Während Helden allerorts von Krise zu Krise taumeln und die Feuilletons regelmäßig das postheroische Zeitalter ausrufen, in dem für Männlichkeit, Ehre und aufopferungsvolles Todesverlangen kein Platz mehr sei, in dieser Zeit schreibt Frank Miller sein Blut-und-Ehre-Epos von 1998 fort: 300 erhält mit Xerxes eine Fortsetzung.
Die Handlung setzt im Jahr 499 v. Chr. an, 19 Jahre vor der Handlung von Millers 300, und reicht bis in das Jahr 336, das Todesjahr von König Dareios III. Ein Prequel, Sequel und Paraquel zu 300, das Miller noch mit seiner damaligen Frau Lynn Varley als Koloristin gestaltete. Wir folgen den Griechen unter den Feldherren Miltiades und Themistokles in die Schlacht bei Marathon, in der die Perser vernichtend geschlagen werden. Wir beobachten, wie die zahlenmäßig unterlegenen Griechen dank einer List, nämlich indem sie durch die Ausrüstung von Frauen und Kindern vortäuschen, den Feind mit einer schlagkräftigen Armee zu erwarten.
Im gleichen Zuge sehen wir die Origin Story des persischen Xerxes, dessen Vater in seinen Armen stirbt und einen rachlüstigen Sohn zurücklässt. Nach dem Tod von König Dareidos übernimmt mit Xerxes der Titelheld das politische Ruder. Gottkönig Xerxes wird in wenigen, aber bildgewaltigen Etappen vorgestellt: seine heroische Mannwerdung und sein Rache-Auftrag, seine Suche nach einer Frau (reine Dekoration), schließlich sein Tod. 140 Jahre Zeitsprung.
Dareios III. wird im Jahre 336 v. Chr. König der Perser, Alexander der Große ist sein griechischer Widersacher. Kapitel 4, das dem Kampf beider gewidmet ist, bleibt weitgehend sprachlos: Auf stummen Splash Pages gerät der blutig-brutale Kampf zu einem bizarren Tanz um Leben und Tod, in dem Alexander siegt, Dareios III. dagegen die Flucht ergreift. 333, bei Issos Keilerei, Erinnerungen an den Lateinunterricht in der Schule kommen auf. Alexander erweist sich als großer Stratege, dessen Heer auch in massiver Unterzahl erfolgreich bleibt. Gaugamela, Babylon, Susa, Persepolis. Alexander ist auf dem Vormarsch durch sein wachsendes Reich, und Dareios fällt 330 v. Chr. einem Attentat zum Opfer. Alexander, ganz überlegener Heros, trauert um seinen Gegner: „Wer auf der Welt könnte uns je verstehen, mein geliebter Rivale? Wer von ihnen könnte je ermessen, was wir sind … oder warum wir tun, was wir tun?“
Ja, wer soll das verstehen, was Frank Miller hier macht? Während in den Feuilletons wieder und wieder das postheroische Zeitalter ausgerufen wird, in dem Helden nur noch akzeptiert werden, wenn sie unter Schnupfen oder posttraumatischen Störungen leiden, liefert Miller ein kompromissloses Lob des aus der Zeit gefallenen Heros: In Xerxes wird um die Heimat gekämpft, die mangelnde Gnade beschworen, von Ehre geraunt. Miller ist pathetisch bis unter die Hutkrempe, fanatisch-heroisch bis zum Blut-und-Ehre-Trash („Seid stark, meine Soldaten, seid tapfer.“). Das darf man völlig bescheuert finden, oder man akzeptiert Millers Prämissen und lässt sich darauf ein: Frank Miller bemüht sich in Xerxes nicht um eine schulbuchtaugliche Illustrierung antiker Historie, sein Faible liegt in der ästhetischen Ausgestaltung von Gewalt, der Visualisierung von Heroismus, kompromisslos realitätsbefreit.
Im Alfonz-Magazin (1/2019) hat Falk Straub die Ähnlichkeiten von Xerxes zu 300 betont. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Parallelen gibt (blutreiches Schlachtenepos im Querformat hüben wie drüben), allerdings scheinen die Unterschiede ebenso markant: Gemessen an der Wortkargheit von Xerxes, das vor allem durch die Bildsprache zu wirken versucht, kommt 300 reichlich redselig daher. Miller erzählt in Xerxes noch viel stärker in großformatigen Bildern, mit extremen Perspektiven, viel abstrakter noch als in 300. Zentrale Bildelemente, typisch für Miller, werden als bloße Silhouetten in Szene gesetzt.
Frank Miller ist der Alfons Maria Mucha unter den Comic-Künstlern: Alles gerät ihm zum Ornament, als würde er eine krankhaft-gewaltverliebte Jugendstiladaption der griechischen Geschichte schreiben. Kaum ein Körper, kaum ein Speer, kaum ein Schild, der nicht vornehmlich seiner Form wegen das Bild füllt. Seine brutalen Enthauptungen und Amputationen sind in ihrer Grausamkeit so streitbar und ästhetisch wie ein Quentin-Tarantino-Film. Als Xerxes nach einer Frau sucht (von ‚Partnerin‘ kann kaum die Rede sein…) und schließlich Esther findet, geht diese in dem Ornat seiner göttlichen Lichtgestalt auf. Indem sie sich unterwirft, wird sie unsichtbar.
Millers Ruhm als Autor von The Dark Knight Returns (1986) oder Sin City (1991/92) beruht auch darauf, dass er mit einigem Mut neue Pfade beschritten hat. Exzessive Gewalt hat dabei stets eine große Rolle gespielt. Weniger rühmlich ist seine anti-islamische Folterorgie Holy Terror (2011) geraten, das man mit etwas Abstand vielleicht als Zeitdokument im Zusammenhang mit dem Clash of Cultures begreifen wird. Auch in 300 oder Xerxes kommen die das Abendland bedrohenden Feinde insgesamt nicht gut davon, allerdings wäre es verkürzt, die Comics auf diesen Aspektzu reduzieren. Die griechischen Orakel in 300 sind auch kein Ruhmesblatt der Gesellschaft. Dieser Comic im Zusammenhang mit seinen Äußerungen zur Occupy-Bewegung („Diebe und Vergewaltiger“) haben sein Ansehen in der Comicbranche nicht unbedingt gefördert. Dass er sich von diesen Äußerungen wie auch von Holy Terror inzwischen distanziert, wurde kaum wahrgenommen.
Man sollte das krude Männlichkeitsideal von Xerxes in seiner Kritik nicht vergessen, die Ästhetisierung von absoluter Gewalt, die uniforme Darstellung der Soldaten als Schlachtmasse. Die Türen für ein ausuferndes Frank-Miller-Bashing stehen sperrangelweit offen, man könnte noch die Befürchtung ergänzen, dass Xerxes wie auch 300 deutscher Blut-und-Boden-Propaganda nahestünden. Xerxes ist ein Comic, über den man sich in mancher Hinsicht ärgern kann.
Ich habe Respekt davor, wenn es einem Film, Buch oder Comic gelingt, dass ich mit starken Emotionen darauf reagiere, und sei es mit starker Ablehnung. Die Lektüre von Xerxes fordert meinen Geschmack und mein Weltbild heraus, und das ist mehr als viele Comics leisten. Miller beweist sich in Xerxes nicht als stringenter Erzähler mit historiografischen Ambitionen, er hat eine Serie von Splash Pages komponiert, deren manche mir im Gedächtnis bleiben werden.
Frank Miller hat angekündigt, dass die Reihe damit noch nicht abgeschlossen ist. Das wird manche freuen, viele auch nicht. Xerxes ist vielleicht der größte Mumpitz des Jahres, oder das furiose Comeback einer in die Jahre gekommenen Comic-Legende. Vielleicht ist es die große Herausforderung für jeden Comic-Leser, beides zugleich darin sehen zu können.
Furioser Mumpitz
Cross Cult, 2019
Text und Zeichnungen: Frank Miller
Kolorierung: Alex Sinclair
Übersetzung: Michael Schuster
112 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 30,00 Euro
ISBN: 978-3959816991
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