Der letztjährige Rummel um Lemires Black Hammer und dessen wucherndes Spin-off-Universum hört nicht auf. Nach Sherlock Frankenstein kommt nun Doctor Star auf den deutschen Markt.
Die Entstehungsgeschichte von Jeff Lemires Black Hammer geht bis ins Jahr 2007 zurück, als der kanadische Autor und Zeichner seine Idee bei Dark Horse vorstellte, dann aber zugunsten der Arbeit an Essex County, The Nobody, Sweet Tooth und weiteren (ziemlich brillanten) Comics und Comicserien zurückstellte. Im Juli 2016 erschien endlich der erste Teil, und seitdem geht das Black-Hammer-Universum durch die Decke wie einst der Aktienkurs von Netflix: Sherlock Frankenstein, Quantum Age und Cthu-Louise sind bisher erst teilweise in Deutschland erhältlich, Black Hammer ’45 wird in den USA erst im März 2019 erscheinen. Mit Doctor Star, dem zweiten Spin-off nach Sherlock Frankenstein, erwartet die Leserinnen und Leser ein Juwel der Spin-off-Produktion.
Zunächst zum Kontext: In Black Hammer geht es um eine Ex-Superheldenclique, die nicht weiß, wo sie ist. Oder wieso. Oder wie sie diesen öden Ort, der wie der Mittlere Kleinstadtwesten der USA ausschaut, wieder verlassen kann. Die sechsköpfige Patchworkfamilie weiß nur, dass es dort, wo sie leben, stinklangweilig ist (mehr dazu hier). Das sind keine typisch-heroischen Probleme (wie rette ich die Welt?), vielmehr ist es charakteristisch für Lemire, die menschlich-heroische Doppelidentität der Superhelden als eine Chiffre ihrer Zerrissenheit zu interpretieren. Menschen, die keine Helden sind. Helden, die nicht mehr sind als Menschen. Der Vergleich mit Alan Moores Watchmen liegt nicht allzu fern, natürlich nicht, aber darum geht es hier nicht.
Doctor Star erschien in vier Heften zwischen März und Juni 2018 bei Dark Horse und stellt eine Randfigur des Black-Hammer-Universums in den Fokus: Der Astrophysiker James Robinson wird 1941 von der Regierung beauftragt, die mysteriöse „Parazone“ zu finden, einen Raum zwischen den Dimensionen, der Reisen durch Raum und Zeit zu ermöglichen scheint und in der Hauptserie eine erhebliche Rolle spielt. Er macht Fortschritte mit seinen Raum-Zeit-Reisen, und so kämpft der junge Familienvater als furchtloser Doctor Star in Europa gegen die Nazis. Ziemlich cool, findet zunächst auch sein Sohn Charlie, bis Papa 1951 auf der Suche nach intelligentem Leben einer zeitlichen Verzerrung ausgesetzt wird und erst nach 18 Jahren zurückkehrt. Eine Rück-, aber keine Heimkehr. Seine Frau fühlt sich (nicht ganz zu Unrecht) von ihm verlassen und vegetiert in Gesellschaft diverser Spirituosen in einer Bungalowruine vor sich hin. Sein Sohn Charlie, ist in den Vietnamkrieg gezogen und möchte von seinem Vater nichts mehr wissen. Ein schönes Beispiel für echte Tragik – James Robinson scheitert trotz bester Absichten kolossal. Was für eine Hybris, wenn er geglaubt hat, er könne nach den Sternen greifen, ohne dafür einen Preis zahlen zu müssen.
Nach seiner enttäuschenden Rückkehr trifft er auf den inzwischen erwachsenen Charlie, der seinem Vater sagt, er solle nun nicht den Helden spielen, indem er versuche, seine Fehler rückgängig zu machen. Eine trickreiche Formulierung, denn „den Helden spielen“ ist hier zugleich wörtlich und bildhaft gemeint. Denn Doctor Star „spielt“ den Helden insofern, als dass es für ihn ein Jungentraum ist. Ein Spiel, und zwar kein verantwortungsvolles, wie James Robinson selbst einsieht: „Während ich den Rätseln des Alls und den Fantasien meiner Kindheit nachgejagt bin, ist deine Kindheit an mir vorbeigezogen.“ (S. 85) Die heroische Doppelidentität ist also eigentlich eine ganz menschliche: Star ist Geldverdiener, Robinson Familienvater, und dies ist in der echten Welt schon schwer genug.
Es ist kein großes Geheimnis, dass Lemire mit Vorliebe dramatische Vater-Sohn-Geschichten in Szene setzt (hier mehr dazu). Die wundervolle SF-Serie Descender (2016-18) handelt von Androiden, die sich von ihren Schöpfern emanzipieren (oder eben nicht), in Der Unterwasserschweißer (2012) geht es um einen alkoholkranken werdenden Vater und dessen Vater und auch bei Essex County (2008) kämpfen die Menschen nicht gegen außerirdische Fabelwesen, sondern mit den ganz banalen Dramen ganz banaler Familien. In diese Reihe gliedert Doctor Star sich ganz bruchlos ein. Es ist eine wundervolle, zu Tränen rührende Geschichte, die ganz wesentlich von der rückblickenden Erzählperspektive und der Erzählerstimme des Protagonisten lebt. Doctor Star ist das rührendste Spin-off des Black-Hammer-Universums. Dank der Illustrationen von Max Fiumara ist es auch zeichnerisch gewaltiger als etwa Quantum Age und setzt sich auch vom Stil der Hauptserie (Dean Ormston) ab.
Lemire hat ein Händchen dafür, Geschichten enden zu lassen. In einem Interview sagte er einmal, dass er das Ende von Anfang an vor Augen habe und daher ganz konzentriert darauf hinschreiben könne. Doctor Star ist ein Exempel für diese Behauptung. Eine rührende Story mit hinreißenden Zeichnungen.
Lemires bislang bestes Black-Hammer-Spin-off
Splitter, 2019
Text: Jeff Lemire
Zeichnungen: Max Fiumara
Farben: Dave Stewart
Übersetzung: Katrin Aust
128 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 19,80 Euro
ISBN: 978-3962190392
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