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The Many Deaths of Laila Starr

Nur der Tod ist unvermeidlich. The Many Deaths of Laila Starr von Ram V und Filipe Andrade spielt mit dem Gedanken, dass dieses Heilige Gesetz des Menschseins vielleicht doch nicht gelte.

Alle Abbildungen © Cross Cult

The Many Deaths of Laila Starr war 2022 für mehrere Eisner Awards nominiert: Best Limited Series, Best Penciller/Inker, Best Writer, Best Coloring. Am Ende ging die Serie bzw. deren Künstler zwar leer aus, aber allein die Nominierungen in so vielen Sparten sollten neugierig machen.

Das erste Kapitel „Die fallende Starr“ (das englische Wortspiel „falling starr“ lässt sich wirklich nicht sehr elegant übertragen …) führt uns nach Mumbai, wo sich die Lebenswege dreier Figuren kreuzen, ohne dass sie einander begegnen würden. Was sie verbindet, erfahren wir erst später. Das Ehepaar Shah fährt mit hoher Geschwindigkeit durch Mumbai, er aufgeregt am Steuer, sie hochschwanger im Hinteren des Autos. Als Darius geboren wird, kann noch niemand wissen, welche besondere Rolle das Schicksal ihm zugedacht hat. Zur gleichen Zeit, als ein neues Leben das Licht der Welt erblickt, wechselt die Erzählung auf eine mythologische Ebene, „weit über den sterblichen Wolken“.

Die allegorische Verkörperung des Todes kommt im hinduistischen Kali-Look mit sechs Armen daher.

Der personifizierte Tod, eine schmuckbewehrte Businessfrau mit sechs Armen, wird ins Büro ihres Chefs gerufen: „Tod, ich fürchte, wir müssen dich entlassen.“ Was wie eine gute Nachricht für die Menschheit klingt, trifft die namenlose Göttin wie ein Schlag. „Ich bin der Tod. Große, bedrohliche Zunge, stechende Augen, sechs Arme … ihr könnt mich nicht feuern!“ Leider hat das Schicksal anders entschieden, denn bald werde ein Kind geboren, das ewiges Leben bringen solle. Ihr göttlicher Chef beschreibt der schockierten Angestellten ihre zukünftigen Möglichkeiten, denn sie werde fortan einen menschlichen Körper haben, um die „Freuden eines sterblichen Lebens“ erfahren zu können. Na, danke.

Währenddessen feiern Studierende ihren Jahresabschluss. Zigaretten, Alkohol, hoffnungsvolle Aussichten. Aber Laila Starr, auf einem Fenstersims hockend, hört ihrem flirtenden Gegenüber kaum zu, sondern schaut in die Ferne, als sie sich plötzlich bewegt und in die Tiefe stürzt. Ob sie mutwillig den Tod gesucht oder ihn versehentlich gefunden hat, wissen weder die Partygäste noch wir Leser:innen.

Laila stürzt aus dem Fenster (oben), aber als sie nach ihrem Sturz aus dem Krankenbett erwacht, ist sie nicht mehr Laila, sondern der Tod in Lailas Körper (unten). Ist nicht so kompliziert wie es klingt.

Darius, so heißt es, werde einmal das ewige Leben bringen. Und der Tod übernimmt den Körper der verstorbenen Laila Starr, die im Sinne der Arbeitsplatzerhaltung Darius töten möchte, bevor er ein Mittel entdeckt oder entwickelt, um den Tod zu überwinden. Um die Beziehung der beiden dreht sich die Handlung in den folgenden vier Kapiteln.

Wir begegnen dem achtjährigen Darius, dem zwanzigjährigen Darius, dem sechsunddreißigjährigen Darius, dem vierundsechzigjährigen Darius und dem alten Darius kurz vor dessen Tod. In jedem dieser sehr voneinander unabhängigen Kapitel begegnen der alternde Darius und die ewig-junge Laila sich stets, und jeweils hadert Laila mit ihrem Vorhaben, Darius zu töten. In jedem Kapitel setzen Ram V und Andrade sich mit einer eigenen Facette des Umgangs mit dem Tod auseinander: der Tod eines Hausangestellten, der dem Kind als unsterblicher Gott erscheint, aber in dessen Erinnerung fortlebt. Der Tod eines guten Freundes, mit dem er sich nun nicht mehr versöhnen kann. Der Tod einer Partnerin, der so sehr schmerzt, dass Darius kaum noch Lebenswillen spürt. Und schließlich der eigene Tod.

Darius ist im letzten Kapitel ein alter Mann, dessen Ende schon vorherbestimmt ist. Hat er ein Mittel gegen den Tod gefunden? 

Dass Laila am Ende jedes Kapitels stirbt, um jedes Mal wieder einige Jahre später zum Leben zu erwachen, ist natürlich sehr ironisch. Im Rahmen der Handlung macht es plausibel, dass Lailas Aussehen unverändert bleibt, d.h. sie altert nicht, obwohl sie nun doch zu den Sterblichen gehört. So kann sie durch Darius‘ Leben wandern und zugleich jung bleiben. Zugleich erklären ihre längeren Phasen als „Noch-nicht-Wiedererweckte“, warum sie Darius nur sporadisch aufsucht.

Die Story von Ram V (Paradiso, These Savage Shores, Grafity’s Wall) ist sehr einfühlsam und balanciert spannungs- und humorvoll zwischen der mythologischen Ebene und dem realistischen Setting. Dabei behält Ram V stets die individuellen Probleme der einzelnen Figuren im Blick, die sich von Story zu Story verändern. Man könnte hinterfragen, ob der Comic nicht sogar etwas gewinnen würde, wenn Ram V die Hintergrundgeschichte um Laila gestrichen und sich ganz auf die Episoden aus Darius‘ Leben konzentriert hätte: Braucht es eigentlich die Fantasy-Elemente?

Erzählerisch wiederum ein Highlight: Das dritte Kapitel wird aus der Perspektive einer Marlboro-Zigarette erzählt.

Die markant kolorierten Zeichnungen von Filipe Andrade wechseln zwischen enormer Dynamik und atmosphärischer Reduktion, zwischen wilden Perspektiven und klassischen Dialogszenen. Lediglich das Seitenlayout, Andrades Begeisterung für full-width panels, die seinem filmischen Stil entsprechen, aber doch manchmal etwas zahllos daherkommen.

Laila auf einer Party – schöne Bilder, nur das Format nutzt sich mit der Zeit ab.

Erwähnenswert sind außerdem die Anhänge: Ich persönlich finde finde wenig Gefallen an den üblichen ganzseitigen Cover-Galerien, die vielleicht nett anzusehen sind, aber sonst nichts über den Comic erzählen. In Laila Starr ist das Zusatzmaterial ungewohnt umfangreich und abwechslungsreich. Abgesehen von den kurzen Nachworten der Künstler finden wir auch eine Reihe kurzer Texte, die ursprünglich in PanelxPanel #47 im Juni 2021 erschienen sind. Ram V schreibt über seine Bemühungen, das Skript an die Stärken von Filipe Andrade anzupassen, vor allem seiner Vorliebe für großformatige Panels. Andrade wiederum erläutert seine ‚filmische Vorgehensweise‘ – besonders tiefe Betrachtungen sollte man nicht erwarten, aber umso interessanter ist es, dass hier mit Deron Bennett auch einmal der Letterer zu Wort kommt, auch wenn dessen Arbeit in der Übersetzung natürlich nur eingeschränkt zur Geltung kommt.

Die Serie erschien urprünglich in fünf Ausgaben zwischen April und September 2021 bei BOOM! Studios, und im März 2023 ist die abgeschlossene Serie als Gesamtausgabe erschienen. Nun liegt sie auch auf Deutsch vor.

Carpe diem – und lies dieses Buch!

8von10The Many Deaths of Laily Starr
Cross Cult, 2024
Text und Zeichnungen: Ram V, Filipe Andrade
Übersetzung: Jörg Faßbender
128 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3-98666-138-0
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