In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Christian: Die Netflix-Serie The Umbrella Academy ist die Serie „to outmorrison Morrison“. Um das zu verstehen ist es sinnvoll zu wissen, dass Gerard Way, der Autor der Vorlage, ein glühender Verehrer von Grant Morrison ist und gar keinen Hehl daraus macht, dass Umbrella Academy ein epigonales Werk ist, in dem er auf vielfältige Weise Versatzstücke von Morrisons Comics aufgreift und neu anordnet. Am offensichtlichsten wären da natürlich die zahlreichen Querverbindungen zu Morrisons Doom Patrol zu nennen, aber auch die Kräfte seines Animal Man kommen in leicht variierter Form in der Figur der Vanya wieder zum Vorschein. Das Hin- und Herspringen zwischen den Dimensionen und den Zeitebenen erinnert an Zenith und The Invisibles, aber auch Morrisons New X-Men-Reihe ist nie weit entfernt. Die Anleihen sind zu offensichtlich, um zufällig zu sein, aber das stört nicht, denn das gelungene Skript verfolgt seine eigenen Ziele und bietet mehr als nur ein billiges Rip-off.
In der Fernsehserie ist neben der inhaltlichen Komponente aber noch ein weiterer Einfluss offensichtlich, der den Inszenierungsstil betrifft. Zunächst mal ist es wenig originell, dass der Stil sich an Quentin Tarantinos Filmen orientiert, an der Netflix-Serie Umbrella Academy gefällt mir aber, dass es hier nicht wie so oft die inhaltlichen Klischees sind, die von Tarantino abgekupfert werden, sondern die Art und Weise, wie erzählt wird. Tarantino ist nämlich durchaus ein versierter Stilist, nur würgt er seine Virtuosität oft mit repetitiven Erzählmustern und der übertriebenen Zurschaustellung seiner „Gewalt ist geil“-Attitüde ab. The Umbrella Academy hingegen liefert das Beste, was der Tarantino-Stil zu zeigen im Stande ist, ohne dass dabei zwingend jemandem in die Eier geschossen werden muss – und auch sonst gibt es dankenswerterweise nur wenig Splatter. The Umbrella Academy ist eine Serie, die überdeutlich ihre Einflüsse offenlegt, ohne sich dahinter verstecken zu müssen. Im Gegenteil werden die Vorbilder oft sogar übertroffen. Eine virtuose Serie, die zunehmend spannend wird und Lust auf Fortsetzungen macht.
Wie man hört, soll auch die Fernsehserie zur Doom Patrol herausragendes Fernsehen sein, und auch Gerard Ways neuer Run der Comicserie zur Doom Patrol soll einen Blick wert sein. Ganz offensichtlich wird das famose Frühwerk von Grant Morrison noch einige Jahre lang als Inspiration und Steinbruch von Ideen dienen.
Niklas: Es ist schon vier Jahre her, dass Sir Terry Pratchett diese Welt verließ. Ihm zu Ehren werde ich in der nächsten Zeit einige seiner Bücher vorstellen.
Den Anfang macht Eine Insel, ein Jugendbuch, das 2008 unter dem Originaltitel Nation erschien. In einem Paralleluniversum löscht ein gewaltiger Tsunami die gesamte Bevölkerung einer Insel aus und jetzt muss der junge Mau versuchen, sich als einziger Überlebender seines Volkes durchzuschlagen. Als er die Schiffbrüchige Daphne findet und weitere Flüchtlinge auftauchen, wird es kompliziert, denn nun müssen wieder Regeln etabliert werden, die das Zusammenleben in der Gesellschaft regeln. Aber welchen Sinn haben Regeln in einer Welt, in der eine ganze Zivilisation innerhalb eines Augenblicks zerstört werden kann?
Eine Insel ist eines von Pratchetts ernsteren Büchern. Das bedeutet nicht, dass es nicht genug Humor gibt, aber die Geschichte und die Figuren nehmen sich wesentlich ernster als in satirischen Romanen wie Voll im Bilde! und Fliegende Fetzen. Konzepte wie Gesetze und menschliche Moral werden infrage gestellt und es wird gezeigt, dass der Mensch zwar an solche Sachen glaubt, aber dass sie ihm nicht von Geburt an mitgegeben werden. Das bedeutet nicht, dass sich Eine Insel in eine nihilistische Dekonstruktion der menschlichen Natur wie Herr der Fliegen verwandelt, aber Pratchett macht klar, dass es nichts bringt, den alten Ideen blind zu folgen, wenn Veränderungen notwendig sind. Mau und Daphne lernen, nicht nur die Dinge zu hinterfragen, sondern sie auf ihre Ursachen hin zu untersuchen, so dass die Themen und Ansichten des Buches mit der Zeit immer vielschichtiger werden.
Das Buch verwandelt sich aber nicht in eine trockene Philosophiestunde sondern ist eine solide Abenteuergeschichte mit spannenden Szenen und einprägsamen Nebenfiguren. Pratchetts Stil ist direkt, aber auch verspielt und er weiß mit wenigen Sätzen die Insel zum Leben zu erwecken. Man möchte mit Mau und Daphne diesen Ort erkunden und seine Geheimnisse kennenlernen und viel wichtiger: man möchte, dass es Möglichkeiten zur Kommunikation und zum freundlichen Miteinander gibt, denn Eine Insel ist auch ein Buch über Hoffnung. So kompliziert und gemein Menschen auch sein können, in dieser Komplexität liegt eine Schönheit, die zu bewahren das Leben schon wieder lebenswert macht, selbst wenn es nach einer Welle vorbei sein kann.
Eine Insel erinnert uns daran, dass es mehr im Leben gibt als nur pures Überleben und wir vielleicht nicht immer gleich die Antworten finden werden, aber trotzdem weiterfragen sollten. Eine Botschaft, die dieses Buch auch für ältere Leser interessant macht, vor allem für diejenigen, die nie aufhören Fragen zu stellen.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
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