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Berserker Unbound

Jeff Lemires Reise durch die Genres geht weiter: Nach Superhelden (Black Hammer etc.), Science Fiction (Descender) und Horror (Gideon Falls) wendet sich der kanadische Autor und Zeichner nun mit Berserker Unbound der Sword-and-Sorcery-Fantasy zu. 

Alle Abbildungen: © Splitter-Verlag

Bez, wie Lemire seinen Helden im Anhang nennt, kehrt nach einem harten Arbeitsjahr auf den Schlachtfeldern der Muskelprotze zurück nach Hause, um seine monumentale Streitaxt in den Schuppen zu stellen, seinen felligen Umhang waschen zu lassen und Frau sowie Tochter in seine noch monumentaleren Arme zu schließen.

Seine Heimkehr verläuft nicht nach seinen Erwartungen: Das Dorf ist geplündert, seine Familie ermordet. Nach nur fünf Seiten steht Bez vor den Trümmern seines Berserkerlebens und reagiert, wie fellbehangene Bersker dies nun einmal tun: mit Blutdurst und Rache. In einem rauschhaften Kampf lässt er die Angreifer seinen Zorn spüren: „Seht, warum die mich den Tod nennen.“ Und schon wird im Großformat gemetztelt wie in Frank Millers kruden Schlachtepen 300 oder Xerxes.

Nachdem sein Blutrausch vergangen und sein Kopf wieder klar ist, soweit man das von einem Barbaren erwarten kann, zieht Bez sich in eine Höhle zurück, deren magische Eigenheiten sich weder ihm noch uns erschließen. Urplötzlich gerät er in einen Raum-Zeit-Strudel und findet sich – „SHRAK“ – in einer anderen Dimension wieder.

Bei seiner Ankunft in unserer Gegenwart trifft der Bastardkönig auf den obdachlosen Joe Cobb, der seine Heimstatt in einem Wald nahe einer nordamerikanischen Metropole eingerichtet hat. Zwischen den beiden erhebt sich zunächst eine unüberwindliche Sprachbarriere: „Was is‘ n das für ’ne Sprache? Österreichisch oder so was?“ Man muss nicht tief im cineastischen Gedächtnis wühlen, um darin eine Reminiszenz an die wortkarge Barbaren-Verkörperung von Arnold Schwarzenegger in John Milius‘ Conan, the Barbarian (1982) zu erkennen.

Die beiden sind Leidensgenossen: Auch Cobb hat seine Familie verloren und pendelt nun ziellos zwischen Obdachloseneinrichtungen und Schnapsläden. Am Ende des dritten Kapitels (die Ausgabe umfasst sämtliche vier Hefte) erscheint ein Magier und bringt die Action zurück in die eher gemächlich sich entfaltende Handlung.

Da Bez kein Englisch und Cobb kein Berkerkerisch spricht, reden sie grundsätzlich aneinander vorbei bzw. monologisieren im Wechsel, wobei sich daraus einige Male Komik ergibt, so etwa, als sie während ihres Trinkgelages gleichzeitig den Wunsch äußern, noch mehr Schnaps gekauft zu haben. Dass man als Leser*in darüber schmunzeln darf, die Figuren aber danach in Schweigen versinken, sagt einiges über die Beziehung der beiden aus.

In Szenen wie derjenigen, als Bez bedauert, seine Kriegslust über das Familienglück gestellt zu haben, mag man an Lemires Black-Hammer-Spin-Off Doctor Star zurückdenken, wo der Protagonist Frau und Sohn zurücklässt, um sich vollauf der Wissenschaft zu widmen. Mehr noch fügt sich Berserker Unbound in die lange Reihe von Lemires Vater-Sohn-Szenarien ein, in denen absente Väter unglückliche Söhne zurücklassen (Der Unterwasserschweißer) oder Kinder von ihren Eltern getrennt werden (Secret Path).

Die starken Zeichnungen von Mike Deodato Jr., mit dem Lemire schon an Thanos Returns zusammengearbeitet hatte, passen sich atmosphärisch dem Genre an, reichlich pathetisch, aber stärker in den heroischen Splash Pages als in den emotionaleren Momenten.

Die Seitengestaltung sieht auf den ersten Blick etwas interessanter aus, als sie es tatsächlich ist. Viele Seiten werden von Split Panels dominiert, die allerdings oft wenig zur Struktur beitragen oder die Lektüre lenken. So kommen die durchgezogenen Panellinien eher als nettes Dekorum daher.

Lemire wandelt auf ihm bekannten Pfaden, wenn er die Grenzen des Genres auslotet, um am Ende keine erwartbare Geschichte von Rache und Eroberung zu erzählen, sondern von Familie, Selbstzweifeln und Freundschaft. Wenn Bez durch die nordamerikanische Großstadt wandert und sich über die dortigen Zustände wundert (sogar dem Barbaren erscheinen diese barbarisch), blitzt das Potential auf, der Gegenwart einen Spiegel vorzuhalten.

Für die vorliegenden 125 Seiten ist das ganz schön viel gewollt, und ein wenig macht die Story den Eindruck, als hätte die Reise nach den vier Ausgaben, die zwischen August und November 2019 bei Dark Horse erschienen sind, noch lange nicht enden sollen. Cobb und Bez unterhalten sich am Ende doch: „Wie weit reisen wir, Kumpel?“ – „So weit unser Weg uns führt, Kumpel.“ Allzu weit war es leider doch nicht. Als abgeschlossene Serie ist Berserker Unbound etwas zu kurz geraten, als Auftakt zu einer längeren Serie wäre es vielversprechend gewesen.

Mit Schwert und Sandalen in der Großstadt

7von10Berserker Unbound
Splitter Verlag, 2020
Text und Zeichnungen: Jeff Lemire
Zeichnungen: Mike Deodato Jr.
Übersetzung: Katrin Aust
136 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 19,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-373-7
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