Nein, das ist kein Endzeitcomic, obwohl er so klingt. The End of the Fxxxing World kommt ohne Zombies und Monster aus. Ungeheuer gibt es aber natürlich doch.
Im August 2017 erschien der Comic in Buchform bei Fantagraphics, fast zeitgleich mit der TV-Ausstrahlung beim britischen Channel 4 und der Veröffentlichung beim Streaminganbieter Netflix im Oktober 2017. Den acht Folgen der ersten Staffel folgte 2019 eine zweite Staffel, die nicht mehr auf dem Comic basiert.
Die Jugendlichen James und Alyssa sind mit ihren Elternhäusern nicht besonders zufrieden. Alyssa nennt ihren Stiefvater einen Perversling, und James verliert seine Mutter schon mit vier Jahren, als diese sich vor seinen Augen mit ihrem Pontiac vollabsichtlich in einen See stürzt. „Sie küsste mich auf den Kopf.“ Und danach ist alles anders: James wächst bei seinem Vater auf und erfreut sich mit 13 Jahren eines neuen Hobbies: Tiere töten. Katzen. Kaninchen. Mäuse. Schlangen. Schmetterlinge. Vögel. Der Gedanke an die jugendlichen Gewohnheiten des amerikanischen Serienmörders Jeffrey Dahmer liegt nicht fern, und wer dies nachlesen möchte, kann den True-Crime-Comic My Friend Dahmer von Jeff Backderf zur Hand nehmen.
James ist nicht in der Lage, Empfindungen zu spüren, was ihn zu dem wagemutigen Selbstversuch führt, die eigene Hand in den Abfallzerkleinerer zu führen, in der Hoffnung, dort etwas zu spüren. In seiner Alexithymie erinnert er an den mordlustigen Protagonisten der TV-Serie Dexter (2006–13), und dies ist kein Zufall, denn Forsman wurde von dieser Serie zu seinem Comic inspiriert.
James und Alyssa ziehen monatelang durch die Gegend, schlagen sich durch, brechen in leerstehende Häuser ein und machen diese zu ihrem provisorischen Zuhause: „Alles an seinem Platz“, schwärmen sie angesichts der fremden Ordnung. Aber dieser Eindruck erweist sich schnell als flüchtig, denn ihr Pendel bewegt sich rasch zwischen Momenten jugendlicher Zweisamkeit und sozialen Erlebnissen am Rande des Erträglichen. Gerade als sie sich etwas näher kommen, stellen sie fest, im Hause eines Gewalttäters untergekommen zu sein. Und natürlich kommt dieser plötzlich aus seinem Urlaub zurück. James tötet ihn, sie flüchten, und die Frau des Opfers (bzw. Täters) nutzt ihre Mittel als Polizistin, um James zu verfolgen.
Die Welt um sie herum ist voller unscheinbarer Monster des Alltags, die hier wie dort nur darauf lauern, anderen ein Übel zuzufügen. Der Mensch ist schlecht, lautet das Credo des Comics, und ausgerechnet die beiden Protagonisten, auf die dieser Leitspruch am besten zuzutreffen scheint, sind trotz schlechtester Familienvoraussetzungen darum bemüht, sich nicht allzu schlecht anzustellen. Dexter lässt grüßen.
Die cartoonigen Strichzeichnungen erinnern in der Physiognomie der Figuren durchaus an die Peanuts, fokussieren auf das Wesentliche und stellen in ihrer Schlichtheit einen Kontrast zu den schweren Tragödien der Handlung dar. Sexuelle Gewalt. Mord. Tierquälerei. Vernachlässigung.
Forsman braucht nicht viel Aufwand, um seine Story voranzubringen, manchmal genügt ein intelligenter Seitenaufbau. So etwa als James und Alyssa auf einem Hausdach sitzen und den Sternenhimmel beobachten. Wir sehen die beiden in einer Totale auf dem Dach sitzen, im Hintergrund bereits die Sterne, so dass wir in der zweiten Panelzeile sofort wissen, dass wir dort den Himmel durch die Augen der beiden Figuren betrachten, und zwar jede für sich. Wenn sie im letzten Panel der Seite nicht mehr durch einen Panelrahmen getrennt werden, wissen wir, dass dieser Moment die beiden einander näher gebracht hat.
Wer die Zeichnungen sieht, wird sich wundern, dass dieser Comic bei Netflix gelandet ist. Zwischen Deadly Class, Spider-Man und unzähligen Avengers-Verfilmungen sehen die unbekümmerten Strichzeichnungen von Forsman so untypisch aus, dass man kaum auf die Idee kommen mag, diese Handlung in einen Film zu konvertieren. Zumal der Comic ursprünglich weder bei Image, Dark Horse oder Marvel erschien, sondern als Mini-Comics in Forsmans Selbstverlag Oily Comics, in einem Format, so Forsman in einem Interview, inspiriert von Max di Radiguès. Form und der Stil hätten es ihm ermöglicht, die Story so rasch zu entwickeln.
Die Filmadaption sei überraschend gewesen, weil er den Minicomic lediglich an bis zu 300 Leser*innen direkt verkaufte und nur wenige Comicläden die Comics führten. Ein Londoner Comicladen habe schließlich ein Exemplar an Jonathan Entwistle verkauft, der schließlich Regisseur von The End of the Fxxxing World und ebenso von I Am Not Okay with This (2020), ebenfalls nach einem Comic von Forsman, werden sollte.
The End of the Fxxxing World erschien ursprünglich zwischen September 2011 und Februar 2013 in Kapiteln von je 10 Seiten. Etwa 300 Abonnent*innen und ein paar Comicläden ließen sich für die Serie begeistern, und so kam es schließlich auch dazu, dass Jonathan Entwistle den Kontakt zu Forsman aufnahm und ihn von seiner Adaptions-Idee überzeugte. Die Serie wurde durch die Veröffentlichtung auf Netflix sehr populär und zog eine zweite Staffel nach sich, an der Forsman nicht beteiligt war und die mit dem Comic nur noch die Figuren und das Setting teilt – die Handlung ist vollständig neu.
Die Adaption ist ausgesprochen gut aufgenommen worden, nicht zuletzt wegen der schauspielerischen Leistung von Alex Lawther (James) und Jessica Barden (Alyssa). Comic und TV-Serie könnten aber kaum unterschiedlicher sein, nicht nur wegen der vielen Details wie die Verlegung des Handlungsortes von den USA nach England, sondern auch weil der Comic durch seine Reduzierung von Details viel stärkere Pointen setzt, wohingegen die TV-Serie von ihrem sehr schwarzen Humor profitiert. Das ist durchaus im Sinne des Erfinders, wie Forsman im Interview sagt:
„I appreciate adaptations when they’re allowed to do their own thing. I hate when they make something where you can tell they’re trying really hard to make it look exactly like a book or a comic, you know? I like when they’re allowed to create their own little thing, and just take the essence or the spirit of the book. Which, I think they did a pretty good job. I was surprised at how closely it followed my story. I didn’t expect it to follow it so closely.“
Adaption hin oder her – die triste Geschichte zweier Jugendlicher, die Forsman als Road Novel mit nur scheinbar abenteuerlichen Elementen erzählt, ist eine Geschichte von Ungeheuern, die nicht in dunklen Ecken lauern, sondern in der Nachbarschaft. Im Spiegel. Und zugleich erzählt er vom krisenhaften Erwachsenwerden zweier Jugendlicher, denen wir auch in einem Comic von Charles Burns oder Daniel Clowes begegnen könnten.
Ende mit Schrecken
luftschacht, 2021
Text und Zeichnungen: Charles Forsman
Übersetzung: Raimund Varga
176 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 18,00 Euro
ISBN: 978-3-903081-94-9
Leseprobe
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