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El Che

Im letzten Jahr wäre Che Guevara, Kubas Revolutionär erster Stunde und zigarillo-rauchende Pop-Ikone, 90 Jahre alt geworden. Anstatt einer Party haben Giuliano Ramella und Stefane Cattaneo einen Comic vorbereitet: El Che heißt er. Ein Comic wie eine miese Party.

Dieses Gefühl, auf einer Party zu stehen und von Anfang an zu ahnen, dass man hätte zuhause bleiben sollen. Weil das Bier warm, die Menschen kalt, die Lampen so hell sind, dass man das ganze Elend sofort erfasst. So ging es mir auch beim Lesen von El Che.

Es ist Fluch oder Segen, dass in Jubiläumsjahren streng nach Kalender publiziert wird. Von den zehn Comics über Che Guevara sind sieben in Jubiläumsjahren zu seinem Geburts- oder Todestag erschienen bzw. übersetzt worden. 2018 erschien mit El Che die deutsche Ausgabe eines französischen Comics von 2012. Die beiden Italiener Giuliano Ramella und Stefano Cattaneo haben mit El Che – la victoire ou la mort ihre erste und bislang einzige Gemeinschaftsarbeit vorgelegt. Und es ist schwer zu sagen, wer von beiden seine Arbeit schlechter gemacht hat.

Es geht in El Che, das ist nun keine Überraschung, um das Leben des kubanischen Revolutionsmitführers Che Guevara, der in den 1950er und 1960er Jahren Seite an Seite mit Fidel Castro den Sozialismus in Mittelamerika einführte. Ernesto Rafael Guevara de la Serna (kurz „Che“) stammt aus einer gutbürgerlichen Familie Argentiniens und hat auf den Reisen während seines Medizinstudiums Mittel- und Südamerika kennengelernt. In Mexiko schließt er sich 1955 Fidel Castro an und beginnt damit die revolutionäre Karriere, die ihn zu einer Pop-Ikone politischen Widerstands gemacht hat. 1959 gelingt es Castro & Co., den Staatspräsidenten Fulgenico Batista zu vertreiben und Kuba der ersehnten Revolution zu unterziehen. Che Guevara übernimmt die Funktionen des Industrieministers und Leiters der Nationalbank. 1965 kommt es zu ideologischen Konflikten zwischen dem ideologischen Hardliner Che und dem Revolutions-Realpolitiker Castro, und Che legt seine Ämter nieder, um zunächst im Kongo, dann in Bolivien eine Revolution anzuzetteln, die beide kläglich scheitern. Am 9. Oktober 1967 wird Che Guevara in Bolivien inhaftiert und hingerichtet. Seine Leiche wird erst dreißig Jahre später gefunden – noch ein Jubiläum.

Ramella erzählt sprunghaft, die Handlung beginnt 1935 in Argentinien, springt nach Bolivien (1966), nach Kuba (1959), nach Peru (1952), wieder nach Kuba (1956) – und wir sind erst auf Seite 30. Daraus entsteht kein roter Faden, kein komplettes Bild, keine Story. Ramella hat versäumt, sich für eine Geschichte zu entscheiden: der Revolutionär Che, der Vater Che, der Ideologe Che, der Mörder Che, der Arzt Che, der Popstar Che. Er hat es aber auch versäumt, all diese Geschichten gemeinsam zu erzählen und dem Leser die Entscheidung zu überlassen. Das wäre eine interessante Auflehnung gegen einseitige Darstellungen Che Guevaras als kommunistischer Extremist, als freiheitsliebender Befreier, als charismatischer Verführer gewesen. Aber dieser zusammenhangslosen Erzählung von biographischen Highlights gelingt es tatsächlich, all diese Chancen gleichzeitig in den Wind fahren zu lassen. Am Ende sehen wir Che und Castro am Malecón Havannas, Blick auf den Sonnenuntergang. Che sagt zu Fidel: „Denn solange irgendwo Ungerechtigkeit herrscht, werden wir kämpfen.“ Kitsch as Kitsch can.

Hinterer Buchdeckel der französischen Originalausgabe

Vielleicht ist es ein verheißungsvolles Omen, dass der Verlag an der Stelle, wo die französische Originalausgabe mit „Che – intimiste et tragique“ wirbt, in heillose Verwirrung zu verfallen schien und formulierte: „Che – Pop-Ikone und Attentäter“. Moment. Attentäter? Che Guevara mag man als Revolutionär, Fanatiker oder Mörder bezeichnet haben. Aber die Rolle des Attentäters ist ihm bislang noch nicht zugeschrieben worden.

Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen tragen leider auch nicht dazu bei, die Figuren näherzubringen. Die Hintergründe, die Landschaften und Pflanzen sind wirklich reizvolles Dekor, aber die schwer zu unterscheidenden Fratzen der Figuren sind nicht nur eine ästhetische Herausforderung, sie erschweren auch die Lektüre: Wer ist hier Che? Und wie alt soll er eigentlich an dieser Stelle sein? Wer kämpft hier eigentlich gegen wen, und in welchem Land, und warum? Die Actionsequenzen sind nicht spannend, vielmehr wirr und dennoch langweilig.

© Knesebeck Verlag

Es ist ja nicht so, dass es keine Alternativen zu diesem Comic gäbe. Wer kubanische Bildwelten sucht, ohne den Flug zahlen zu wollen, kann sich an Che Guevaras politische Heimat bei Reinhard Kleist (Havanna, 2008, und Castro, 2010) annähern. 2008 legte Carlsen mit Che  die Schwarz-Weiß-Szenen von Hector Oesterheld sowie Alberto und Enrique Breccia neu auf, die erstmals 1968, kurz nach dem Tode des kubanischen Volkshelden erschienen. Den sieben, aus rauen Collagen und harten Kontrasten bestehenden Anekdoten merkt man die zeitliche Nähe zu den erzählten Ereignissen an. Sie ordnen, werten und kontextualisieren nicht, sondern stellen assoziativ Bild um Bild nebeneinander. Und was für Bilder das sind: Breccia & Breccia, Vater und Sohn, zeichnen, kratzen und kleben die heldische Hagiographie mit Herzblut und Feingefühl.

Im November 2018 ist außerdem die englische Ausgabe einer 2016 in Spanien erschienenen Comic-Biographie erschienen: Che – A Revolutionary Life von Jon Lee Anderson (Text) und José Hernández hat einen ganz und gar ehrgeizigeren Anspruch. Auf 430 Seiten präsentieren sie ein sehr viel kompletteres und kohärenteres, außerdem visuell ansprechenderes Bild als Ramella und Cattaneo. Hernández erzählt sehr dicht an der Buchvorlage des Journalisten Anderson entlang, auch im Wortlaut, und das Ergebnis ist beeindruckend.

Diese beiden Biographien gehen sehr unterschiedliche Wege und zeigen, welche Möglichkeiten Ramella/Cattaneo verspielt haben. Im Nachhinein verstehe ich, warum Che sich auf dem Cover des jüngsten Comics so schüchtern und halb-versteckt präsentiert. Er möchte sich von dieser Party schnellstens verdrücken.

Kein Grund zum Feiern

El Che2von10
Knesebeck Verlag, 2018
Text: Giuliano Ramella
Zeichnungen: Stefano Cattaneo
Übersetzung: Anja Kootz
128 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-95728-221-7
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