Mit seinem semiautobiografischen Werk Blankets aus dem Jahr 2003 verzückte der US-amerikanische Zeichner Craig Thompson Leser und Feuilletons. Der nicht minder umfangreiche und ambitionierte Comic Habibi sorgte in der Folge ebenfalls für viel Aufsehen (darunter aber auch einige kritische Stimmen) und untermauerte den Stellenwert von Thompson als relevanter Künstler und Autor. Sein neues Projekt hört auf den schönen Namen Weltraumkrümel und setzt sich stilistisch wie inhaltlich völlig von den beiden genannten Büchern ab.
Mit 320 Seiten ist auch dieser aktuelle Streich recht ausgiebig geraten und damit nicht gerade eine Lektüre für Zwischendurch. Doch langweilig wird’s in Thompsons Sci-Fi-Geschichte trotzdem nicht. Ein ganzer hermetischer Erzählkosmos wurde da kredenzt, an allen Ecken und Enden ausstaffiert mit liebevollen Details und schrulligen Charakteren. In dieser abgedrehten Welt, wo sich alles im Weltall abspielt, befindet sich auch die kleine Violet Marlocke. Zusammen mit ihren Eltern – der Vater schuftet für eine Firma, die Walkacke aus dem All aufliest und der Wiederverwertung als Energiequelle zuführt, die Mutter arbeitet als talentierte Näherin – wohnt das Mädchen in einer Art Trailerpark, in der abgewrackte Raumschiffe angeleint sind.
Eines Tages setzen die bedrohlichen Weltraum-Wale in der für sie typischen, rücksichtslosen Art den Plot des Comics in Gang und für die gerade erst eingeführte Familie ändert sich so einiges: Violets Schule wird zerstört, die Mutter erhält die Gelegenheit, in einem wohlhabenderen Teil der Galaxie für ein exzentrisches Modegenie zu arbeiten und der Vater nimmt einen gefährlichen Auftrag an. Doch von diesem kehrt das Oberhaupt leider nicht heim, was Violet dazu verleitet, sich selbst auf die Suche nach ihm zu begeben. Durch Zufall schließen sich ihr zwei ulkige Zeitgenossen an: Elliot, putziges Huhn und intellektueller Schlaumeier in einem, und Zacchäus, ein oranges Alien, das einer beinahe ausgestorbenen Rasse angehört.
Was folgt, ist eine farbenfrohe Space-Orgie, die den Leser wie im Rausch zum schnellen Umblättern verführt. Keine Frage, Weltraumkrümel ist ein großartiger Comic. Craig Thompson versucht sich hier an einer ganz anderen Herangehensweise als bei Blankets oder Habibi, die im Vergleich dazu natürlich auch thematisch eine viel schwerere Kost anzubieten haben (was nicht heißt, dass Weltraumkrümel nicht zum Nachdenken anregt). Allein durch die fantastische Kolorierung des prämierten Dave Stewart wirkt das neue Buch lebendig und aufgedreht. Auch emotional wird’s in Weltraumkrümel, immerhin liest sich das Ganze unterm Strich als eine formelhafte Parabel über den Wert von Familie und Freundschaft. Überdies schwingen viele kritische Themen wie Umweltschutz, Chancengleichheit oder gesellschaftliche Spaltung mit. Aber, und das ist Thompsons großer Verdienst, all dies wurde in dem Comic in eine homogene, unterhaltsame Spaceodyssee verpackt, die mit popkulturellen Zitaten, liebevollen grafischen Details und Wortspielen hantiert und sie mit ihrem spielerischen Umgang damit zu einem optischen wie narrativen Fest sowohl für jugendliche als auch für erwachsene Leser macht.
Als überragender All-Ages-Titel (wobei Jüngere so manche feinsinnige oder kritische Anspielung nicht gänzlich verstehen dürften) steht Weltraumkrümel, u.a. auch wegen der putzig gestalteten Figuren, noch am ehesten in der Tradition von Craig Thompsons Buch Mach’s gut, Chunky Rice. Gegenüber jenem fast schon als brav zu bezeichnenden Frühwerk, findet in Weltraumkrümel eine Explosion an guten Ideen und skurrilen Szenarien statt. Und irgendwie gelingt es diesem an und für sich hanebüchenen Trip, der zwischen genetisch modifizierten Hühnern, Walkacke, Roboternannys und Space-Bikern kaum eine Absurdität auslässt, für eine herzzerreißene Story zu sorgen; mit Figuren, die man liebgewinnt und die in Erinnerung bleiben.
In diesem Comic gibt es auf jeder Seite was zu entdecken; grafisch und inhaltlich ein ganz starker Titel für ein breites Publikum
Reprodukt, 2015
Text/Zeichnungen: Craig Thompson
Übersetzung: Matthias Wieland
320 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 29 Euro
ISBN: 978-3-95640-051-3
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