Mit Wo die Geschichten entstehen ist gerade der dritte Spezialband der Serie „Valerian & Veronique“ erschienen. Florian und Gerrit haben sich einmal angeschaut, ob der Band mit den Originalen konkurrieren kann.
Florian: Nach zwei parodistischen Spezialbänden von anderen Kreativen, ist „Wo die Geschichten entstehen“ eher ein inoffizieller Nachtrag zur legendären Science-Fiction-Serie Valerian & Veronique (1967–2010), geschrieben vom Originalszenaristen Pierre Christin und im Stil des verstorbenen Originalzeichners Jean-Claude Mezières gezeichnet von Virginie Augustin. Die Geschichte spielt beinahe hier und beinahe heute auf der Erde: Die ehemaligen Raum-Zeit- Agenten Valerian und Veronique, die nun als Kinder bei ihrem früheren Vorgesetzten wohnen, nehmen aufgrund einer Krise an einer intergalaktischen Konferenz teil. Mehr von der Handlung zu verraten, hieße vermutlich, zu spoilern.
Gerrit: Das übernehme ich gern, weil Spoiler mir völlig egal sind, und wer Spoiler nicht mag, kann unten weiterlesen. Also: Im 28. Jh. besucht Meisterin Nazultra Oberst Tloc auf dem Schurkenplaneten Rubanis. Tloc wird vom Volk der Delphen beauftragt, einen seltenen Rohstoff zu besorgen, den die Delphen benötigen, um ihr Überleben zu sichern und kitschige Geschichten für andere Völker zu erzählen. Auf der Erde im 21. Jahrhundert findet nun ein Treffen irgendwo im Kaukasus statt, um die Rohstoffe an den Meistbietenden zu verkaufen. Punkt.
Florian: Ich muss zugeben: Da ich die Bände der Originalserie nicht chronologisch gelesen habe und die neueren Bände auch nicht besitze, war ich erst ziemlich verwirrt, wieviel Wissen diese Geschichte voraussetzt, zum Beispiel, dass Valerian und Veronique mittlerweile Kinder sind, und wie der Raum-Zeit-Geheimdienst mittlerweile funktioniert.
Ich war immer ein etwas widerwilliger Fan der Serie. Das war halt die eine Comicserie, die es bei uns in der Stadtbücherei gab, und als Kind war ich von dieser manchmal alptraumhaften Psychedelik, den Dystopien und auch der grotesken Erotik in manchen Bänden wie „Die Insel der Kinder“ ziemlich verstört. Auf der anderen Seite waren es einfach gute Geschichten, großartige Bilder, tolle Kreaturen, und auch die seltsame, offene Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren hat damals fasziniert. Wie ging es dir?
Gerrit: Ich kannte die Originalbände eher aus den Comic-Haushalten von Freunden. Einzelne habe ich gelesen, aber nicht alle 23 Alben dieses Science-Fiction-Klassikers. Mit anderen Worten: Ich bin kein Fan, mag die Comics aber, wenn sie mir über den Weg laufen. Von dem ersten der bisher drei Spezialbände, „Die Rüstung des Jakolass“ von Manu Larcenet, war ich schwer begeistert, aber das liegt natürlich vor allem an Larcenet (Blast), der zugleich ein toller Erzähler und Zeichner ist.
Mit diesem Comic habe ich mich nicht leichtgetan. Die Story ist unglaublich dünn, d.h. sie ist weder spannend, komplex noch unterhaltsam. Viele Elemente der Handlung erscheinen mir gar nicht logisch, und so ergibt sich bei mir der Eindruck unzusammenhängender Szenen mit bekannten Figuren. Ich stolpere durch eine Geschichte, die mich nicht besonders fesselt. Eine Nummernrevue, aber keine gute. Und die Tatsache, dass Fans der Serie viele Figuren und Handlungsorte wiedererkennen werden, genügt mir nicht. Überhaupt nicht, denn eine gute Fortsetzung funktioniert für sich und zugleich als Fortsetzung.
Florian: Alte Figuren und Handlungselemente werden allerdings ziemlich stark verfremdet und wie eine Selbstparodie eingesetzt, ein Alien in einem Werbespot um Beispiel. Und ich würde sagen, der Band ist ziemlich undurchsichtig erzählt, ganz egal, wieviel du von der Serie kennst.
Ich hatte immer den Eindruck, dass die Serie sich mit dem horizontalen Erzählen am Schluss etwas verrannt hat, und dachte, Szenarist Pierre Christin wollte aus diesem Grund noch einmal eine in sich abgeschlossene Meta-Geschichte schreiben, „Wo die Geschichten entstehen“. Ich habe so etwas erwartet wie The Sandman als Science Fiction, vielleicht ein bisschen gesellschaftskritischer. Um es kurz zu machen: Das ist es absolut nicht geworden, sondern eher eine kleine Satire. Soll ich noch mehr spoilern? Es geht faktisch um ein Volk von gefühllosen und unkreativen Androiden, das für das ganze Universum Fernsehserien entwickelt, nach denen viele Planeten süchtig sind, und dafür müssen die Rahmenbedingungen neu ausgehandelt werden. Das ist die galaktische Krise. Das ist die große Pointe. Sie hat wenig mit nichts mit dem Hin und Her der Konferenz zu tun, das den Großteil der Story ausmacht, und mich hat das ein bisschen an den letzten Asterix-Band von Uderzo erinnert, in dem Mangas, Superhelden und Disneycomics relativ kenntnisfrei angepflaumt werden.
Gerrit: Wenn eine Serie so stark von den ursprünglichen Künstler*innen geprägt wurde, sollte man vielleicht damit zufrieden sein, dass es nach dem Tod eines der Beteiligten einfach vorbei ist. Eine der wenigen Ausnahmen ist Hugo Pratts Corto Maltese, und die oft beklagte Entscheidung Hergés, seinen Tim-und-Struppi-Klassiker nicht von anderen fortsetzen zu lassen, finde ich goldrichtig – wobei Larcenets Interpretation wiederum ein Argument für solche Experimente ist. Aber der Vergleich hinkt ja auch, weil Pierre Christin als Szenarist weiterhin an Bord ist und in meinen Augen auch den größeren Bock geschossen hat als die Zeichnerin, denn die skurrilen Alien-Wesen und die absurden Filmszenen aus Titeln wie „Die Liebschaften von Kardok dem Dreifüssler und Silfil dem Arachnoiden“ sind eigentlich ganz sehenswert. Kurzum: Mich hat die Story mehr enttäuscht als die Zeichnungen.
Florian: Ja, die Zeichnungen sind generell ganz witzig und schwungvoll, und ein paar Landschaften sind wahnsinnig atmosphärisch in Szene gesetzt, aber die Zeichnerin Virgine Augustin scheint hier die meiste Zeit als Mezières-Ersatz zu funktionieren, ich sehe da kaum eine eigene Note. Das ist ein bisschen „Valerian & Veronique light“ ohne neue wilde Illustrationsideen. Aber Pierre Christin war immer der Kopf der Serie. Und ich würde ihn, wenn er auch ganz anders arbeitet, als Szenarist auf einer Stufe mit Alan Moore oder Neil Gaiman sehen. Er war in den 1960ern so etwas wie der erste Comicautor, der versucht hat, sehr komplexe, vor allem politische, Themen in sehr spannende Comics zu übersetzen. Mezières hat dafür großartige außeriridsche Viecher geschaffen und trippige Planetenbilder, die beide bspw. „Star Wars“ stark beeinflusst haben. Und die werden hier wiederaufgegriffen, bis hin zum Bildzitat. Insofern ist das Spezial-Format ein bisschen irreführend, da erwarten wir ja eigentlich eher neue Sichtweisen auf alte Serien, was ich sehr mag. Sehr, sehr schade.
Gerrit: Alles in allem ist das beste an diesem Spezialband #3,
dass es zwei weitere zu entdecken gibt.
Florian: Valerian & Veronique als Kinder gegen die intergalaktische Medienwelt. Nicht zwingend notwendiger Nachklapp zur legendären europäischen Science Fiction- Serie.
Carlsen Verlag, 2023
Text und Zeichnungen: Pierre Christin, Virginie Augustin
Übersetzung: Christiane Bartelsen
56 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 18,00 Euro
ISBN:978-3-551-02633-0
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