung geben, das wird in einer solchen Umgebung noch schwieriger sein als je zuvor.

Monströs, ausufernd und surreal

9von10Monster – Gesamtausgabe
Carlsen, 2019
Text und Zeichnungen: Enki Bilal
Übersetzung: Harald Sachse
272 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 45,00 Euro
ISBN: 978-3-551-73365-8
Leseprobe

 

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