Rezensionen
Kommentare 1

RASL

Mit der umfangreichen Comicreihe Bone hat der US-Amerikaner Jeff Smith eine großartige Indieperle und ein faszinierendes Fantasy-Epos erschaffen. In seinem Werk RASL, das im Anschluss daran entstand, geht es weit weniger knuffig zu, wenngleich die grafische Handschrift des Künstlers auch hier unverkennbar ist.

Alle Abbildungen: © Jeff Smith/Popcom

RASL ist zwischen 2008 und 2012 in Jeff Smiths eigener Produktionsstätte Cartoon Books erschienen. Die insgesamt 15 US-Ausgaben wurden, wie zuvor schon Bone, in schwarz-weiß veröffentlicht und erst für eine spätere Ausgabe (die Popcom zur Vorlage genommen hat) nachträglich koloriert. In der Serie geht es um die zentrale Figur RASL (ein Akronym, das erst im späteren Verlauf aufgeklärt wird), einen ehemaligen Militäringenieur, dem die geheimen Tagebücher des legendären Erfinders und Pionier der Elektrotechnik Nikola Tesla in die Hände fallen. Zusammen mit einem Freund und Kollegen nutzt er dieses Wissen für ein Regierungsprojekt. Doch aus Angst vor den so entfesselten Mächten verlässt RASL die Einrichtung; im Gepäck hat er die Aufzeichnungen Teslas. Mit deren Hilfe hat er einen Apparat konstruieren können, mit dem ihm Sprünge, sogenannte „Drifts“, in Parallelwelten gelingen. In diesen anderen Welten, die bis auf wenige Details ähnlich unserer sind, verdingt er sich als Kunstdieb, der unschätzbar wertvolle Gemälde stiehlt, um sie ohne Konsequenzen in seiner Heimat zu verscherbeln. Trotz den Strapazen, die jeder Drift mit sich bringt, geht das so lange gut, bis die Regierung die Jagd auf RASL beginnt, zuvorderst in Person des echsengesichtigen Agent Crow.

Wer Bone gelesen hat, wird auch an dessen vergleichbar wuchtigem Nachfolger RASL Gefallen finden. Die Erzählung spielt zwar in einem völlig anderen Genre und schlägt auch einen komplett anderen Ton an, trotzdem bekommt man beim Lesen schnell ein Gefühl dafür, welcher kreative Kopf dahinter steckt. Das Grundsetting ist von Seite 1 an düsterer, realistischer, härter als bei Bone, auch die verniedlichten Figurenzeichnungen sucht man vergebens. Ganz klar, RASL ist ein strukturiertes, forderndes Erlebnis, für das der Autor viel Recherchearbeit investieren musste. Dementsprechend verkopft wirkt das Ganze in der Nachbetrachtung – was man nun positiv wie negativ auffassen kann.

Jeff Smiths neuer Comic ist jedenfalls ein engagiertes Stück Science-Fiction, das dank der weitläufigen realen Bezüge zu Teslas Biographie äußerst geerdet ist. Die Figur Nikola Tesla war schon immer ein Quell für Verschwörungstheorien, seine Ideen pendelten schließlich zwischen visionär und verrückt. Wenn der Künstler sich lange mit Tesla beschäftigt hat, ist es also kein Zufall, dass er sich selbst von diesem hat einnehmen lassen und dessen Konzepte weitergedacht hat. Smith las sich tatsächlich tief in die Physik ein, studierte Einsteins Theorien, betrachtete den Mythos um das Philadelphia-Experiment und klügelte aus, inwiefern Tesla über Paralleldimensionen hätte Bescheid wissen können. Das Ergebnis ist im Prinzip eine Hommage an die Wissenschaft an und für sich, die allerdings verpackt ist in einen Genremix, der sich desweiteren aus Crime- und Mystik-Versatzstücken speist.

Der Erzählrhythmus in RASL ist perfekt ausgewogen, die Bilder hervorragend. Nur sind die Figuren leider wenig greifbar. Dabei ist die Wandlung des Hauptprotagonisten vom seriösen Forscher zum draufgängerischen Kriminellen für den Leser ähnlich mysteriös wie die mimische Verunstaltung seines Gegenspielers. Und der Zugang zu weiteren ominösen Personen, wie dem „Präsidenten der Straße“ und dem kleinen, geisterhaften Mädchen, die beide öfters unvermittelt auftauchen, bleibt einem gleich verwehrt. Schade, hätte die komplexe Story doch ruhig ein paar facettenreiche und moralisch ambivalente Charaktere vertragen können. Oder zumindest ausreichende Erklärungen für die Motive und das Verhalten der vorhandenen. So fehlt dem ambitionierten Comic über die gesamten fast 500 Seiten hinweg gesehen der letzte Schliff. Und vielleicht mangelt es auch dem Plot im Kern an einer Komplexität, die nicht nur an der Oberfläche zum Tragen kommt. Es wird in RASL viel über Wissenschaft, Zeitgeschichte und große Erfinder geredet. Und die Einbindung dieser Themen ist auch brillant. Daneben gibt es aber ebenfalls noch die Geschichte eines Mannes, der im Grunde nur seine Freundin retten will und der Regierung misstraut. Letzteres ist bei Jeff Smiths Comic ein Handungsstrang, der vergleichsweise blass bleibt.

Eine Anmerkung noch zur deutschen Ausgabe: Leider hat Popcom die Titelbilder der US-Einzelausgaben nicht im Innenteil abgedruckt, was sich bei so einem Komplettband durchaus angeboten hätte. Ein wenig schade finde ich auch, dass sich der Verlag beim Frontcover gegen das Titelbild des US-Sammelbandes mit der stilisierten Silhouette RASLs entschieden hatte (das Motiv kann man nur ausschnittsweise auf dem Buchrücken sehen) und stattdessen ein (aus meiner Sicht) wesentlich hässlicheres verwendet hat. Das sollte aber neben dem Inhalt und der ansonsten ordentlichen Verarbeitung nur eine kleine Randnotiz sein.

RASL
Popcom, 2015
Text/Zeichnungen: Jeff Smith
Übersetzung: Gandalf Bartholomäus
472 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 29,95 Euro
ISBN: 978-3-8420-1673-6
Leseprobe

1 Kommentare

  1. Pingback: Graphic Novel » Blog Archiv » Graphic Novels in den Medien – 10. Februar 2016

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.