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Better to burn out – Nachruf auf Jim Shooter

Er gilt als Retter von Marvel und zählte doch zu den streitbarsten Chefredakteuren in der Geschichte des Verlags: Jim Shooter. Ein Nachruf auf eine Legende der Comicbranche.

Jim Shooter, San Diego Comic Con 1982 © Alan Light

Lange hat es nicht gedauert, bis der 1951 geborene Bub aus Pittsburgh seinen Fuß in der Tür zur Comicwelt hatte. Als Zwölfjähriger erholte er sich im Krankenhaus von einem chirurgischen Eingriff – da blieb nichts anderes übrig, als stapelweise Comics zu lesen. Vor allem Marvel hatte es ihm angetan, ein Verlag der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal zwei Jahre lang existierte und den alteingesessenen Heldenfiguren von DC durch authentischere, stärker in der Alltagsrealität verankerte Figuren Konkurrenz machte. Durch den direkten Vergleich der beiden Verlagshäuser entschied der junge Jim, dass DC Hilfe brauchte. Ein Jahr später, 1965, schickte er eigene Geschichten mit der Legion of Superheroes an DC. Die Stories wurden prompt genommen, mehr noch: Herausgeber Mort Weisinger gab dem gerade einmal dreizehn Jahre alten Jim Shooter gleich weitere Schreibaufträge für Superman– und Supergirl-Reihen. Damit zählt Shooter bis heute zu den jüngsten Autoren, die jemals für ein großes Comiclabel geschrieben haben.

Shooter auf der Überholspur: Cover von Superman #199 (Zeichnungen: Carmine Infantino, Murphy Anderson) © DC

Der kleine Jim hatte also keine Zeit zu verlieren. Als Teenager kreierte er Figuren wie Karate Kid, Ferro Lad oder den Superman-Bösewicht Parasite, die bis heute DCs Heldenpantheon prägen. Bei diesem Tempo verwundert es wenig, dass sich Shooter auch für die berühmte Superman-Ausgabe verantwortlich zeichnete, in welcher sich der Mann aus Stahl ein Wettrennen mit The Flash lieferte (Superman #199, 1967). So schnell und weit wie möglich zu kommen, so lautete damals sein Anspruch – und das mit einer Autorenkonkurrenz, die doppelt so alt wie er war. Kein Zweifel: Der junge Jim wollte hoch hinaus.

Gebremst wurde Shooter damals nach eigenen Angaben von Superman-Herausgeber Julius Schwartz und Legion-of-Superheroes-Redakteur Murray Boltinoff, die ihn seiner Ansicht nach zu unnötigen Überarbeitungen seiner Stories zwangen. Als ihm Marvel 1976 einen Job als Redaktionsassistent und Autor anbot, nahm Shooter das Angebot des Konkurrenten dankend an. Marvel wuchs zu dieser Zeit gewaltig, dennoch herrschten chaotische Zustände: Rasch wechselnde Chefredakteure kämpften vor allem damit, dass die Hefte zeitgerecht herauskamen. Die Verzögerungen beim Druck kosteten den Verlag ein Vermögen. Shooter ist es zu verdanken, dass er ab seiner plötzlichen Beförderung zum Chefredakteur im Jahre 1978 die zeitgerechte Veröffentlichung zur obersten Priorität erklärte. Dies konnte nur durch eine restriktive Hierarchie bewerkstelligt werden, mithilfe derer Shooter direkten Einfluss auf die Redakteure und Autoren der unterschiedlichen Heftreihen ausübte. Shooters strenges Regiment führte dazu, dass die Hefte wieder rechtzeitig erschienen und hohe Verkaufszahlen erzielten, sorgte zugleich aber für Unmut unter der Belegschaft. Dieser Unmut überdeckte in Folge oft die vielen Vorzüge, die Shooter während seiner Zeit bei Marvel für die Autoren und Zeichner herausholen konnte. So setzte er beispielsweise durch, dass das von Marvel in Geiselhaft genommene, originale Artwork Jack Kirbys endlich (in Teilen) an den Urheber zurückging und gründete mit „Epic“ ein Imprint, bei dem die Autoren und Zeichner die vollen Rechte an ihren Kreationen behielten.

Shooter verpasste Spider-Man damals sein legendäres schwarzes Kostüm. Cover von Secret Wars #8 (1985), Zeichnungen: Mike Zeck, John Beatty © Marvel

Unter Shooters Führung des Marvel-Konzerns entstanden so herausragende Comics wie Chris Claremonts X-Men-Run, Walt Simonsons Thor oder Frank Millers epochemachende Daredevil-Stories, welche in den 1980ern mit dafür verantwortlich waren, dass sich Comics als ernstzunehmendes Medium etablieren konnten. Gleichzeitig sorgte Shooters Geschäftssinn für eine Kooperation mit Mattel, die eine Reihe von Marvel-Action-Figuren auf den Markt bringen wollten. Die daraus resultierende Mini-Serie Secret Wars (1984) gilt heute als erstes großes Crossover-Event, in dem mehrere Superhelden-Teams (Avengers, X-Men, Fantastic Four etc.) in einer Heftreihe aufeinandertrafen. (Damit war Marvel noch vor DC dran, dessen Crisis on Infinite Earths erst 1985 erschien.) Was ursprünglich nur konzipiert worden war, um möglichst viel Spielzeug zu verkaufen, schrieb unter der Hand Comicgeschichte: Spider-Man gerät hier zum ersten Mal mit jener mysteriösen, außerirdischen Substanz in Kontakt, die sich in ein schwarzes Kostüm verwandelt und später als „Venom“ ihr Unwesen treiben wird.

Als Autor war Shooter ein Fan von Events kosmischen Ausmaßes, bei denen er stets großen Wert auf Konsistenz und Kontinuität legte. In Erinnerung bleibt hier vor allem die „Korvac Saga“ (1977-1978) während Shooters Avengers-Run, die trotz der Fülle an Figuren und verschachtelten Erzählstrukturen durch ein hohes Maß an Übersicht bis heute beeindruckt. Allerdings war er auch Co-Autor der kontroversen Avengers-#200-Ausgabe (1980), in der eine durch den Superschurken Marcus manipulierte und geschwängerte Carol Danvers vom Team der Avengers im Stich gelassen wird. Vor allem die Kunsthistorikerin Carol A. Strickland hat mit ihrem feministischen Essay „The Rape of Ms. Marvel“ die Problematik dieser Ausgabe herausgearbeitet.

Einer von Shooters Sündenfällen: Hank Pym misshandelt seine Frau. (Zeichnungen: Alan Kupperberg) © Marvel

Auf Shooters Konto geht leider auch das berüchtigte Panel in Avengers #212 (1981), in dem Hank Pym seiner Frau Janet Van Dyne eine runterhaut. Dieser Vorfall belastet das Image des Helden bis heute. Ursprünglich wollte Shooter, dass Hank seine Frau nur aus Versehen mit der Rückhand erwischt, die Darstellung von Zeichner Alan Kupperberg lässt aber keinen Zweifel daran, dass hier mit voller Absicht physische Gewalt ausgeübt wird. Dieser Fehler konnte aus Zeitnot nicht mehr behoben werden – Shooters Obsession mit Deadlines, sie schien ihn schließlich doch einzuholen.

Autoren und Herausgeber stöhnten unter Shooters mit eiserner Hand geführten Redaktionspolitik, die oft wenig Spielraum für künstlerische Freiheit ließ. So setzte er zum Beispiel durch, dass Jean Grey am Ende der „Dark Phoenix Saga“ (Uncanny X-Men #129-138, 1980) sterben musste, obwohl X-Men-Redakteur Jim Salicrup, Autor Chris Claremont und Zeichner John Byrne andere Pläne hatten. Derartige Einflussnahmen trieben Schöpfer wie Claremont, Byrne aber auch Marv Wolfman oder Doug Moench während Shooters Zeit als Chefredakteur zum Rivalen DC. Die Feindseligkeit ging sogar so weit, dass John Byrne ein Barbecue mit Marvel-Kollegen veranstaltete, bei dem eine Statue Shooters, gefüllt mit Heften des unter seiner Federführung entstandenen, verhassten „New-Universe“-Imprints, angezündet wurden.

Über den Tod von Jean Grey legte sich Shooter mit seinem Kreativteam an. (Zeichnungen: John Byrne, Terry Austin, Glynis Oliver) © Marvel

Nachdem Shooter bei Marvel gefeuert wurde, ging er eigene Wege, gründete mehrere unabhängige Comicverlage (von denen nur „Valiant“ heute noch dem Namen nach besteht), arbeitete als Redakteur, Story-Berater und freier Autor, wo sich eine Gelegenheit fand. Sein Vermächtnis wird bleiben, dass er Marvel in einer kritischen Zeit wieder auf Schiene brachte. Abseits davon verkörperte er das Dilemma eines Geschäftsmanns in der US-Comicbranche auf geradezu exemplarische Weise: Einerseits setzte er sich für Urheberrechte und Versicherungsansprüche seiner Mitarbeiter ein, andererseits beschränkte er anhand rigider Zeitpläne und restriktiver Storykonzepte deren kreative Freiheit. Am 30. Juni erlag Shooter in Nyack (New York State) seinem Krebsleiden.

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