Mitte der 80er erschien der letzte von Jean-Michel Charlier geschriebene Buck-Danny-Zyklus, damals unter dem Umbrella-Titel „Die großen Flieger- und Rennfahrer-Comics“. Die Story handelt von einer Terrorgruppe, angeführt von Buck Dannys Erzfeindin Lady X, die sich einiger amerikanischer Atombomben bemächtigt, um eine in Yucatan stattfindende Konferenz zu sprengen – maximaler Kolateralschaden ausdrücklich erwünscht.
Ein Mitglied der Bande jedoch, der Südamerikaner Juan, bekommt Skrupel, als er die Dimension des geplanten Massakers erfasst. „Hat euch euer Hass denn wahnsinnig gemacht?“ schreit er, „eure Bombe soll zwei Millionen Unschuldige umbringen?“ Juans Bedenken werden brüsk weggefegt: „Jede gerechte Sache braucht ihre Märtyrer! Der Zweck heiligt die Mittel.“ Sonnenklar, dass Juan seine Ankündigung, das Vorhaben zu verhindern, nicht lange überleben wird. Lady X, ruchlos wie nie zuvor, hat sich einen besonders perfiden Plan ausgedacht: Um zu verhindern, dass Juan eventuelle Mitverschwörer auf seine Seite zieht, ermöglicht sie ihm scheinbar die Flucht, allerdings mit einem manipulierten Funkgerät, das ihm den Kopf wegsprengt, als er ein Notsignal absetzen will. Bei so viel Hass und Zerstörungswut wird selbst Jack Bauer blass.
Zehn Jahre vorher, 1973, hieß Buck Danny in Deutschland noch Rex. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich in einem alten Rex-Danny-Heft den ersten Auftritt der tödlichen Lady X fand, der gar nicht mit der späteren Entwicklung der Serie in Einklang stand. Im Rex-Danny-Heft war die Lady verblendet, aber auch menschlich nahbar, eher fehlgeleitet als böse. Erst später wurde mir klar, dass der Übersetzer der Rex-Danny-Version eine ganz neue Geschichte erzählte. Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass ihm die weitergehende Continuity bald einen Strich durch seine betulich nachkriegsdeutsche, leicht piefige, grundgutmütige, altväterlich-paternalisitische Übersetzung machen würde.
Als Rex Danny im Bastei-Heft von 1973 von den Handlangern der Lady gefangen wird und Lady X zum ersten Mal trifft, durchschaut er trotz ihrer Maske sofort ihre wahre Identität. Als er ansetzt, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen, wird er jedoch brüsk von ihr unterbrochen: „Wenn Sie meinen Namen aussprechen, sind Sie ein toter Mann, Major! Hier nennt man mich Lady X!“ Es stellt sich heraus, dass Major Rex Jahre vorher der Fluglehrer der Lady war.
Rex: „Und was wollen Sie von mir, Lady? In der Fliegerei kann ich Ihnen kaum noch was beibringen!“
Lady X: „Danke! Sie waren ein ausgezeichneter Fluglehrer!“
Und dann reden sie über alte Zeiten und rätseln, wann sie sich das letzte Mal gesehen haben. Japan? Kongo? Deutschland? Die maskierte Schurkin versucht, den Major dafür zu gewinnen, ihr den Diebstahl von ein paar Flugmaschinen vom Typ Sabre zu ermöglichen, und stellt klar, dass sie trotz aller Rivalität hofft, dass man auch in Zukunft nie aufeinander schießen müsse. Sie erzählt so lange von ihren hochfliegenden Plänen, bis es dem Major zu bunt wird und er ihr die alberne Maske vom Gesicht reißt. „Runter damit. Können Sie mir jetzt in die Augen sehen?“ Die Lady wehrt sich noch mit „Schluss jetzt!“, aber der Major setzt nach und belehrt sie: „Sehen Sie! Mit der Maske fällt auch Ihre Selbstsicherheit! Sie sind gar nicht so überlegen, wie Sie tun, und fühlen sich selber gar nicht wohl in Ihrer Haut!“ Jetzt spricht er sie auch mit ihrem Vornamen Suzan an.
„Glaub ja nicht, daß du mich auf die weiche Tour kleinkriegst! Das süße Mädchen, das du gekannt hast, ist vor vielen Jahren gestorben!“, keift die Lady zurück, „Du weißt auch, woran es gestorben ist: an der Verkommenheit dieser Gesellschaft! Die Gesellschaft, zu der auch du gehörst, hat mich fertiggemacht.“ Mit diesen Worten lässt sie den Major allein und sperrt ihn ein. Daraufhin fängt Rex an zu grübeln: „Suzan Packard. We hätte das gedacht. Wir haben in derselben Straße gewohnt … Ein nettes begabtes Mädchen. Sie hat studiert. Später hat sie bei mir das Fliegen gelernt.“ Danny erinnert sich daran, dass sie die erste Frau war, die eine Düsenmaschine flog. Später schloss sie sich der Friedensbewegung an, was ihr große Schwierigkeiten einhandelte. So stellt man sich die typische Biografie eines Baader-Meinhof-Mädchens vor (auch wenn die erste Version der Story bereits 1959 in Der Heitere Friedolin erschienen ist. Die französische Originalstory ist von 1956).
Nichts davon findet sich in der vorlagentreuen Neuübersetzung, wie sie bei Carlsen und Salleck erschienen ist. Keine Vergangenheit eines Mädchens, das auf die schiefe Bahn kommt, keine angedichtete gemeinsame Vergangenheit. Auch erkennt Buck (!) Danny die Lady nicht bereits hinter der Maske. Er erkennt sie erst, als er ihr die Maske abreißt, aber eben nur als Berühmtheit, als „schnellste Frau der Welt“, die erschreckenderweise eine Verbrecherin ist, was er nie für möglich gehalten hätte. Kurz zusammengefasst: Im Original von Charlier war die Lady schon immer skrupellos, in der ersten deutschen Fassung ein braves Mädchen, das auf die schiefe Bahn geriet und dessen Seele noch gerettet werden kann.
Und so wird auch der Endfight zwischen Lady X und Rex Danny in der alten Version entsprechend umgedeutet. In der finalen Verfolgungsjagd mit Jets hat der Major bereits den Warnschuss abgegeben. Mit dem nächsten Schuss müsste er Suzan abschießen. Suzan weiß das. Mit den Worten „Rex meint’s ernst! Ich will ihm den Kummer ersparen!“ steuert sie ihre Maschine willentlich ins Meer und zerschellt. Rex erkennt, dass sich die Lady absichtlich geopfert hat, um ihm die Gewissensentscheidung zu ersparen: „Sie wusste, dass ich sie hätte abschießen müssen … Sie hat’s mir bewusst erspart.“
Das hat sich der Übersetzer alles so nett ausgedacht und war sicherlich zufrieden, mit wenigen Worten noch einmal eine komplett neue Erzählebene dazugedichtet zu haben, ein väterlich-freundschaftliches Verhältnis samt Zerwürfnis. Dazu noch Zeitgeschichte, Friedensbewegung und jugendliche Aggression gegen die Vätergeneration. Man möchte fast den Hut ziehen vor so viel Kreativität, die natürlich völlig übergriffig gegenüber dem Original war und die böse Lady zum Mädchen umgedeutet hat. Zu schade, dass das ganze schöne Konstrukt ein paar Hefte später implodierte, als die Lady wieder von den Toten zurückkehrte – von wegen Selbstaufopferung durch Selbstmord. Von nun an war die Lady auch in den Bastei-Heften die Inkarnation des Bösen. Der erzählerische Bruch war denkbar hart.
Liest man die alte Rex-Danny-Version der Geschichte, spürt man regelrecht den altväterlichen Tonfall der alten Bonner Bundesrepublik. Man fühlt sich an den Stil deutscher Groschenromane und die Krimis mit Blacky Fuchsberger erinnert. Obwohl der Plot der Geschichte gleich ist, machen die neu gesetzten Akzente eine komplett andere Geschichte daraus.