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Justus Jonas

Auf Rocky Beach folgt Justus Jonas, die nächste Interpretation aus der Feder von Christopher Tauber. Eines schon mal vorweg: Justus Jonas ist ein weiterer kreativer Volltreffer im Kosmos der drei Fragezeichen, und diesmal lässt Christopher Tauber recht ungefiltert seinen inneren Film-Buff von der Leine. Das gehört in der Drei-Fragezeichen-Welt zwar schon immer irgendwie dazu, aber diesmal begibt sich der Autor aufs Feld der dunkelsten Hollywood-Mythen und entwirft eine beachtliche Noir-Story, gleichermaßen gritty und dark. Diese Schwarzweiß-Interpretation der Drei ??? ist nix für Kinder.

Früher war es ein Side-Gag, dass Justus Jonas in seiner Kindheit Baby Fatso in einer Reihe von Kleine-Strolche-Filmen spielte; diesmal ist Justus‘ kurze Filmkarriere der Aufhänger für eine vertrackte Krimistory, in der es um die Abgründe der Filmindustrie geht. Wir erfahren, dass Justus‘ frühes Karriereende als Kinderschauspieler sich vor allem dem unglücklichen Umstand verdankt, das andere Kinderschauspieler ihn fies gemobbt haben, bis seine Tante Mathilda sich gezwungen sah, einzuschreiten und dem Spiel ein Ende setzte. Das bewahrte Justus in mehrfacher Hinsicht vor größerem Unglück, wobei Mobbing wird sich im weiteren Verlauf der Story noch als vergleichsweise kleines Übel erweisen wird, denn auch die Mobber sind nur Opfer in einem perfideren Spiel. Die Trennlinie zwischen Gut und Böse ist dünn und durchlässig in dieser Story.

Die lustige Oberfläche der Kleine Strolche-Filme erweist sich – und hier sind wir durchaus im Fahrwasser tatsächlicher Hollywood-Skandale – als Fassade: Dahinter verbirgt sich Ungeheuerliches. Teilweise erinnert das schon fast an David Cronenbergs sehenswerten Film Maps to the Stars, ein Film der sehr eindringlich das Problem der zerstörten Kindheit von Kinderstars thematisiert, wenngleich in einer späteren Ära. Der Justus-Jonas-Comic hingegen spielt in den 70er Jahren, bildet also ein Bindeglied zwischen den klassischen ???-Abenteuern und Rocky Beach, Taubers erster Interpretation, die er 2022 mit Hanna Wenzel gestaltet hatte.

Happy Days.

Man fragt sich unweigerlich, wie viel des klassischen Drei-Fragezeichen-Zaubers wohl Platz in dieser doch so viel düstereren Welt hat. Ein von Justus aufgehobener Zeitungsartikel dient uns immerhin als Versicherung, dass wenigstens der Fall um das Geisterschloss tatsächlich Teil von Justus‘ Biografie ist (eigentlich ist Gespensterschloss ja auch eine etwas queere Story um alternde Hollywood-Exzentriker, wenn man zwischen den Zeilen liest). Was die übrigen Fälle angeht, sind wir Leser selbst gefordert, an geeigneter Stelle eine Trennlinie zwischen jugendlichen Wunschvorstellungen und der Realität zu ziehen. In meiner Interpretation (sic!) werden es wohl ein, zwei supercoole Sommer gewesen sein, die Justus, Peter und Bob als Hobbydetektive in Santa Monica und Rocky Beach verbracht haben. Sowas währt halt nicht ewig und kollidiert früher oder später mit der „echten“ Welt.

Anderswo liest man in einer kürzlich erschienen Rezension zu Justus Jonas, Christopher Taubers Figuren wären in dieser Noir-Variante am Leben gescheiterte Figuren. So kommt mir das gar nicht vor. Justus ist arm und kann sich das College nicht leisten (das stimmt), und er muss bei seinem Onkel Titus auf dem Schrottplatz arbeiten. Andererseits: So wach, wie er durchs Leben geht, bleibt er doch eine positive Figur, selbst wenn seine Erscheinung von einer jungen Filmkomparsin recht rüde mit „Herrje, der ist ja immer noch ein Kind“ kommentiert wird.

Er gewinnt doch immer wieder sympathische Figuren für sich – aber leider auch Gauner und Tagediebe, was die Geschichte letztlich erst in Gang setzt: Einer seiner alten Mobber umschmeichelt Justus auf einer Party und gewinnt ihn für ein radikales Filmprojekt, so transgressiv und wild wie die Arbeiten von Dennis Hopper und Kenneth Anger, krasser New Underground des neuen Hollywood, so abseits von den kleine Strolchen und den alten Studios, wie’s nur geht. Nun hatte auch das alte Hollywood seine Schatten. New Hollywood ist aber doch noch eine Spur satanischer.

Transgression, Baby! Something real!

Eine Besonderheit in diesem ???-Spin-Off ist, dass die Story nahezu ausschließlich um Justus Jonas kreist. Aber auch Bob Andrews (dritter Detektiv) hat einen zwar kurzen, aber wirkungsvollen Nebenauftritt als nerdiger Drehbuchautor, der sich ein paar bedenkliche Angewohnheiten zugelegt hat, z.B. forciertes Wachbleiben unter diversen Aufputschmitteln, um solange automatisches Schreiben durchzuhalten, bis die krassen Ideen kommen. Ein herrlich durchgeknallter Auftritt, absolut stimmig im hippiesken Experimentiermilieu. Tauber und Pawlitza verstehen es hervorragend, den Geist der Zeit zu evozieren, der gleichzeitig Aufbruchstimmung andeutet und trotzdem drehen die meisten erfolglosen Hollywoodgespenster sich doch nur um sich selbst. Das ist clever konzipiert und derart schlüssig durchdacht, dass es sich fast schon authentisch anfühlt. Coole Sache.

Unter Nerds.

Marius Pawlitza zeichnet die Noir-Interpretation um einiges konventioneller als Hanna Wenzel, teilweise erinnert die Figurenzeichnung fast schon an Daniel Clowes, aber deutlich dynamischer und variabler in der Bildeinteilung. Visuell toll geführte Dialogpassagen gehen Pawlitza ebenso gut von der Hand wie wortlose Actionsequenzen, in denen das Lesetempo deutlich nach oben geht. Hier kommt keine Sekunde Langeweile auf. Allerhöchstens muss man eventuell hier und da zurückblättern, weil die Geschichte doch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit erfordert. Aber das ist eine gute Sache.

Obwohl die Geschichte im Großen und Ganzen abgeschlossen ist, gibt es einen locker eingeflochtenen Nebenstrang, der 1993 spielt und die Handlung von Rocky Beach lose weiterspinnt, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Das weckt die Erwartung, dass es demnächst mit weiteren Bänden in ähnlicher Erzählweise weiter geht. Ich freue mich sehr darüber, dass es dieses interessante Erzählkonzept gibt und zähle diese Serie von „Interpretationen“ zu den aufregendsten deutschen Comics der letzten Jahre.

Die drei Fragezeichen im Hollywood-Underground der 70er. Muss man lesen!

9von10Justus Jonas – Eine Interpretation
Kosmos, 2025
Text: Christopher Tauber
Zeichnungen: Marius Pawlitza
164 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 25 Euro
ISBN: 978-3440177525
Leseprobe

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