Computer nehmen uns die Arbeit ab, haben sie gesagt. Jetzt nimmt uns KI jene weg, die am meisten Spaß macht: Kreativ zu sein.
Ich hab es ja nicht anders gewollt: Tag für Tag werde ich auf Social Media mit KI-Artwork nur so zugeballert, das komplett nur einem Thema verschrieben zu sein scheint: Frauenkörper mit besonders großen Titten. Sorry wegen des unangemessenen Sprachregisters, aber was einen hier tagein, tagaus anfliegt, ist mit normalen Worten nur unangemessen zu beschreiben. Tausende neue Hochglanzbilder täglich mit Lara Croft, Disney-Prinzessinnen oder Red Sonja, stets flankiert von völlig nichtssagenden Kommentaren, die jedes noch so behämmerte Bild in den Himmel jubeln. Wieso tue ich mir das an? Aber ich zähle bei jedem dieser Bilder die Finger und prüfe, wie verdreht die Gelenke sind, um mich rückzuversichern, dass sehr vieles nur Blendwerk ist. (Es gibt Ausnahmen.)
Jo Lotts Beitrag zum Thema ist ein kleines Büchlein von ca. 90 Seiten mit dem Titel Real Human Art – eine kleine Sammlung von Kurzstrips, die grafisch so reduziert sind, dass ich mich beim ersten flüchtigen Durchblättern fragte, ob denn hier überhaupt noch einer was arbeiten will. Die KI-Fans füttern ihre Maschine mit ein paar Prompts und drücken „Enter“, die realen Künstler machen mit ein paar Strichen ein Setting und ziehen das grafische Konzept gnadenlos über 80 Seiten durch? Und zwischendurch gibt es ein paar ausgetüftelte Grafikvignetten, sozusagen als Nachweis, dass man ja eigentlich doch mehr kann als nur reduzierte Linien. (Na gut, Shane Simmons Longshot Comics war noch reduzierter. Da gab es tatsächlich nur noch Kästchen und Punkte.)
Aber natürlich fange ich spätesten nach dem ersten Eindruck das Denken an, denn in Wirklichkeit macht Johannes Lott nichts anderes als die Größten der Zunft. Snoopys Hundehütte ist auch nur ein Viereck mit Quer- und Längsstrichen, Hägar der Schreckliche kann jeder Zehnjährige abmalen, und Scott Addams hat bei Dilbert mal kokettiert, die größte Herausforderung bei Dilbert sei es, die zwei Striche von Dilberts Kopf immer exakt gleichlang zu ziehen. Aber darauf kommt’s bei reduzierter Kunst halt auch an. Jo Lotts Figurendesign ist in allerbester Tradition – der leidende Künstler und seine KI-Blechbüchse, die dem Künstler die Arbeit wegnimmt, funktionieren perfekt in ihrer Chemie; kein Strich ist zu viel, alles ist der zugespitzten Pointe untergeordnet. Je länger man liest, desto mehr weiß man auch zu schätzen, dass Jo Lott seiner KI-Blechbüchse ganz schön viel Charakter verliehen hat – manchmal gar mit Mimik (das Auge zusammenkneifen) und Gestik (gelegentlich ausfahrende Greifarme). Der Rest ist unsere Projektion, die uns in den stets gleich aussehenden Kasten mal Arroganz, mal Gelassenheit, Neugier oder völlige Entspannung hineinprojizieren lässt.
Das menschliche Pendant zur KI, der leidende Künstler, ist allerdings nicht weniger deadpan in seiner Mimik und hat stets den gleichen Gesichtsausdruck, egal ob ihn die Maschine gerade wieder demütigt (was oft vorkommt) oder er gelegentlich kleine Siege erzielt. Am Ende einigen sich Mensch und Maschine ohnehin auf unentschieden und verbringen gemeinsam eine Auszeit am Strand, wo sie mit Drinks dem Sonnenuntergang entgegenblicken. (Echte AIs schlürfen auch Cocktails. Ehrensache.) Wem dieses Fast-schon-Happyend zu weit geht, der kann ja als Gegengift die Handreichung von „Ugly Bug“ zur Hand nehmen, die derzeit in den Comicläden ausliegt. Darin werden einige Vorschläge zum Besten gegeben, was man mit KI-Künstlern so alles machen sollte, z.B. auf den Mond schießen, mit echter Kunst konfrontieren, den Strom abstellen und noch ein paar andere Vorschläge, die weniger lustig als vielmehr ganz schön rotzig sind. Dagegen ist Jo Lotts Umgang mit dem Thema doch recht sympathisch geraten. Aber machen wir uns nichts vor: natürlich ist die Flut an KI-Kunst zum Großteil furchtbarer Ramsch. Jo Lotts handgemachter Comic ist das nicht.
Ich halte es für angemessen, diesen Text von Maschinen kommentieren zu lassen, schließlich geht es um sie. Deshalb sende ich ihn an meinen beiden liebsten KI-Podcaster von Google. Ich prompte sie lediglich mit dem, was ich hier gerade schreibe und bin gespannt, wie sie mir den Ball zurückspielen.
Früher war ich ja überzeugt im Team „Blade Runner“ und der Meinung, dass es mehr als unangebracht ist, der Künstlichen Intelligenz menschliche Attribute zuzuweisen; die beiden Podcast-Hosts und Jo Lotts Blechbüchse sind aber beide so sympathisch geraten, dass ich es fast nicht mehr übers Herz bringe, KI noch länger zu verachten. Aber auch der KI-Podcast ist nur Blendwerk. Spätestens ab dem dritten Podcast dieser Art lassen deren Neuigkeitswert und meine Faszination nach. Die können gerne wieder weg. – Das hab ich ihnen aber nicht gepromptet. Sie relativieren es ja doch nur wieder in ihrer windelweichen Ethik.
Maschinengenerierte Podcaster beiseite: Das letzte Fazit überlasse ich Johannes Lott selbst, der mir sinngemäß erklärt hat, dass Kunst ohne Schaffensprozess aus verschiedenen Gründen doch sehr dystopisch ist: Es wird die ohnehin fragile Branche immer weiter dezimieren, während einige wenige sich die Tasche vollstopfen, „zumal ja alles auf gestohlenen oder zumindest zweifelhaft gewonnenen Daten beruht, für die vermutlich niemals jemand entschädigt werden wird.“
Und vom ökologischen Fußabdruck für den ganzen KI-Firlefanz hab ich noch nicht mal angefangen. Der Preis ist zu hoch.
Handgemacht ist doch am Schönsten
Schwarzer Turm, 2024
Text und Zeichnungen: Johannes Lott
88 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 12 Euro
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