Comics aus den Philippinen – das klingt nur beim ersten Hören ungewöhnlich. Für Comicfans ist es durchaus wahrscheinlich, dass sie über den Umweg des US-Markts schon längst mit philippinischen Comickünstlern in Berührung gekommen sind. Die erste Welle philippinischer Künstler schwappte in den 1970ern nach Amerika und brachte Künstler wie Alfredo Alcala, Alex Niño, Nestor Redondo, Gerry Talaoc, Romeo Tanghal und Ernie Chan, man kennt sie aus Serien wie Swamp Thing, Jonah Hex, von Arbeiten für den Warren Verlag – und zumindest Alex Niño haben wir auch schon in den deutschen Gespenster-Geschichten gesehen. Warum nicht mal den Blick auf philippinische Comics werfen, die nicht durch die amerikanische Auftragslage gefiltert wurden?

Töchterchen Amor liebt ihr kleines Kätzchen. (Alle Abbildungen (c) Dantes Verlag.)
Sa Wala – Für Nichts ist das Comicdebut der bildenden Künstlerin Renren Galeno. Es handelt von einer normalen phillipinischen Durchschnittsfamilie auf dem Land, dort wo man sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, vom Sprung aufs College träumt (was sich viele nicht leisten können) und sich einfachen Freuden wie dem illegalen Hahnenkampf hingibt. Da kommt die Gelegenheit gerade recht, dass der Vater Anding eines Nachts beim Autofahren einen streunenden Hahn einsammelt, der sich als Naturtalent für den Hahnenkampf erweist.
Aber wie jede vermeintliche Wunderwaffe hat auch diese ihren Preis: die Verzerrung des Wettbewerbs zugunsten der Familie Faustino weckt Begehrlichkeiten, außerdem besitzt der Hahn sowohl vampirische als auch dämonische Züge, kehrt von den Toten zurück und ernährt sich von kleinen Katzen und Blut. Das trächtige Kätzchen von Tochter Rea ist eines der ersten Opfer des Monsterhahns. Der Rest der Familie verheimlicht den tatsächlichen Killer von Amors Kätzchen und lässt das Kind Suchzettel nach der verlorenen Katze aufhängen, ein frühes Anzeichen dafür, wie die Gier nach einem besseren Leben düstere Familiengeheimnisse produzieren und das Zusammenleben vergiften kann.
Renren Galeno ist mit Sa Wala eine gelungene Fabel über die Fallstricke des Kapitalismus gelungen, versetzt mit einer Prise Märchenlogik. Den Keim zum Niedergang tragen die Menschen in Sa Wala dabei bereits in sich, schon bevor der Monsterhahn in ihr Leben tritt: es ist nur eine beiläufige Szene, in der die Hahnenkampf-Nerds ihre Kampftiere „spornen“, d.h. mit scharfen Klingen an den Krallen besonders gefährlich machen. Es deutet sich die Verrohung an, die mit der Verfügbarkeit neuer Hilfsmittel einhergeht: der alles vernichtende Kampfhahn ist lediglich die neue Eskalationsstufe, die nächste wird bald gezündet, denn ein findiger Boss kommt auf die Idee, man könnte solche Monsterhähne doch im großen Stil züchten. Was einst ein (verwerfliches) Vergnügen war, mutiert zum Vernichtungskrieg.

Derweil die Männer ihren Hahn zum Zweikampf hochrüsten.
Von einer Sympathie Renren Galenos gegenüber dem Hahnenkampf muss deswegen nicht ausgegangen werden, was Empathie gegenüber den Fans an dem Gemetzel nicht ausschließt: Renren Galeno erzählt mit einem wohlwollenden, zärtlichen Blick auf ihre Protagonisten, die doch nur ihr Leben auf die Reihe kriegen wollen. Sie zeichnet ihre schwarzweiße Graphic Novel in einem illustrierenden, zweckmäßigen Erzählstil, Renren selbst erwähnte in einem Interview Katsuhiro Otomo als Vorbild. Das gekonnte Wechselspiel zwischen wortreichen Dialogsequenzen und langen Passagen ohne Worte verleiht der Erzählung einen filmischen Rhythmus, der Sa Wala in die Nähe von Filmentdeckungen rückt, wie man sie Jahr für Jahr auf dem Fantasy Filmfest zu sehen bekommt.
Die Künstlerin Renren Galeno hatte nach ihrem gelungenen Comic-Debut einen bedeutenden Karriereschub, als sie 2024 beinahe den Pulitzer-Preis erhielt für ihre Illustrationen für „Searching for Maura“, eines Reports der Washington Post. Darin geht es um eine Sammlung von Gehirnen philippinischer Menschen im Smithsonian’s Museum of Natural History, welche damals erforscht werden sollten, um die Überlegenheit der weißen „Rasse“ wissenschaftlich zu belegen. Es gibt noch viel aufzuarbeiten.
Überzeugende Horrorfabel aus der philippinischen Provinz

Dantes Verlag, 2024
Text und Zeichnungen: Renren (Ren2x) Galeno
Übersetzung: Jens R. Nielsen
220 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 22 Euro
ISBN: 978-3689020088
Leseprobe
Anmerkung: In einer ersten Version des Textes schrieb ich, Renren Galeno habe den Pulitzer gewonnen. Sie war aber nur Finalistin. Gewinner in dieser Kategorie war Médar de la Cruz für seine Illustrationen für „The Diary of a Rikers Island Library Worker“, eine Reportage des New Yorker.