Erinnert sich jemand an den großartigen Film Almost Famous? Er handelt von einem 15-jährigen Schüler, der eine Rockband auf Tournee begleitet, um eine Story für den Rolling Stone zu schreiben. Dieser Junge, William, ist eigentlich viel zu jung und nett für das, was er mit den Musikern erlebt, aber seine Distanz erlaubt ihm, deren oberflächliches Treiben zu durchschauen. „Du bist einfach zu süß für Rock’n’Roll“, sagt ihm in einer Szene das – ebenfalls noch minderjährige – Groupie mit dem Namen Penny Lane, eine junge Frau, die glaubt, in einer Welt zu leben, die nur aus Spaß und Party besteht, die tatsächlich aber nur benutzt und ausgenutzt wird. „Süß?“, meint der junge William, „Was heißt hier süß? Ich bin düster, mysteriös …“.
So ähnlich ist das mit den Comics von Flix, die ja auch immer sehr leicht und nett wirken. Wenn Flix zu tagespolitischen Ereignissen einen Strip abliefert, beispielsweise zur Charlie Hebdo-Tragödie, dann merkt man, dass er in dieser grimmigen Realität nicht in seinem eigentlichen Element ist. Flix‘ großes Vorbild Ralf König, dem Jungzeichner durchaus sehr gewogen, meinte mal, „[Flix] hat im Gegensatz zu mir einen sehr … ich sag mal freundlichen Humor. Er geht ganz liebevoll mit seinen Figuren um. Besonders die Frauen sind immer nett und niedlich. Was ich vermisse, ist Sex and Drugs and Rock’n‘Roll!“
Nun ja, was den „Born to raise hell“-Rock’n’Roll von Ralf König angeht, ist das sicher richtig. Flix ist nicht „gefährlich“ oder provokativ. Aber er ist fleißig, kreativ, offen und experimentierfreudig. Öfter als andere zeitgenössische Zeichner wechselt er die Form, macht mit bewundernswerter Kontinuität seit Jahren die Heldentage-Strips auf seiner Website, verfasst Langerzählungen wie Don Quijote und Faust, autobiografische Comics, und – als bisherige Krönung seines Werks – Schöne Töchter, eine Stripreihe, die nur er kann und in der er wendig und lebendig ist wie der Fisch im Wasser.
Und Schöne Töchter ist durchaus Rock’n’Roll. Es ist verspielt und kunstvoll wie Pet Sounds oder Surf’s Up, die besten Scheiben der Beach Boys, und bei aller Kunst dennoch gefällig und eingängig. Flix löst sich in Schöne Töchter vom linearen Erzählen in gleichförmigen Panels, das den Rest seines Œuvres ausmacht. Das Einzige, was in Schöne Töchter festgelegt ist, ist der feste quadratische Rahmen einer jeden Seite – eine deutliche Bezugnahme auf Calvin und Hobbes, wo Bill Watterson auf seinen Sonntagsseiten ebenfalls mit der starren Struktur eines vorgegebenen Panelrahmens brach und sich eine ähnliche gestalterische Freiheit erlaubte. Und ursprünglich erschienen ja auch die Schöne Töchter-Strips in einer Sonntagszeitung, nämlich dem Tagesspiegel, der sie seit gut fünf Jahren regelmäßig abdruckt.
Jede der von Flix gestalteten Seiten umreißt in irgendeiner Form eine Mann-Frau-Beziehung. Das sind manchmal kleine Mini-Epen, die ein komplettes Leben nachzeichnen, manchmal aber auch nur Darstellungen einer Situation oder Stimmung. Manche Geschichten lassen offen, in welcher Reihenfolge die Panels zu lesen sind, manche erlauben Abzweigungen in der Leserichtung mit unterschiedlichem Ergebnis, wieder andere Geschichten lassen sich im Kreis herum und damit endlos weiterlesen.
Die Gestaltung der Seiten und die Handlung bedingen einander wie in wenigen anderen Comics. Nie ist ganz klar, ob die Erzählung den Zweck hat, ein interessantes Layout zu stützen oder die Zeichnungen den Zweck haben, auf eine Pointe zuzusteuern. Mal gibt es riesige Textblöcke, mal erzählt Flix komplett ohne Worte, mal arbeitet er mit, mal ohne Panelumrandungen, mal gibt es riesige Bleedpanels, in denen einige wenige kleine Einzelbilder eingebettet sind. Stets ist die visuelle Gestaltung Teil der Pointe, wenn nicht selbst die Pointe.
Neben der visuellen Überwältigung überzeugt aber auch Flix‘ Talent für witzige, voll aus dem Leben gegriffene Dialoge, die in der pointierten Beschränkung auf eine Seite noch besser sind als in den manchmal etwas überdrehten Langerzählungen, die man bisher von ihm kennt. Bei allem Humor haben die Erzählungen in Schöne Töchter aber immer wieder auch einen tragisch-melancholischen Unterton, denn auch Trennung und Tod werden in den Geschichten nicht ausgespart.
Flix hat mit Schöne Töchter die perfekte Form gefunden, alles zu verhandeln, was einem in einem langen, beziehungsreichen Leben so um die Ohren fliegen kann. Muss man erwähnen, dass auch die Farben umwerfend sind? Flix malt seine Geschichten nicht nur bunt an, häufig hat die Farbgebung – und auch das Weglassen von Farbe – eine erzählende Funktion und bereichert die Erzählungen um eine weitere Dimension.
Es bleibt zu hoffen, dass Flix mit den Schönen Töchtern noch lange weitermacht, denn von Routine oder Ermüdungserscheinungen ist keine Spur zu sehen. Vielleicht bleibt er sich aber auch in anderer Hinsicht treu und macht lieber etwas komplett Neues. Alles recht, solange er es nur nicht macht wie Bill Watterson, der sich komplett zurückzog, als er auf der Höhe seiner Kunst war.
Flix überrascht immer wieder aus Neue. Schöne Töchter ist inhaltlich wie visuell sein bisher aufregendstes Werk.
Carlsen Verlag, 2015
Text und Zeichnungen: Flix
128 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 24,99 Euro
ISBN: 978-3551788399
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