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Die Heimatlosen

Am 1. April 1939 endete ganz offiziell der spanische Bürgerkrieg. Die Truppen des faschistischen Generals Franco konnten über ihre Gegner triumphieren und die republikanischen Soldaten zogen sich zurück. Doch wohin konnten sie gehen? Zwar gab es internationale Brigaden, die aus ausländischen Freiwilligen bestanden, die für ihre Ideologie, meist den Kommunismus, und gegen den Faschismus allgemein kämpfen wollten. Diese hatten meistens einen Ort, an den sie zurückkehren konnten. In der Geschichtsschreibung endet das Kapitel meist an diesem Punkt, vor allem da fünf Monate später der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall Deutschlands auf Polen begann und andere Konflikte in dessen Schatten gerieten. Doch was geschah eigentlich mit den Bürgerkriegsteilnehmern, die nirgendwo hin konnten, da ihre Heimat der Kriegsschauplatz war und sie nun Repressalien der Sieger befürchten mussten?

© Paco Roca/Reprodukt

© Paco Roca/Reprodukt

Der spanische Comicautor und -zeichner Paco Roca, der bislang vor allem durch sein beeindruckendes Werk Kopf in den Wolken (Reprodukt) aufgefallen war, hat sich diese Widerständler als Thema für seinen neuen Comic ausgesucht und erzählt exemplarisch anhand eines Kämpfers von den Schicksalen der spanischen Zwangsexilanten.

Was diese erlebten und durchmachen mussten, ist aus heutiger Sicht kaum zu glauben und zutiefst erschütternd. Von Beginn an hat Paco Roca den Leser am Haken. Die Verzweiflung der Flüchtlinge im Hafen ist nahezu greifbar. Die faschistischen Truppen rücken näher und es kommt nur ein einziges Schiff an den Pier, um Passagiere aufzunehmen. Von nahezu 15.000 Menschen können nur 3.000 an Bord gehen, wo sie unter schlimmen Umständen ausharren müssen, da andere Länder ihnen die Landung verweigern. Als sie nach einiger Zeit in einem algerischen Hafen vom Schiff dürfen, ist Frankreich bereits besiegt und das Vichy-Regime unter General Petain regiert von Hitlers Gnaden. Die mittlerweile faschistische Kolonialverwaltung inhaftiert die Spanier und schickt sie in ein Arbeitslager. Dort vegetieren sie dahin und wollen nichts als Rache. Vielen gelingt es, sich später den Alliierten anzuschließen und sich am Kampf gegen Hitler-Deutschland zu beteiligen.

© Paco Roca/Reprodukt

© Paco Roca/Reprodukt

Paco Roca hält sich eng an die historischen Fakten, was oft dazu führen kann, dass auch der Tonfall sehr sachlich und nicht gerade mitreißend ausfällt. Doch Roca gelingt es, sehr emotional zu erzählen, ohne auf die Tränendrüse zu drücken. Von den ersten Szenen im Hafen kann man sich kaum erholen, man ist gebannt von der graphischen Umsetzung und erschüttert von den geschilderten Ereignissen. Man kann sich im Laufe der Lektüre nie von diesem ersten Eindruck lösen und erlebt ein Wechselbad der Gefühle. Man ist empört über die politischen Winkelzüge aller Parteien, kommt aber den Kämpfern durchaus näher. Das gilt vor allem für die Hauptfigur Miguel Ruiz, denn wie in Art Spiegelmans Maus oder Emmanuel Guiberts Alans Krieg geht es auf einer zweiten Erzählebene auch um die Annäherung des Autors an seinen Erzähler. So wird nicht nur dessen späteres Schicksal angedeutet und geschildert, wir erhalten auch eine Außenperspektive, welche das individuelle Erlebnis in eine historische Gesamtheit einordnet. Das gelingt Roca, indem er von einem Erlass oder einer Strategie berichtet, welche die Soldaten direkt betraf, von dem sie aber nichts wussten. Indem Roca konsequent seinem Erzähler bei dessen Erlebnissen folgt, kann er es vermeiden, dass man allzu sehr den Überblick verliert, wie es oft bei Kriegsgeschichten mit einer Vielzahl an handelnden Figuren passieren kann.

© Paco Roca/Reprodukt

© Paco Roca/Reprodukt

Neben der packenden Geschichte und den verschiedenen Erzählebenen, die nicht nur historisch aufklären, sondern auch zu unterhalten und zu bewegen vermögen, sind es auch die vielen zeichnerischen Einfälle, welche erheblich zum Lesevergnügen beitragen. Der Comic ist zwar etwas konventioneller ausgefallen als Kopf in den Wolken, aber Roca hat ein sehr gutes Gespür für Perspektiven, Effekte und Timing, ohne dass er es allein auf die Schauwerte anlegt. Intime Szenen bekommen genau so viel Raum wie die Action. Insgesamt ist Die Heimatlosen ein sehr beeindruckendes, großes Werk, welches den lange vergessenen Kämpfern Ehre erweist, indem es von ihrem Schicksal berichtet.

Ein vergessenes Kapitel des Zweiten Weltkrieges wird bewegend und grafisch eindrucksvoll erzählt

10von10Die Heimatlosen
Reprodukt, 2015
Text und Zeichnungen: Paco Roca
Übersetzung: André Höchemer
328 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 39 Euro
ISBN: 978-3-956400-33-9
Leseprobe

 

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