In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Christian: Es ist die imposante Schlussszene eines beeindruckenden Films. Auf dem Fußgängerüberweg nach Manhattan stapfen bereits die Zombies, unten fahren derweil die Autos in beide Richtungen, als wäre alles wie immer. Offensichtlich gibt es für die autofahrenden Menschen immer noch die eine oder andere Möglichkeit, etwas zu regeln und sie tun das mit demonstrativer Normalität, als wäre alles wie immer.
Lucio Fulcis Zombiefilm Woodoo von 1979 ist ein angenehm geradliniger Film, der gar nicht versucht, seinen lebenden Toten Persönlichkeit zu verleihen. Sie sind ganz einfach nur furchterregend, wiederlich und grauenerregend. Außerdem weiß ich zu schätzen, dass der Film nur schwer als feuchter Traum von Rednecks und America-First Aktivisten interpretiert werden kann, sondern seinen Ursprung in primitiveren Urängsten hat. Es geht nicht darum, die Gesellschaft in einer Wagenburg zusammenzuhalten, es geht um den Schrecken, dass die Toten nicht unter der Erde bleiben – that’s all. Kein gesellschaftlicher Diskurs, keine Psychologie, pure Angstlust. 40 Jahre nach Erscheinen von Woodoo wird mir klar, dass der Film in seiner Schlichtheit zeitloser ist, als die vielen prätentiösen Walking Dead-Aufarbeitungen der letzten Jahre. Die scheitern schon am Anfang ihrer Prämisse, denn jede Story, die von lebenden Toten handelt, ist ja zunächst mal ganz offensichtlich hanebüchener Quatsch. Wenn man trotzdem eine Geschichte mit lebenden Toten erzählt, so sollte sie möglichst als Alptraum inszeniert sein, nicht als Ingmar Bergmann-Drama.
Das Abschlussbild aus Woodoo hat eine Verwandtschaft zur Fernsehserie Fear of the Walking Dead, da eine Situation gezeigt wird, in der die Zombies noch nicht die Welt aufgefressen haben und die Gesellschaft in Teilen noch funktioniert. Der entscheidende Unterschied jedoch ist, dass Fulci uns hier nur ein Bild vorsetzt, in das wir selbst hineininterpretieren und hineinprojizieren können. Ich ziehe diese offene Dararstellung jederzeit dem Konzept der Endlos-Serie vor, denn ich möchte keinen endlosen Splatterfilm in 9 Staffeln und mehr sehen, der vorgibt, gesellschaftliche Diskurse auszuhandeln. Ich möchte einen Splatterfilm sehen, der mich pointiert mit meinen Ängsten konfrontiert und nach 90 Minuten wieder loslässt. Dummerweise dürfte das der Jugendschutz anders sehen, denn das wäre ja Horror und Gewalt aus Selbstzweck, und der ist aus unerfindlichen Gründen ja nie gern gesehen. Dabei wissen wir doch alle: „All art is quite useless.“
Kleine Fußnote am Rande: Woodoo ist erzählt wie ein Gruselhörspiel aus den 80er-Jahren. Die Stimmen, die Toneffekte, die geradlinige Story, da musste ich doch mehr als einmal an meine alten Kassetten wie Frankensteins Sohn im Horror-Labor oder Draculas Insel, Kerker des Grauens denken. In Sachen Drastik geht es dann noch ein bisschen mehr mehr in Richtung Larry Brent und die Kreuzfahrt der Skelette. Herzerwärmende Erinnerungen, fürwahr. Ich bin ja schon immer der Meinung, dass Kinder Märchen brauchen – und Heranwachsende brauchen Gruselhörspiele.
Niklas: Auch diese Woche widme ich mich einem Buch des verstorbenen Sir Terry Pratchett. Dieses Mal ist das 2001 erschienene Jugendbuch Maurice der Kater dran, das im englischen Original als The Amazing Maurice and His Educated Rodents veröffentlicht wurde.
Maurice der Kater ist offiziell Teil der Scheibenwelt-Romane und kann unabhängig von den anderen Büchern gelesen werden. Maurice ist ein sprechender Kater, der mit einem Clan intelligenter Ratten und einem Flöte spielenden Jungen (sein Name ist Keith, aber niemand fragt danach), in ein kleines Städtchen kommt, um dort kräftig abzukassieren. Ab dann wird es kompliziert und die kleine Gaunergruppe muss sich nicht nur vor Entdeckung, sondern auch dem Verlust der eigenen Identität fürchten.
Ähnlich wie in Eine Insel hinterfragt Maurice der Kater Klischees, Vorurteile sowie den Sinn und Unsinn von moralischen Vorstellungen des menschlichen Zusammenlebens; diesmal dreht es sich aber zentral um das Konzept des Erzählens von Geschichten. Man erzählt Kindern einfache Märchen mit einfachen Lektionen in der Hoffnung, sie auf die Komplexität des Lebens vorzubereiten. Später werden aus Geschichten dann Halbwahrheiten und Lügen, Gesetze und Moralvorstellungen, die man als wahr akzeptiert, da sie dem Leben Sinn und Ordnung geben. Denn wenn man den Menschen diese Geschichten von Gerechtigkeit und Güte wegnimmt, bleibt darunter nur ein ängstliches Tier, das mit der Komplexität seiner Situation nicht zurechtkommt. Letztendlich ist das Buch auch nur eine Geschichte über Geschichten, die versucht, Sinn in der sinnlosen Gewalt der Menschen zu finden und zum Schluss kommt, dass Menschen nun einmal Menschen sind.
Wenn sich das Ganze sehr zynisch liest, dann ist das gewollt. Maurice der Kater ist ein harsches Buch, das kein Blatt vor dem Mund nimmt. Aber es ist auch ein lustiges Buch: Pratchett wird ja meistens nachgesagt, humorvoll und albern zu sein und solche Szenen gibt es viele in Maurice der Kater, wenn zum Beispiel die tanzende Ratte Sardinen (ja, das ist sein Name) ihre Talente zeigt oder unser Hauptkater Streitgespräche mit dem Jungen führt (dessen Name immer noch Keith lautet, danke der Nachfrage). Doch ist es die Wut über die Ungerechtigkeit dieser Welt und die sture Weigerung der Menschen, sich zu ändern, die dieses Buch so stark für mich macht. Diese Wut sieht auch die Chance, dass die Menschheit sich neue Geschichten und Lektionen ausdenken könnten, Erzählungen, die Zusammenarbeit und Offenheit für Neues lehren, anstatt immer wieder auf die alten Lügen zurückzugreifen.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
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