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Sherlock Frankenstein und die Legion des Teufels

Jeff Lemires Black-Hammer-Spin-Off Sherlock Frankenstein pustet dem staubigen Superheldengenre den Rost vom flattrigen Cape. Wer keine Lust mehr auf Marvels Kino-Frontalangriff auf den guten Geschmack hat, sollte Lemires Sherlock Frankenstein lesen.

Alle Abbildungen © Splitter

Superhelden haben getan, was Superhelden tun müssen und allen anderen niemals gelingt: die Welt retten. Bedauerlich ist, dass die tapferen Weltenretter nach ihrem Sieg gegen den Oberschurken Anti-Gott allesamt verschwunden sind und die Welt mit ihrer Trauer um ihre National-, Volks- und Globalhelden alleinlassen. Lucy Weber kann sich mit dem Verlust ihres Vaters, „Black Hammer“, nicht abfinden und geht zehn Jahre nach den Ereignissen auf die Suche nach ihm. Da ihre journalistischen Rechercheskillz über Google & Co. hinausgehen, wendet sie sich nicht an die größten Widersacher ihres Vaters. Fluchtpunkt ihrer Quest ist Sherlock Frankenstein, ein Quereinsteiger-Schurke mit atypischem Lebenslauf. Halb polizei-affiner Arthur-Conan-Doyle-Detektiv, halb biotechnologisch perfektioniertes Mary-Shelley-Monster hat er als Streiter für das Gute begonnen – bis zum Tode seiner Gefährtin. Vor Gram über sein Verfehlen, sie nicht vor dem Tod bewahren zu können, wandelt er sich zu einem angsteinflößenden Superschurken. Auch eine Origin-Story. Lucys Suche verläuft nicht ohne Hindernisse: Sie stolpert zugleich durch das Black-Hammer-Universum und durch die Comic- und Kulturgeschichte: Sie besucht ein Sanatorium, das an Batmans Arkham Asylum erinnert. Sie begegnet dem Klempner Lou, der in ein Lovecraft’sches Cthu-Lou-Monster verwandelt wird. Die Figuren durchleben ein Golden- und ein Silver Age, und der Leser durchwandert gemeinsam mit Lucy Lemires Lektüregedächtnis.

Ist das schräge Fensterkreuz etwa eine Frank-Miller-Reminiszenz? Es würde nicht wundern …

Sherlock Frankenstein ist der erste Spin-off aus Jeff Lemires erfolgreichem Black-Hammer-Universum (zwei Eisner Awards 2017, Verfilmung geplant), dem inzwischen Doctor Star and the Kingdom of Lost Tomorrows (seit März 2018) und Quantum Age (seit August 2018) gefolgt sind. Sherlock Frankenstein umfasst die vier Nummern, die zwischen Oktober 2017 und Januar 2018 bei Dark Horse erschienen sind, und darüber hinaus einen 28-seitigen Appendix mit Vorzeichnungen und Titelentwürfen.

Lucy ist die Protagonistin, Sherlock Frankenstein aber das Zentrum der Erzählung. Es ist nicht die Suchende, die eine Wandlung durchläuft, sondern der Gegenspieler, dessen Entwicklung vom Helden zum Schurken und schließlich zu einer Figur mit ambivalenten Eigenschaften führt. Seine Zerrissenheit zeigt sich schon im Namen: Er ist nicht nur Dr. Frankenstein, der in einem Humanexperiment die Grenze von Leben und Tod verschoben hat, sondern auch Frankensteins Kreatur selbst. Wie immer bei Lemire steht nicht die Handlung im Vordergrund, er gestaltet vielmehr skurrile Figuren und komplexe Beziehungen, während die Handlung nur dazu dient, den Figuren einen Aktionsrahmen zu schaffen. Lucy begegnet auf ihrer Suche lauter Außenseitern, deren Lebensentwürfe allesamt für eigene Spin-offs taugen. Sherlock Frankenstein beginnt mit einer Trauerrede von Dr. Star, dem Lemire eben ein eigenes Spin-off gewidmet hat. Und vielleicht sogar ein noch stärkeres: Doctor Star ist grafisch imposant (Max Fiumara!) und hat vielleicht sogar die interessantere Nebenfigur aus dem Black-Hammer-Universum zu bieten. Aber auch David Rubín, Zeichner von Sherlock Frankenstein hat sich mächtig ins Zeug gelegt: Ungewöhnlich viele Doppelseiten machen den Comic zu einem Panorama-Erlebnis.

Ohne Frage: Der Band richtet sich an Black-Hammer-Fans (das sind nicht wenige), die das rätselhafte Universum besser verstehen lernen möchten. Wer die Hauptserie nicht kennt und eine spannende, isolierte Handlung erwartet, muss hingegen Abstriche machen: Dies ist nicht die Stärke des Bandes, der mit viel Liebe eine Panoptikum schräger und schrägster Vögel präsentiert. Vor dem Hintergrund der cineastischen Marvel-Inflation (99% Action, 1% interessante Charaktere) ist Lemires Comic ein sehr unterhaltsamer wie auch ansehnlicher Gegenentwurf.

Arthur Conan Doyle küsst Mary Shelley

Sherlock Frankenstein und die Legion des Teufels8von10
Splitter, 2018
Text: Jeff Lemire
Zeichnungen: David Rubín
Übersetzung: Katrin Aust
152 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 19,80 Euro
ISBN: 978-3962190835
Leseprobe

 

5 Kommentare

  1. Tom sagt:

    Das ist ein sehr vielversprechendes Comic. Bin per Zufall darauf gestoßen und da ich sowohl von Marvel genervt bin, zeitgleich aber Arthur Conan Doyle als auch Frankensteinfan bin, fasziniert mich die Idee diese beiden Welten in einem Protagonisten vereint zu sehen. Diese Rezension macht Lust auf mehr – steht auf jeden Fall auf meiner Wunschliste für Weihnachten 2021. Vielen Dank :-)

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