Rezensionen
Kommentare 1

Die Ballade von Halo Jones 2

Was bisher geschah: Nachdem ihnen der erste Teil von Halo Jones gut gefiel, haben Gerrit und Christian beschlossen, die Serie auch weiterhin zu begleiten.

Alle Abbildungen © Panini Comics

Christian: Ich hatte noch kaum zehn Seiten in den zweiten Band von Halo Jones hineingelesen, da überkam mich zum ersten Mal das Bedürfnis, meine Begeisterung zu äußern. Alan Moore und Ian Gibson gelingt es innerhalb von nur fünf Seiten, ein sehr inspiriertes Worldbuilding aus dem Ärmel zu schütteln, das auch den Gelegenheits- und Neuleser sofort in die Geschichte zieht. Dazu werden wir gleich zu Anfang in eine Universitätsvorlesung in ferner Zukunft versetzt, in der auf die Ära der Halo Jones zurückgeblickt wird. Halo, so erfahren wir, muss in einer sehr finsteren Zeit gelebt haben, doch es gelang ihr, sich aus Armut bis zu einer legendären Kriegerin hochzuarbeiten. Es heißt, „sie sei eine Kriegsverbrecherin gewesen, die den Tod von Millionen verursacht habe“. Das schafft Fallhöhe und macht enorm neugierig, denn bisher haben wir Halo Jones als quirlige junge Frau voller Tatendrang kennengelernt. Die Hoffnung bleibt, dass der akademische Betrieb hier einer Fehleinschätzung unterliegt, doch leider gelingt dem Dozenten während seiner Vorlesung eine sehr präzise Zusammenfassung der bisherigen Erlebnisse von Halo, was die Befürchtung zulässt, dass auch der unangenehme Teil seiner Zusammenfassung sich wohl bewahrheiten wird.

Gerrit: Naja, ob das raffiniert ist, steht auf einem anderen Blatt, zunächst einmal ist es ganz pragmatisch. Nachdem die ersten zehn Episoden von The Ballad of Halo Jones zwischen Juni und September 1984 im britischen 2000AD-Magazin erschienen sind, mussten die Leser*innen fünf Monate auf die Fortsetzung im Februar 1985 warten. Moore und Gibson sind wohl davon ausgegangen, dass die Leser*innen noch einmal daran erinnert werden müssen, wo die Erzählung gerade steht – zumal der erste Band nicht allzu handlungsorientiert war. Moore und Gibson opfern die erste Episode des zweiten Bandes voll und ganz auf dem Altar der seriellen Erzählbedingungen. Besonders unglücklich ist das Timing, weil die Shopping-Odyssee des ersten Bandes auch eher gemächlich voranschreitet.

Christian: Ich hatte schon immer ein Faible für so kleine Episodenzusammenfassungen. Die vermitteln so ein schönes Retro-Comicflair. Sehr schade, dass das aus der Mode gekommen ist. Mir fällt auch auf, dass man im zweiten Band etwas mehr an der Hand genommen wird. Beim ersten Band musste man sehen, wie man sich als Lesender durch den Informationsdschungel arbeitet. In Band 2 ist das deutlich abgefedert und weniger sperrig. Gleichzeitig sind wir inzwischen in der Welt von Halo Jones heimisch geworden, das Lesen von Halo Jones 2 vermittelt mir das Gefühl, angekommen zu sein. Gemeinsam mit Halo erforschen wir nun die Clara Pandy, das wunderbare Raumschiff, das Halo aus ihrer öden Heimat bringen soll. Es kommen dabei so einige verstörende und faszinierende Dinge zum Vorschein, die sich selbst Valerian und Laureline nur schwerlich vorstellen hätten können.

Gerrit: Du hast Recht: Der Prolog zum zweiten Band ist der größtmögliche Kontrast zum bisherigen Medias-in-res-Erzählen. Aber gut, da stehen wir nun einmal, und es gilt, den Tod von Brinna (vgl. Band 1) aufzuklären. Nun wird die Serie herrlich skurril: Ein Highlight ist der namenlose Mitreisende, der so eigenschaftslos, langweilig und blass ist, dass er stets ignoriert, vergessen oder übersehen wird. Aber auch die präsidialen Ratten oder das Geheimnis um Halos Hunde-Begleiter Toby – man wird tatsächlich Seite für Seite überrascht. Nicht zuletzt von dem Schicksal von Rodice, mit der Halo sich am Ende des Weltraums treffens möchte. Nun, da wird man als Leser wirklich überrascht.

Christian: Die präsidialen Ratten sind für mich eine der schönsten Schöpfungen Moores überhaupt. Der namenlose Mitreisende mit seiner/ihrer uneindeutigen Gender-Identität dagegen ist eine ziemlich bittere Figur. Auf mich wirkt sie wie eine Kritik auf eine Gesellschaft, die einerseits auf Konsum ausgerichtet ist und gleichzeitig keinen identitätsstiftenden Rückhalt zu bieten hat. Am Ende ist die Figur im wahrsten Sinne des Wortes „lost“. Ziemlich interessant, was sich Moore hier ausgedacht hat. Und nicht ganz unproblematisch.

Gerrit: Tatsächlich stellt Moore das Geschlecht sehr in der Vordergrund der Identitätsprobleme, indem er die Figur dieses Dutzende Male wechseln lässt: Sein Unvermögen, sich als Mann oder Frau zu verstehen, wird als Ausdruck seiner Eigenschaftslosigkeit interpretiert. Das hat heute einen anderen Beigeschmack als sicher noch in den 1980er Jahren. Wie bitter ist es, als Halo ihn/sie sogar dann ignoriert, als er/sie ihr Leben rettet. Allerdings bleibt er/sie so blass, dass ich ebensowenig Empathie entwickele wie die Figuren.

Nach dem sehr holprigen Start versöhnen mich die späteren Einfälle etwas mit diesem zweiten Band. Ich bin gespannt, ob der dritte Band plausibel macht, warum es sich eigentlich um eine Ballade handeln soll.

Christian: Der dritte Band vervollständigt und rundet die Erzählung ab, so viel kann ich dir verraten. Aber noch sind wir beim zweiten, der ganz klassisch den Übertritt aus der Welt des Mangels in die Welt des Abenteuers abbildet. Was mir persönlich sehr gut an der Serie gefällt, ist eine gewisse Einfachheit in der Struktur, und die sehe ich durchaus auch im ersten Teil schon: keine komplizierten Spiegelungen, Symmetrien, Meta- oder Binnenerzählungen, sondern geradliniges Abenteuer, das aber auf hohem Erzählniveau. Ich bin Panini sehr dankbar, dass diese Schaffensphase von Moore, die ich für seine interessanteste halte, wieder ins Bewusstsein geholt wird. Und bei aller Liebe zu meinen alten, holzigen 2000 A.D.-Heften: Die Kolorierung und die hochwertige Aufmachung stehen Halo Jones schon sehr gut.

7von10

Gerrits Fazit: Phantasievoll trotz zähem Start

 

 

 

9von10

Christians Fazit: Halo Jones entführt uns in eine faszinierende Welt voller Schrecken und Wunder

 

 

 

Halo Jones 2
Panini, 2021
Text: Alan Moore
Zeichnungen: Ian Gibson
Übersetzung: Timothy Stahl
64 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 17,00 Euro
ISBN: 978-3741621642
Leseprobe

1 Kommentare

  1. Pingback: Deep Beyond 1 |

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.