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Sarajevo

Die drei in diesem Band enthaltenen Comicreportagen von Joe Sacco sind nicht neu, sondern bereits Mitte der 1990er Jahre entstanden und mit einer Ausnahme Anfang 2001 überarbeitet und ergänzt worden. So lassen sie zwar einiges an Tagesaktualität vermissen, aber das ist gar nicht Sinn und Zweck dieser Berichte. Vielmehr geht es darin um die psychischen Wunden, die der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hinterlassen hat. Jede der drei Geschichten stellt unterschiedliche Personen vor, beschreibt, was sie im Krieg erlebt haben und wie sie mit den traumatischen Erfahrungen umgehen.

© Edition Moderne

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Da wäre etwa Neven, ein sogenannter „Fixer“, der Journalisten Kontakte ermöglicht, Treffen arrangiert und ihnen als orts- und sprachkundiger Helfer dient. Ein ehemaliger Krimineller, der in einer paramilitärischen Einheit gedient hat und nach Ende des Krieges nichts mehr mit sich anzufangen weiß. Soba hingegen, Protagonist der zweiten Reportage, ist voller Pläne und möchte nach dem Krieg wieder seine Künstlerkarriere aufnehmen, verfällt aber zusehends in Depressionen. Den Abschluss bildet die Reise dreier Journalisten, inklusive Sacco, zu einer Weihnachtsmesse, da sie dort hoffen, den Kriegsverbrecher und damaligen Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadzic interviewen zu können.

Der Krieg an sich wird kaum gezeigt, aber durchdringt jeden Dialog und jedes Panel. Sacco enthält sich größtenteils einer zeichnerischen Schilderung der Kämpfe, sondern legt seinen Fokus eindeutig auf die Personen. Der amerikanische Journalist versteht sich auch nicht als typischer Kriegsberichterstatter, sondern eher als ein Chronist der psychischen Folgen. Dabei deutet er nicht und psychologisiert auch nicht, sondern lässt sein Gegenüber einfach erzählen. Das lässt das Grauen des Krieges persönlicher und weniger abstrakt werden, sorgt aber auch für einige erhebliche Probleme.

Zum einen legt Sacco als Journalist wenig Wert auf Objektivität. Sprich: Es werden nicht beide Seiten einer Medaille gezeigt, sondern nur das, was er selber hört, sieht und ihm berichtet wird. Das kann bisweilen ziemlich ärgerlich werden, wie in den Bänden Gaza und Palästina, wo er mehrfach der palästinensischen Propaganda aufzusitzen droht. Manchmal lässt er sich er deutlich beeinflussen und man fragt sich bisweilen, ob seine Offenheit und Vertrauen gegenüber anderen Menschen nicht an grenzenloser Naivität entlangschrammen. Da er sich auf eine „oral history“ bezieht, nimmt er es zudem in Kauf, dass ihm Falsches berichtet wird. Er gleicht nur selten ab, nimmt die Schilderungen als wahr hin und ignoriert, dass Erinnerungen falsch sein können und Menschen ihre Vergangenheit gerne in einem bestimmten Licht sehen, das sie positiver dastehen lässt. Nur selten stützt er sich auf eine Faktenlage und merkt dann, dass er den manipulativen Erinnerungen seiner Gesprächspartner aufzusitzen droht. Nur hat das für seine Vorgehensweise keinerlei Konsequenzen.

Ausschnitt aus Sarajevo

© Edition Moderne

Zum anderen gehört Sacco zu jener Strömung des Journalismus, die man als New Journalism bezeichnet und welche schon immer die Objektivität als weniger wichtig betrachtet und die Grenzen zur Literatur aufgeweicht hatte. Nicht zuletzt wird Norman Mailer, der prominenteste Vertreter dieser Richtung, heute eher als Schriftsteller denn als Journalist wahrgenommen. Die subjektiven Eindrücke stehen dabei im Vordergrund, nicht die ausgewogene Berichterstattung. Aber die meisten Autoren dieser Sparte machten immer deutlich, dass sie über ihr eigenes Erleben und Empfinden schreiben. Sacco hingegen enthält sich oft expliziter eigener Meinungen, sie kommen nur dann zum Tragen, wenn ihn etwas besonders mitnimmt und er beispielsweise von seinen Hass auf Karadzic beichtet. Andererseits besteht eine Meinungsäußerung auch schon darin, wen er berichten lässt (so kommt die Sichtweise der Israelis in Gaza und Palästina so gut wie überhaupt nicht vor). Besonders in der Auswahl und Gestaltung seines Stoffes offenbart sich das. Er selbst sagt dazu, dass er nur darüber berichtet, was ihn interessiert und bewegt.

Dies wirkt durchaus beim Leser. Man ist erschüttert, entsetzt und bewegt. Doch man zweifelt mehr und mehr und fragt sich, was man von dem Geschilderten überhaupt glauben darf. So stellt sich hier heraus, dass gerade der Fixer Neven eher Räuberpistolen erzählt, und man wohl das wenigste von dem glauben darf, was er berichtet hat. Dennoch belässt es Sacco in seiner Reportage. Warum? Weil es genauere psychologische Einsichten liefert? Zu Ungunsten der historischen Wahrheit? Was soll durch die manipulativen Erinnerungen und Berichte verdeckt werden? Sacco forscht nicht nach, und das ist eine der größten Schwächen seiner Herangehensweise. Andererseits steht bei ihm immer der Mensch im Mittelpunkt, übrigens auch in seinen plastischen Zeichnungen, die sehr an die Meister des amerikanischen Undergrounds wie Robert Crumb und Howard Cruse (Stuck Rubber Baby) erinnern, was wiederum ein Pluspunkt ist. Insgesamt aber bleibt ein zwiespältiges Gefühl zurück.

Wieder einmal setzt Sacco manipulative Erinnerungen als Comicreportagen um, schafft es so aber, den Krieg im ehemaligen Jugoslawien weniger abstrakt werden zu lassen.

Sarajevo
Edition Moderne, 2015
Text und Zeichnungen: Joe Sacco
Übersetzung: Christoph Schuler
176 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 26,- Euro
ISBN: 978-3-03731-133-2
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