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Hill House: Ein Korb voller Köpfe & Das Puppenhaus

Das „Hill House“ öffnet seine Pforten in Black Label, einem Vorort von DC Comics. In diesem Horror-Anwesen spukt eine Wohngemeinschaft um den erblich vorbelasteten Horror-Gastgeber Joe Hill. Ein Korb voller Köpfe und Das Puppenhaus sind die ersten beiden Bände, die Panini nach Deutschland bringt.

Joe Hill hat seine Meriten zunächst als Autor von Kurzgeschichten und Romanen erworben, und als 2007 öffentlich wurde, dass Joe Hill eigentlich „Joseph Hillström King“ heißt, weil sein Vater die Horror-Legende Stephen King ist, bekam er noch mehr Aufmerksamkeit. Neben seinen literarischen und filmischen Projekten hat er sich schon längst für Comics interessiert: Die Horror-Serie Locke & Key (2008-13), die nur ein Comic-Projekt seiner zahlreichen ist, hat nun  auch Netflix erreicht und dringt damit auch zu comicaversen Leser*innen vor. DC hat Hill im Rahmen des Black Labels nun die Möglichkeit geboten, unter dem eigenen Label „Hill House“ ausgewählte Horrorgeschichten zu präsentieren. Fünf Titel sind in den USA bereits erschienen, deren erste beiden nun auch in Deutschland verfügbar sind. Die erste, Ein Korb voller Köpfe, stammt von Joe Hill selbst.

Ein Korb voller Köpfe

1983, in einer Zeit vor Amazon, Facebook und Netflix (man könnte fast von einer besseren Zeit sprechen, wenn es nicht so ein verkitschender Unsinn wäre), treffen June und Liam im nordamerikanischen Maine aufeinander. Ein kleiner Bundesstaat, den alle Interessierte der US-Wahl 2020 kennen, weil die Wahlleute-Regelung dort noch absurder ist als ohnehin schon. Horror-Fans kennen Maine als die Heimat von Stephen King, und dies ist nicht die einzige Anspielung auf seine Familienbiografie (bzw. die Werke seines Vaters), die Hill einstreut.

Alle Abbildungen © Panini Comics

Das junge Liebespaar wird aus der turteligen Zweisamkeit gerissen, als vier Sträflinge während der Arbeit auf Brody Island den Aufsehern entkommen. Liam, dessen Ferienjob als Hilfspolizist gerade ausgelaufen ist, darf an der aufregenden Suche nach den gefährlichen Verbrechern nicht teilnehmen. Er soll gemeinsam mit June das Haus des Sheriffs hüten. Wer hätte ahnen können, dass dort erst das Abenteuer wartet?

Die Sträflinge dringen in das Haus ein und nehmen Liam gefangen, um ein Geheimnis von ihm zu erfahren, das auch uns Leser*innen lange verborgen bleiben wird. Aber das macht nichts, denn darin besteht der Reiz der Geschichte, die Hill uns auftischt: Wir glauben, alles zu verstehen, und wissen doch nichts.

June bleibt allein im Haus. Wirklich allein? Natürlich nicht. Einer der Verbrecher spürt sie auf, und dann können wir alle aufatmen, dass eine magische Wikinger-Axt im Hause ist, womöglich ein Fall von Kunstraub, aber egal: Dieser Axt und der beeindruckenden Chuzpe der Heldin haben wir es zu verdanken, dass die Geschichte nun richtig an Fahrt aufnimmt.

Dieses fantastische Element (hier eine Axt, bei Stephen King gern Autos, Hotels, Wäschemangeln etc.) sorgt nicht nur dafür, dass die Übeltäter, denen June begegnet, einen Kopf kürzer gemacht werden, sondern auch, dass die abgeschlagenen Köpfe fortleben. In einem geflochtenen Korb trägt June, später mit dem ikonischen Horror-Regenmantel bekleidet, die plappernden Köpfe der Bösewichte umher: Niemals waren ‚Talking Heads‘ unterhaltsamer.

Die Geschichte zeichnet sich durch die Übereinstimmung von Figurenwissen und Leser*innenwissen aus. June hat keine Ahnung, was passiert. Und wir auch nicht. Punkt. Kopflos irren wir durch die Geschichte, stellen haltlose Hypothesen auf, folgen falschen Fährten und gehen Hill damit voll auf den Leim. Schon das Cover, das uns Splatter-Horror verspricht, führt uns in die Irre, denn der eigentliche Horror besteht darin, das wir dem Erzähler so gnadenlos ausgeliefert sind. Und zwar bis zum Schluss.

Zufälle bestimmen diese Welt, und Hill gelingt es, sie erzählerisch höchst plausibel zu gestalten. Die Farben von Dave Stewart prägen die verregnete, in Grau-Blau-Lila getauchte Septemberwelt in New England. In den Zeichnungen des italienischen Künstlers Massimiliano Leonardo (alias Leomacs) wächst die anfangs lasziv-naive June zu einer starken, selbstbestimmten Frau heran, die sich zu wehren weiß. Mit einer Axt.

Hill und Leomacs gelingt ein wechselreiches Spiel mit Magie, Horrorkonventionen, ein wenig Splatter und jeder Menge Humor.

Das Puppenhaus

Puppen haben etwas Gruseliges, das wissen die Kinder der 1980er, die Chucky, die Mörderpuppe kennenlernten, als sie lieber die Sendung mit der Maus hätten sehen sollen. Aber letztlich zieht das Unheimliche doch viel weitere Kreise: Lebensechte Gemälde, die uns mit ihren Augen verfolgen. Roboter, die wie Menschen agieren. Das Tote und Lebendige prallen aufeinander und erzeugen Grusel. Das wusste schon E.T.A. Hoffmann. Und auch M.R. Carey und Peter Gross. So kam es zu Das Puppenhaus.

1979 ist die Welt für die kleine Alice längst nicht mehr in Ordnung. Das Böse ist in ihrem Elternhaus heimisch geworden, als ihr Vater beginnt, ihre Mutter zu drangsalieren, zu beschimpfen, zu schlagen. Gruseliger könnte es nicht werden, denkt man, aber genauso kommt es natürlich.

Durch eine unerwartete Erbschaft gelangt ein altes Puppenhaus in das zerstrittene Heim. Drei Stockwerke, ein Dachboden und fünf Figuren, mit denen die unglückliche Alice zu spielen beginnt. Als die elterliche Eskalation für die Tochter am blauen Auge ihrer Mutter ersichtlich wird, zieht sie sich wieder zum Spielen zurück. Und plötzlich erwachen die Figuren zum Leben. Was harmlos beginnt, erweist sich als ein Alptraum, der schon seit Generationen währt und den Alice selbst noch lange mit sich herumtragen wird. Dieses Haus ist nun wirklich kein Traumhaus.

Generationen zuvor hat ein Vorfahr von Alice im Rahmen einer Landvermessung eine Höhle mit seltsamen Eigenschaften entdeckt. Er hat sie betreten (das war natürlich falsch), hat inmitten der Höhle mit einer fremden Frau geschlafen (noch viel falscher) und dann seinen Job aufgegeben (das ist mal falsch, mal nicht so falsch). Die Familie, die er nun gründet, ist von dem Makel jenes Dämons erfüllt, mit dessen Leib er in dieser Höhle verschmolzen war. Das Puppenhaus wird die Manifestation dieses Unheils werden.

Viele Jahre später wird Alice lernen, dass sie dieses Haus betreten kann, indem sie einen Spruch hersagt: „Ihr alle, kommt rein. Werdet gewogen und gewichtslos. Kommt raus allein.“ Für ein trauriges Mädchen eine verlockende Einladung, dem freudlosen Familienleben zu entkommen, zumal sie das Haus auch jederzeit wieder verlassen kann. Aber: Weder Dämonen noch magischen Puppenhäusern sollte man allzuviel Vertrauen schenken. Sie könnten es missbrauchen …

Die heile Welt der niedlichen Puppen ist genauso trügerisch wie das äußerlich intakte Familienleben von Alice und ihren Eltern. Immer wieder sind es äußere (und sehr wenig magische) Faktoren (Arbeitslosigkeit, Jugendheim, Alkohol, Mobbing), die als Motoren des Bösen fungieren und die Handlung von einem Unglück ins nächste stürzt. Dass im Hintergrund widerstreitende metaphysische Kräfte walten, spielt zwar eine große Rolle, aber Schlechtes gibt in dieser Welt auch ohne Dämonen.

Peter Gross (American Jesus) und M.R. Carey haben schon an The Unwritten mit großem Erfolg zusammengearbeitet, und so auch hier. Da die Puppen sich zeichnerisch nicht von den Figuren abheben, schwindet der Effekt, den man bei Automaten als „Uncanny Valley“ beschreibt, aber es ist gleichsam logisch, den künstlichen wie natürlichen Menschen den gleichen Status zuzuschreiben.

Weitaus weniger humorvoll als Joe Hills Ein Korb voller Köpfe inszenieren Carey und Gross eine Gruselgeschichte mit originellen Ideen, die sich wirklich gut lesen lässt. Die Eröffnung des Hill House ist definitiv ein Erfolg.

Fazit Ein Haus voller Köpfe:
Noch nie waren Talking Heads sinnvoller

8von10Ein Korb voller Köpfe
Panini, 2020
Text: Joe Hill
Zeichnungen: Leomacs
Farben: Dave Stewart
Übersetzung: Gerlinde Althoff
184 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3741620126

Leseprobe:

Fazit Das Puppenhaus:
Wer ist Herr in diesem Haus???

8von10Das Puppenhaus
Panini, 2020
Text: M. R. Carey
Zeichnungen: Peter Gross
Übersetzung: Gerlinde Althoff
160 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 19,00 Euro
ISBN: 978-3741620133

Leseprobe:

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