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Die Hand Gottes – Das Leben von Diego Armando Maradona als Graphic Novel

Dieser Titel ist eine Überraschung. Zum einen sind Fußballer nur selten Gegenstand von Comic-Biografien, und zum anderen ist der Bielefelder Splitter Verlag eher bekannt für Fantasy und Science Fiction als für Sportgeschichte. „Die Hand Gottes“ klingt nach Fantasy, ist aber die Biografie des berühmtesten Argentiniers.

Alle Abbildungen © Splitter Verlag

„Sai perchè mi batte il Corazon? / Ho visto Maradona, Ho visto Maradona, / Oh mama inamorato sono.“ Viele Male sangen viele Tausende fanatischer Fußballsfans diese Liebeserklärung: Weißt du, warum mein Herz so schlägt? Ich habe Maradona gesehen. Oh Mama, ich bin verliebt.“ In den 1980ern war die ganze Welt in Diego Maradona verliebt.

Auf der Suche nach Fußball-Comics wird man rasch fündig, allerdings haben es nur wenige der Titel geschafft, anhaltende Aufmerksamkeit zu bekommen. Über das Weltmeisterschaftsfinale von 1974  ist 2002 ein niederländischer Comic von Guido van Driel erschienen, der 2016 bei avant aufgelegt wurde. Bei Splitter (Das Spiel der Brüder Werner) und auch bei Bahoe (Ein Match für Algerien) sind Bücher über besondere Momente der Fußballgeschichte erschienen, und über Pelé (2016) ist eine eigene Comic-Biografie verfasst worden, während Cristiano Ronaldo sogar zum Helden einer eigenen Serie „Striker Force 7“ (2020) geworden ist.

Manche Fußballhelden taugen offenbar auch zu Comichelden.

Aber dennoch: Sportler-Comic-Biografien sind seltener als solche über Musiker (David Bowie, Johnny Cash), Politiker (Erdogan) oder Schriftsteller (George Orwell, Mary Shelley). Wo sind die Langcomics über Micheal Stich, Jens Weißflog und Olaf Thon? Das Epos über die weiten Sprünge von Ulrike Meyfarth, die Würfe von Lars Riedel und die Läufe von Katrin Krabbe?  „Knesebeck, bitte helfen Sie“ möchte man rufen, weil kein Verlag so viel Engagement im Bereich der Comicbiografie zeigt wie dieser.

Der Splitter Verlag wiederum ist seit Jahren ein etablierter Ort für Fantasy- und Science-Fiction-Stoffe, aber Biografien spielen bisher nur am Rande eine Rolle. Eine Übersicht über die Biografien im Verlagsprogramm der letzten Jahre (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) verdeutlicht das:

2011–2018

– Frédéric Bertocchini, Jef: Jim Morrison – Poet des Chaos (2011)
– José-Louis Bocquet, Catel Muller: Die Frau ist frei geboren – Olympe de Gouges (2013)
– Harvey Pekar, JT Waldman: Ein anderes Israel (2016)
– Nicolas Otéro: Der Roman von Boddah – Wie ich Kurt Cobain getötet habe (2016)
– Marcel Pagnol: Der Ruhm meines Vaters (2017)
– Marcel Pagnol: Das Schloss meiner Mutter (2017)

2019

Philippe Collin, Sébastien Goethals: Die Reise des Marcel Grob
– Peter Eickmeyer: Der zweite Mann 1 – Der Adler landet
Peter Eickmeyer: Der zweite Mann 2 – Eine herrliche Einöde
Jean-Blaise Djian, Pierre-Roland Saint-Dizier, Vincent: Liberty Bessie 1 – Eine Pilotin aus Alabama

2020

– Philippe Collin, Sébastien Goethals: Das Spiel der Brüder Werner
Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer: Möser – die Graphic Novel
– Noël Simsolo, Dominique Hé: Alfred Hitchcock 1 – Der Mann aus London

2021

Jean-Blaise Djian, Pierre-Roland Saint-Dizier, Vincent: Liberty Bessie 2 – Auf den Spuren der Maylaro

2022

– Noël Simsolo, Dominique Hé: Alfred Hitchcock 2 – Der Meister des Suspense
Léonie Bischoff: Anaïs Nin – Im Meer der Lügen

2023

– José-Louis Bocquet, Catel: Alice Guy
Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer: Heinrich Heine – Eine Lebensfahrt
– Paolo Baron, Ernesto Carbonetti: Die Hand Gottes – Diego Armando Maradonas Leben als Graphic Novel
Harold Schechter, Eric Powell: Hast du gehört, was Ed Gein getan hat?
Patrick Oberholzer: Games – auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan

2024 (geplant)

– Amazing Ameziane: Quentin Tarantino
– Derf Backderf: Mein Freund Dahmer

Bei der Übersicht hat mich zunächst überrascht, dass Biografien doch eine gewisse Tradition im Splitter Verlag haben, wenngleich sie erst seit 2019 einen größeren Schwerpunkt darstellen, vor allem im Bereich Film und zukünftig offenbar auch im Genre True Crime. Max Schlegel vom Splitter Verlag sagt dazu: „Sachcomics im weiteren Sinne sind nicht pauschal mehr oder weniger erfolgreich als andere Themen. Wir nehmen diese Projekte nicht aus Kalkül fürs Gesamtprogramm auf, sondern entscheiden von Fall zu Fall, und auch der Erfolg dieser Titel ist jeweils sehr unterschiedlich. „

In Zukunft werden offenbar auch True-Crime-Titel einen Platz im Splitter-Programm haben.

Nun, Maradonas Leben ist bekanntermaßen keine einfache Erzählung. Der aus einerärmlichen Vorstadt von Buenos Aires stammende Diego fiel schon früh als versierter Straßenfußballer auf und führte Jugendmannschaften zu spektakulären Siegen. Mit 22 Jahren wechselte er zum FC Barcelona und 1984 zum SSC Neapel. Vor allem seine Phase in Italien begründete seinen internationalen Ruhm, weil die italienischen Fans Maradona dafür bewunderten, den bislang erfolglosen Verein zu mehreren nationalen wie internationalen Titeln zu führen.

„Ho visto Maradona“ – die ganze Faszination dieses Ballkünstlers beruht darauf, dass man ihn und sein Spiel gesehen haben muss. Seinen artistischen Umgang mit dem Ball, der seinen wilden Launen blind zu gehorchen scheint, aber auch sein biografisches Auf und Ab, das jedermann ersichtlich ist, der eine Bildergalerie seiner Erfolge und Abstürze ansieht.

Darin liegt die Herausforderung einer Comic-Biografie über Maradona, denn die Bilder konkurrieren mit den authentischen und charismatischen (Video-)Bildern. Wie soll man Maradonas legendäres Halbfinaltor gegen die Engländer 1986, jenes „Tor des Jahrhunderts“ in Panels ausdrücken? Wie soll man die Dynamik dieses 60-Meter-Laufes über das halbe Spielfeld in statische Bilder transportieren? Carbonetti versucht es, indem er sechs als TV-Bildschirm-Ausschnitte gestaltete Momente auf einer Doppelseite arrangiert. „Es war ergreifend“, steht daneben. Ja, aber es könnte kaum langweiliger inszeniert werden, muss man ergänzen. Mit dem Zauber des DSC Wanne-Eickel und in der Optik alter Atari-Spiele erahnt man bestenfalls einen historischen Moment in der Fußballgeschichte.

Von Maradonas Eleganz lässt Carbonetti nicht viel übrig.

Die an den Fernsehbildern orientierten Ausschnitte können die Faszination dieses Moments weder einfangen noch überhaupt erahnen lassen. Abgesehen davon, dass Details schlichtweg falsch dargestellt sind. Plötzlich taucht der englische Mittelfeldspieler Glenn Hoddle im Comic dort auf, wo eigentlich der argentinische Stürmer Burruchaga gestanden hat.

Maradonas Leben hat viele interessante Facetten: seine Begeisterung für den Kommunismus und insbesondere seine Bewunderung Fidel Castros. Seine bizarr-selbstverliebten Auftritte in der Öffentlichkeit. Wer Interviews des jungen Maradonas liest oder ansieht, wird einen nachdenklichen Mann erleben, der seine Position als Emporkömmling aus einfachsten Verhältnissen nicht nur sehr oft zur Sprache bringt, sondern sie auch kritisch hinterfragt. Die Verehrung seiner Fans, die nach diversen Eskapaden und dem WM-Spiel gegen Italien 1990 in Hass umschlug. Seine anhaltenden Drogenprobleme, die positiven Dopingtests, die Gewichtsprobleme und sein Hadern mit den Funktionären des Fußballsports. All das erwähnt der Comic, ohne irgendwo ganz einzutauchen. Maradona ist ein Gladiator, er ist Zorro, er ist Slash, aber das Potpourri ist so wild, dass am Ende nicht klar wird, worum es Baron und Carbonetti geht.

Maradona ist ein Rächer mit sozialem Auftrag (Zorro), ein Pop-Star (Slash) und ein Kämpfer (Gladiator).

So viel Raum seine Fehltritte auch erhalten, bleibt der Erzähler doch immer ein glühender Fan: „Weil Maradona mir half zu wachsen. Sogar mit seinem schlechten Beispiel.“ Diese Einstellung ist keine gute Voraussetzung, um die Person besser zu verstehen.

Immerhin ist der Moment, als Maradona das legendäre Führungstor gegen die Engländer 1986 erzielte, indem er den Ball mit seiner Hand an dem englischen Torwart Peter Shilton vorbei ins Tor faustete, mit Phantasie dargestellt. „Es war der Kopf Maradonas, und die Hand Gottes“, kommentierte der schelmische Starspieler. Carbonetti versteckt die Hand hinter einem gleißenden Lichtpunkt, göttlich anmutend.

Wie Maradonas Leben hat dieser Comic seine guten Momente und seine Tiefpunkte.

Der 1,65 große Diego Maradona erzielt das wichtigste „Kopfball“-Tor seines Lebens gegen Peter Shilton, der ihm das bis zu seinem Tod niemals verziehen hat.

Ernesto Carbonetti hat zusammen mit Paul Baron bereits die beiden Musiker-Biografien Paul is dead (2020) und Jim lives (2021) bei Image Comics veröffentlicht. Maradona ist 2020 verstorben, seine Tore bleiben unvergessen. Wer neugierig geworden ist, sollte sich die jüngste Dokumentation von 2019 ansehen. Danach kann man sagen: Ho visto Maradona.

So gut und schlecht wie Maradonas Leben

5von10Die Hand Gottes – Diego Armando Maradonas Leben als Graphic Novel
Splitter Verlag, 2023
Text und Zeichnungen: Paolo Baron, Ernest Carbonetti
Übersetzung: Harald Sachse
136 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3-98721-160-7
Leseprobe

P.S.: Auch wenn es keinen Michael-Stich-Comic geben mag, hat die Michael-Stich-Stiftung einen Comic gefördert, in dem HIV-infizierte Jugendliche zu Wort kommen.

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