Blueberry reitet wieder. Nachdem die erste Ausgabe der letzten Blueberry-Gesamtausgabe nun auch schon wieder 13 Jahre zurückliegt, ist es dringend Zeit geworden für eine Neuauflage. Glücklicherweise hat man sich für einen radikal anderen Look entschieden. Die neue Collector’s Edition unterscheidet sich so stark von der letzten Veröffentlichung von 2006, dass man schon fast von einem anderen Comic sprechen kann.
Natürlich bleibt die Serie im Kern die gleiche. Schon die ersten beiden Alben – „Fort Navajo“ und „Aufruhr im Westen“ – schlagen einen Ton an, den ich in meinem letztjährigen Aufsatz über Autor Jean-Michel Charlier bereits als „Totentanz“ bezeichnet habe. Die verfahrene Situation zu Beginn von „Aufruhr im Westen“ bringt das ganz gut auf den Punkt, deshalb im Folgenden eine kleine Zusammenfassung:
Der fanatische Major Bascom, der das entlegene Fort Navajo ohne Not in einen Indianerkrieg gestürzt hat, möchte an den Indianerhäuptlingen, die er durch einen schäbigen Verrat gefangen nehmen konnte, ein Exempel statuieren. Bei Morgengrauen will er den ältesten der Gefangenen sichtbar für alle Indianer, die das Fort belagern, am Galgen aufhängen, um seine Unnachgiebigkeit bei den Verhandlungen zu demonstrieren. Leutnant Blueberry selbst sieht keine Chance, das Verbrechen zu verhindern, doch Freund Zufall spielt ihm in die Hände, als der von der Obrigkeit gemobbte Soldat Blaurock-Crowe, ein Halbindianer, sein Regiment verrät und die Indianer eigenhändig befreit. Es ist das erste, aber nicht das letzte Mal, dass sich das Freund-Feind-Gefüge verschiebt, denn der stramme Blaurock Blueberry und der Verräter Crowe stehen sich nun als Feinde gegenüber – der Antagonist dabei eindeutig auf der Seite der Gerechten. Aber dann unternimmt Blueberry, unser Mann fürs Grobe, der Falschspieler und Sprengmeister unter den Westernhelden, selbst einen Ausfall aus dem belagerten Fort, sowohl, um Hilfsgüter fürs Fort zu organisieren als auch, um eben doch noch den Frieden zwischen den Indianern, den Siedlern und Soldaten wiederherzustellen.
Das ist auch heute noch ebenso ambivalenter wie aufregender Stoff, und man kann sich nur noch schwer vorstellen, welchen Eindruck diese Stories in den Jahren 1963 bis 1965 bei ihren jugendlichen Lesern hinterlassen haben, denn so aufregend waren tatsächlich damals nur wenige Filme; solche Abenteuer boten nur die Comics. Heutzutage mag das Männerbild, das uns Jean-Michel-Charlier und Jean Giraud in diesen Comics präsentieren, überkommen wirken, aber der Strahlkraft dieser gefährlichen Männlichkeit – Blueberry wurde mit den Gesichtszügen des damals populären Jean-Paul Belmondo ausgestattet – kann man sich auch heute nicht völlig entziehen.
Die nun vorliegende Collector’s Edition ist unter den Blueberry-Fans umstritten. Das liegt zum einen an der Wahl des Papiers, rauh und saugend, nicht glatt und gestrichen. Dadurch leuchten die Farben nicht. Kritische Stimmen sprechen davon, dass die Farben verlaufen und „absaufen“, man könne dies vor allem an den Nachtszenen gut sehen. Nun ist es schwer, einen direkten Vergleich zwischen den Druckfassungen zu führen, da bei den Blueberry-Chroniken, welche auf glattem, mattgestrichenen Papier gedruckt sind, gerade bei den vorliegenden Kapiteln auf eine Neukolorierung zurückgegriffen wurde. Mein rein subjektiver Eindruck jedoch ist, dass die klassische Kolorierung, welche uns im neuen Buch präsentiert wird, hervorragend zum rauen Papier passt. Das wichtigste Kriterium ist meiner Meinung nach erfüllt: Schwarztöne sind nicht grau, sondern tatsächlich deckend schwarz. Anders als die moderne Digitalkolorierung von 2006 ist die klassische Farbgebung mit interessanten Farbverläufen und beeindruckenden Hell-Dunkel-Effekten, die in der Neukolorierung einer deutlich reduzierteren Palette weichen mussten.
Beim dritten Album, „Der einsame Adler“, liegt mir die Möglichkeit vor, die Collector’s Edition mit der Zack-Albumversion von 1978 zu vergleichen. Die Kiosk-Alben dieser Ära haben den Ruf, von hervorragender Druckqualität zu sein. Außer einem leicht größeren Glanz lassen sich gegenüber der Collector’s Edition jedoch keine Unterschiede beim Farbauftrag feststellen. Die Kritik ist wohl vor allem dem Glaubenskampf zwischen Anhängern unterschiedlicher Papiersorten geschuldet. Es gibt jedoch einen weiteren, schwerwiegenderen Kritikpunkt: Das Lettering der Neuausgabe passe nicht zu den Zeichnungen. Anhand der im Dokumentarteil abgedruckten Originalseite kann man gut sehen, wie stark sich das ursprüngliche Lettering vom verwendeten Schriftfont unterscheidet. Auch ich finde es schade, dass man erneut auf das bewährte Lettering der Chroniken zurückgegriffen hat und nicht stattdessen die Buchstaben der Jerry-Spring-Bücher hernahm, die ja ebenfalls bei Egmont erschienen sind. Sie wären weit näher an der Originalversion gelegen. Aber es hätte deutlich mehr Platz benötigt und die Texte hätten teils gekürzt werden müssen.
Das Lettering einer Comicseite ist weit mehr als nur Mittel zum Zweck. (Die Comicgate-Printausgabe 8 ist randvoll mit Beispielen zu diesem Thema). Erst letztes Jahr hat man das beim Carlsen Verlag erkannt und nicht zuletzt aufgrund eines überarbeiteten Letterings eine Neuauflage der Reihe Gaston gestartet. 2018 schrieb dazu der verantwortliche Redakteur Klaus Schikowski im Comicforum: „Seitdem ich bei Carlsen bin, wird mir mitgeteilt, wie unglücklich die Erben von Franquin mit dem Lettering der deutschen (gelben) Ausgabe sind. Die Groß-/Kleinschreibung sei nicht im Sinne des Schöpfers, dessen Lettering komplett aus Versalien besteht (und vor allem von Hand gelettert ist). Insofern würde die graphische Gesamtkomposition in der deutschen Ausgabe nicht wiedergegeben. Hinzu kommt – und das ist dann in der Regel dem ästhetischen Gefühl des jeweiligen Redakteurs zuzuschreiben – sei in den Sprechblasen zu viel Luft um den Text.“
Solche Gedanken scheinen bei der Neuedition von Blueberry bislang keine Rolle zu spielen. Aber bleiben wir fair. Auch die beliebte Bearbeitung der Reihe Buck Danny durch Salleck Publications hat nicht das weitaus lebendigere Lettering der Originalseiten – und überhaupt wird Lettering nicht immer der gebührende Stellenwert eingeräumt. Selbst deutsche Eigenproduktionen präsentieren sich unter Wert, wenn die Verantwortlichen denken, das Lettering sei nur dazu da, den Text nachzuliefern, ohne die ästhetische Bedeutung mitzubedenken. Ich akzeptiere die Lettering-Entscheidung des Egmont Verlags, den alten Font wiederzuverwenden, vor allem da ich keine Lust habe, Egmont hier für etwas zu kritisieren, was ich bei anderen Veröffentlichungen toleriere. Die Sprechblasen der Collector’s Edition sind – bis auf wenige Ausnahmen – gut ausgefüllt und es gibt eine angemessen fette Schrift bei Ausrufen. Zudem wurde die Schriftgröße dem vergrößerten Format gegenüber den Chroniken angepasst und wirkt tatsächlich etwas kräftiger. Aber weniger dünn und eine weitere Vergrößerung, die durch eine Veränderung des Textumbruchs durchaus möglich wäre, das wäre eine angemessene Maßnahme gewesen. Auch könnte man den inflationären Einsatz von Satzzeichen überdenken.
Es kommt nicht völlig aus heiterem Himmel, dass Egmont wenig Liebe von den Blueberry-Fans erfährt. Zum Beispiel wurde die Softcoverausgabe ab 1989 durch völlig unnötige Lettering-Experimente an die Wand gefahren, was vielen Lesern die Freude an dieser Ausgabe raubte. Die Gesamtausgabe von 2006 hingegen war zwar weitgehend in Ordnung, doch irritierte die vermeintlich chronologische Nummerierung, die auch spätere Spin-Offs wie Marshall Blueberry in die Hauptserie integrierte. Auch war das Format (etwas) kleiner, die Covergestaltung gewöhnungsbedürftig und das Lettering – wie bereits erwähnt – sehr klein.
Die Blueberry Collector’s Edition ist eine gelungene Version der Serie. Sie hat die Aufmerksamkeit von alten wie neuen Lesern verdient und lässt die Serie in einem ebenso interessanten wie opulenten Look erstrahlen. Auch soll nicht unerwähnt bleiben, dass die spannenden Geschichten den modernen Ansprüchen an eine Erzählung standhalten und gerade in ihrer Ambivalenz immer noch zeitgemäß wirken. Um wirklich Neuleser anzusprechen, sollte jedoch noch einmal an der Schrift geschraubt werden.
Und weshalb findet sich in einer Sprechblase eigentlich immer noch derselbe Rechtschreibfehler wie schon 2006? Würde Egmont etwas mehr ins Lektorat investieren, könnte hier eine schöne Sache entstehen. Auch der interessante Dokumentarteil hätte durchaus noch ein paar Glättungen vertragen können. Aufgrund solcher Nachlässigkeiten hat die Ausgabe, völlig unnötig, einen schalen Beigeschmack.
Eine weitgehend gelungene Gesamtausgabe, die aber im Lettering hinter den Möglichkeiten zurückbleibt
Egmont Comic Collection, 2019
Text: Jean-Michel Charlier
Zeichnungen: Jean Giraud
Übersetzung: Anselm Blocher und Astrid Ewerhardy-Blocher
176 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 39,00 Euro
ISBN: 978-3-7704-4082-5
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