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Der große Reset

Ein Familienvater, der unter die Verschwörungsschwurbler geht. In Ika Sperlings Comicdebut Der große Reset wird der Familienvater auf Grund der zunehmenden Entfremdung nur noch als formloser Blob dargestellt. Aber ist das ein angemessener Umgang mit dem Thema?

Alle Abbildungen (c) Reprodukt.

Ika Sperling erzählt uns in Der große Reset, dass man mit dem Vater so gut wie keine vernünftigen Gespräche mehr führen kann, weil alles jederzeit in Richtung Klimalüge, Impfdiktatur, Umvolkung und großen Reset umkippen kann. Eigentlich kann man nur noch über ganz kindliche Sachen reden, fast, als hätte der Vater eine Krankheit, die das Gehirn zersetzt, Alzheimer vielleicht, oder Creutzfeldt-Jakob. Die geisterhaft-verschwindende Darstellung befördert die Sichtweise der Krankheit. Das Familienoberhaupt entgleitet.

Ich habe mich beim Lesen gefragt, inwiefern diese Darstellung des Vaters ethisch überhaupt vertretbar ist, denn wir werden beim Lesen Komplizen der Autorin, wie sie dem Vater die Persönlichkeit aberkennt und ersetzt durch eine ekelhafte, halb mit Flüssigkeit gefüllte Blasenfigur. Andererseits – war es nicht der Vater selbst, der sich von seiner Persönlichkeit verabschiedet hat? Dann wäre die Schleimfigur das, was Ika (sie heißt tatsächlich in der Geschichte ebenfalls Ika) dem Vater zurück spiegelt: „Sieh her, so sehen wir dich jetzt.“ Eine legitime Herangehensweise ist das insofern, dass Der große Reset an dem Punkt erst ansetzt, wo nur noch der totale Bruch möglich ist. Jetzt noch zum Vater stehen, würde nur noch in die Co-Abhängigkeit führen. Der Vater würde sich in seiner Haltung ganz sicher nicht beirren lassen und er würde das gemeinsame Leben in allen Bereichen mit seinem Gift/seiner Krankheit dominieren. Trotzdem bleibt ein fader Beigeschmack.

Das Verschwörungsgeblubber zermürbt.

Was der Comic nicht leistet: Wir bekommen keine Analyse über die Mechanismen des Abdriftens, nur eine Beschreibung des Ist-Zustands, wenn alles bereits zu spät ist. Das ist vor allem deswegen schade, weil Ika Sperling damit allzu liebgewonnene Sicherheiten zementiert und sich keiner Auseinandersetzung stellt. Mit Impfgegnern spricht man nicht, klare Kante gegen Schwurbler und Coronaleugner, schon klar. Aber nicht alle Impfgegner sind Deppen, und nicht alle, die Fridays for Future kritisieren, sind verantwortungslos. Die Medienwelt, wie sie heute aufgestellt ist, lässt die Menschen mit zu vielen Widersprüchen allein, einige macht das krank. Vielleicht ist das die beste Erkenntnis, die wir aus Der große Reset ziehen können.

Erst im letzten Drittel ihres Comics gestattet es Ika Sperling, auch den Vater zu Wort kommen zu lassen. Auf die Frage, warum er die Familie in Stich lässt, nur weil er was im Internet gelesen hat, reagiert dieser trotzig: „Aber, machst du nicht genau das Gleiche? Du liest irgendwas im Internet, dass es wegen den Kühen zu viel Methan und deswegen Klimawandel geben soll und bist jetzt vegan?“ – „Aber ich glaube nicht an eine antisemitische Verschwörungstheorie!“ kontert Ika. Darauf Vater: „Antisemit. Schwurbler. Nazi. Für euch ist man immer gleich Nazi, wenn man sich mit alternativen Fakten beschäftigt. Unter meine Kommentare schreiben immer irgendwelche Leute: ‚Wenn es dir nicht gefällt, dann verpiss dich doch.‘ und genau das mach ich jetzt auch.“ Wäre es nicht interessant, an dieser Stelle die Stellschrauben der Radikalisierung zu suchen, anstelle nur ratlos den Scherbenhaufen anzustarren, den ein verpfuschtes Leben hinterlassen hat? Aber in Ikas Darstellung ist alles, was der Vater absondert, verbaler Brechdurchfall, was schon in der Art und Weise der Darstellung deutlich wird: eine fragmentierte Darstellung von oft gehörten Lügen.

Was vom Papa übrig bleibt.

Ika Sperling gelingen eigenwillige Figuren, denen sie in zahlreichen beiläufig wirkenden Szenenfolgen Leben einhaucht. Dabei zeigt sie auch ein gutes Gespür für Orte und Hintergründe, die sehr authentisch das ländliche Leben in einem Nest in Norddeutschland einfangen, ebenso gelingen ihr Bewegungen, Tierdarstellungen, Stimmungen, das Wechselspiel von Reduktion und Detailgenauigkeit je nach Bedarf. Störend hingegen ist die Oberflächigkeit der Gespräche. Mal werden Zigaretten geschnorrt, mal wird dem Hund beim Kacken zugesehen, dann geht’s darum, wer fahren muss, wenn man gemeinsam aufs Volksfest geht. Das holt natürlich jeden beim Lesen ab und lenkt nicht ab vom Wesentlichen, andererseits fragte ich mich spätestens ab der Hälfte, ob mich die Figuren hier wirklich interessieren. Den meisten Charakter entfaltet gegen Ende ausgerechnet der Vater, wenn er von seiner persönlichen Kränkung erzählt. Das kann so nicht gewollt sein.

Die stärkste Darstellung und sicherlich gewagteste künstlerische Entscheidung ist die Darstellung des Vaters als Unding. Es reduziert das Buch aber gleichzeitig auf diese eine Idee und umkreist sie. Im Grunde ist alles von Anfang an bereits endgültig festgefahren, es entfaltet sich uns lediglich etappenweise das Panorama, so wie es Ika Sperling wohl selbst ganz ähnlich erleben musste. Einmal mehr entpuppt sich die Graphic Novel als Sonderform des Comics eher als Zwischenform von konkreter Lyrik, darstellender und bildender Kunst. Mit tatsächlichem Erzählen hat das nur am Rande zu tun.

Stimmungsvoll und bedrückend.

Ein ergänzender Text zur vorliegenden Rezension, der einige Positionen noch einmal nachjustiert, findet sich in der Kalenderwoche 40 der Kolumne Währenddessen.

6von10Der große Reset
Reprodukt, 2024
Text und Zeichnungen: Ika Sperling
172 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 24 Euro
ISBN: 978-3956404078
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