Bei einer neuen Comicserie mit dem simplen Titel Stonehenge könnte man eigentlich alles erwarten. Schließlich ranken sich um den berühmten Steinkreis so manche Legenden, die immer wieder auch die wissenschaftlichen Betrachtungen und Forschungen vernebeln. Manchmal wird der Mythos gegenüber der Realität und den Fakten bevorzugt. Dabei hilft es der Fantasie, dass wissenschaftlich immer noch nicht alles um die Brocken im Süden von England aufgeklärt ist. Manche versteigen sich sogar in bester Erich-von-Däniken-Manier darin, dass die Steine von Außerirdischen aufgestellt worden seien, als ob das ein interplanetarer Raumhafen gewesen sei. Liegt hier also nun ein Science-Fiction-Comic vor? Nein, da können die Leser beruhigt sein. Handelt es sich um Fantasy? Hmm, vielleicht. Jedenfalls sind im Auftaktband keine typischen Elemente des Genres wie Fabelwesen oder Magie zu entdecken. Gleichzeitig werden aber einige Weichen gestellt, welche durchaus in diese Richtung führen könnten. Gegen Ende ist jedenfalls von einem mächtigen Schwert und einem ominösen Tor die Rede. Am besten lässt sich Stonehenge ins Genre des Historiencomics einordnen.
Zumindest in dem Sinne, dass sich Autor Éric Corbeyran eng an historische Fakten hält und sich mit Thierry Jigourel sogar einen historischen Berater geholt hat. Allerdings muss man hier auch einige Abstriche machen. Da über Stonehenge nicht sonderlich viel mit absoluter Sicherheit bekannt ist, verzichtet auch Starautor Corbeyran auf Spekulationen und lässt nur eine einzelne Szene direkt in dem legendären Steinkreis spielen. Dieser dient damit nur als Aufhänger für eine gänzlich andere Story und verschwindet zunehmend im Hintergrund. In der Geschichte selbst geht es um den Konflikt zwischen der alten und der neuen Religion. Das Christentum ist auf dem Vormarsch und bestrebt, alle alten Religionen und deren Vertreter, wie etwa die Druiden, zu integrieren oder zu vernichten.
Im Jahre 446 ist Britannien in viele verschiedene Regionen aufgeteilt, welche von Stämmen beherrscht werden. Nur notdürftig werden diese durch einen übergeordneten König zusammen gehalten. In dieser prekären politischen Lage kommt ein Gesandter Roms in ein Kloster, um die Einheit des Glaubens zu festigen und Ketzer zu jagen. Dem jungen Mönch Ninian wird seine Liebe zu der alten Sprache und der Kultur der Druiden beinahe zum Verhängnis.
Wem das alles einigermaßen bekannt vorkommt, liegt richtig. So ähnlich gab es das schon in der Serie Die Druiden. Diese Reihe war eher ein Krimi in historischer Kulisse, während Stonehenge seinen endgültigen Weg noch nicht gefunden hat und eher danach aussieht, als ob die Protagonisten einfach etwas suchen – vielleicht finden sie ja auch die erzählerische Richtung. Aber nicht zuletzt dadurch gewinnt der Band auch an Spannung. Generell ist der Band zwar nett zu lesen, aber was er einem sagen will, ist nicht klar.
Es sind vor allem die Zeichnungen von Ugo Pinson, die ein wahrer Augenschmaus sind, das historische Setting gekonnt umsetzen und den Leser von Anfang an in den Bann ziehen. „Zeichnungen“ ist sogar ein zu zahmer Begriff, denn jedes Panel ist ein kleines Gemälde und der dicke Farbaufstrich, offensichtlich in Öl, gibt einen sehr plastischen Eindruck. Dieser ist so stark, das man meint, mit seinen Fingern in die Hautfalten der Figuren greifen zu können. Doch gerade die Mimik und die Körper der Figuren sind nie übertrieben, wie es etwa bei Richard Corben vorkommen kann, sondern immer realistisch. Auch wenn der Band insgesamt sehr behäbig daherkommt, ist er definitiv was fürs Auge. Geschichtsfans können zugreifen, der Rest sollte abwarten, wohin die Suche nach einem verschwundenen Stein noch führen wird.
Behäbig erzählt, doch immerhin die gemäldeartigen Zeichnungen wissen zu faszinieren.
Splitter Verlag, 2015
Text: Éric Corbeyran
Zeichnungen: Ugo Pinson
Übersetzung: Marcel Le Comte
56 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-192-5
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