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Reader Superhelden

Batman oder Superman? Natürlich Batman. Aber über Superhelden gibt es mehr zu sagen als das. Bei transcript ist ein opulenter Reader erschienen, der genau dies versucht.

Alle Abbildungen © transcript

Wer etwas über Superhelden lernen möchte, kann (und soll) Superheldencomics lesen, wird aber irgendwann an den Punkt kommen, dass es noch so vieles jenseits der eigenen Lektüregrenzen gibt, das man sich nur über sekundäre Lektüre erschließen kann. Lukas Etter, Thomas Nehrlich und Joanna Nowotny haben nun einen Reader bei transcript veröffentlicht, in dem Aufsätze zur Geschichte und Theorie von Superhelden gesammelt werden.

Der 536-seitige Reader ist in sechs Sektionen aufgeteilt: 1. Vorläufer in der Literatur- und Kulturgeschichte, 2. Definitionsansätze, 3. Historiographie, 4. Frühe Stellungnahmen, 5. Selbstaussagen und Selbstreflexionen im Medium des Comics, 6. Zeitgenössische Forschung.

Vorläufer

Nun könnte man denken: Die kramen bestimmt antike Vorläufer heraus, um über Konzepte des Heroischen eine Brücke zu heutigen Comic-Superhelden zu schlagen. Ja, genau das tun sie, aber das geht auch nicht anders. Ein Auszug aus Homers Illias führt uns in den Trojanischen Krieg und lässt uns an dem Zweikampf zwischen Achilles und Hektor teilhaben: Zeigt sich darin nicht eine ähnliche zugespitzte Konfrontation wie auch in vielen Superheldencomics, in denen Held und Schurke (Superheld und Superschurke) einander im Showdown begegnen? Dass auch Nietzsches Also sprach Zarathustra ein wenig Raum in diesem Reader bekommt, ist in der Konzeption vom „Übermensch“ („Superman“) begründet, die an der Entstehung der Initialfigur Joe Shusters nicht ganz unschuldig war. Damit haben sich die Herausgeber vor allem für kulturhistorische Schwergewichte entschieden (naheliegend), und zwar vor allem konzeptionelle Vorläufer, also in Hinblick auf das „Heroische“, nicht unbedingt mit Blick auf Superheldencomics und die Vorläufer der Pulp-Magazine der 1920er Jahre. – Nach diesem Warm-up geht es nun richtig los, und zwar: mit Definitionen.

Definitionsansätze

Was ist nun ein Superheld? Die Sektion beginnt mit einem Beitrag von Peter Coogan (2009), in dem der Autor die inzwischen klassisch gewordenen Merkmale eines Superhelden aufzählt: Mission, Kräfte, Identität, Kostüm. Das ist für den Einstieg schon mal ganz gut, aber noch nicht der Höhepunkt. Wesentlich appelativer werden dann Jeph Loeb und Tom Morris, deren kurzer Text die Vielfalt des Bandes erhöht, aber doch besser als Vorwort zu einer Comic-Anthologie taugt: „Geh raus und tu es auf deine Art. Die Welt kann immer neue Helden gebrauchen.“ (S. 116) Geschmackssache. Viel mehr Fleisch bieten da Stephan Ditschke und Anjin Anhut in Menschliches, Allzumenschliches. Ihre narratologische Analyse ist klassisch-strukturalistisch – Fans der alten Schule á la Michael Titzmann und Marianne Wünsch werden ihre Freude haben (P.S.: ich auch!). Die Autoren beschreiben die Welt in Superheldencomics anhand ihrer Raumstruktur, die durch (A) eine etablierte Ordnung, (B) die Unterwelt und (C) die „Anderwelt“ des Superhelden charakterisiert sei. Die Bewegungen der Figuren zwischen diesen Teilräumen erlauben dann, die zentralen Ereignisse der Handlung besser zu erkennen. Neulinge der Terminologie wird dieser Beitrag womöglich herausfordern, aber die klare Argumentation macht dies wieder wett.

Historiographie

In dieser Sektion wird keineswegs Comic-Historiographie betrieben, sondern es soll um Superheldencomics gehen, in denen Realgeschichte thematisiert und damit zu einer fiktionalen Alternativgeschichte gemacht wird. Die Beiträge dazu passen aber nur bedingt zum Rahmen: Während Jens Meinrenken Superman vor dem Hintergrund der jüdischen Identität Joe Shusters liest und mit seiner Ausführung über Superhelden im Zweiten Weltkrieg noch verhältnismäßig gut passt, ist dies bei dem allgemeinen Lexikoneintrag von Thierry Groensteen und Henry Morgan nur noch mit Abstrichen der Fall (aber: Der Eintrag ist sehr lesenswert!). Und mit dem kurzen Text Eisner des amerikanischen Künstlers Raymoind Pettibon ist auch ein Text enthalten, der eher künstlerischer als informativer Natur ist. Um es kurz zu machen: Ein kurzes Kapitel, und nicht das beste.

Frühe Stellungnahmen

„Früh“ ist nach Homer, der Bibel und Nietzsche natürlich etwas relativ – tatsächlich finden sich hier Texte aus den 1940er bis 1970ern, in denen höchst unterschiedliche Meinungen über Superhelden präsentiert werden. Während der amerikanische Psychologe (und Comic-Autor) William Moulton Marston sich 1943 sehr wohlwollend über Comics äußert, haben die Herausgeber mit dem deutsch-amerikanischen Psychiater Fredric Wertham einen der bekanntesten Comic-Kritiker ausgesucht. Seine Kampfschrift gegen das populäre Medium, Seduction of the Innocent (1954), hat seine Spuren bis heute hinterlassen. Er führt die Verrohung der Jugend auf die Lektüre von Superheldencomics zurück (by the way: heute würden Eltern sich freuen, wenn die Kinder sich zugunsten von Comics kurz von ihren Smartphones trennen würden). Über Superman schreibt er, er trage ein großes „S auf seiner Uniform – wir sollten, meine ich, dankbar sein, dass es kein SS ist“. Bedauerlich ist lediglich, dass der Ausschnitt nur zwei Seiten umfasst.

Selbstaussagen und Selbstreflexionen im Medium des Comics

Nun kommen die Künstler zu Wort: Mit Stan Lee, Frank Miller, Alan Moore oder Mark Millar äußern sich die wichtigsten Stimmen, wenn es um Superhelden geht, zu Wort. Das fällt mal mehr, mal weniger aufschlussreich aus. Stan Lee erläutert die Marvel-Methode, sein arbeitsteiliges Produktionsprinzip für Superheldenstorys. Frank Miller spricht in seinem Interview, das er 2008 mit Spiegel Online anlässlich der Verfilmung von Will Eisners The Spirit unter Millers Regie führte. So prägend Millers Comics für die Entwicklung des Superheldencomics waren, so fade ist dieses Interview, das nirgends in die Tiefe geht. Bei Alan Moore, der von Lutz Göllner 2017 interviewt worden ist, wird es schon spannender, weil er über die Produktionsbedingungen in verschiedenen Verlagen spricht, darunter auch über seinen Zwist mit DC über Tantiemen und Rechte. Überraschend ist die Aufnahme von drei grafischen Kurzbeiträgen von Chris Ware, Diane DiMassa und David Boller, die den Band etwas abwechslungsreicher gestalten, aber doch wenig hinzuzufügen haben. Insgesamt ein eher enttäuschender Abschnitt in diesem Band.

Zeitgenössische Forschung

Allein vom Umfang her kommt diese Sektion als eines der Herzstücke dieses Bandes daher. In drei Abschnitten (kulturelle und ethnische Stereotype, Gender und Medialität) werden neun Aufsätze aus den Jahren 1988 bis 2018 abgedruckt. Die Autor/innen widmen sich der Darstellung muslimischer Superhelden vor und nach 9/11, dem Auftauchen von afroamerikanischen Held/innenfiguren in den 1960er und 1970er Jahren oder der Rezeptionsgeschichte des Dynamischen Duos als homosexuelle Lebensgemeinschaft. Am interessantesten ist Véronique Sinas Beitrag über die Comic-Verfilmung von Mark Millars Kick-Ass (2010). Sina beobachtet kritisch den Umgang mit Geschlechterstereotypen in Comic wie Film und stellt fest, dass letztlich die dominanten Geschlechterstrukturen bestätigt werden.

Dieser Reader Superhelden richtet sich an akademische Leserinnen und Leser, die sich näher mit der historischen, soziokulturellen oder ökonomischen Dimension von Superheldengeschichten beschäftigen wollen. Angesichts des ziegelsteinigen Umfangs ist es verschmerzbar, dass nicht jedes Kapitel gleich aufschlussreich geraten ist. Während im englischen Sprachraum bereits mehrere solcher Publikationen verfügbar sind, haben die Herausgeber/innen hiermit nun eine Diskussionsgrundlage in deutscher Sprache vorgelegt.

Fünfhundertsechsunddreißig Seiten Superhelden

7von10Reader Superhelden. Theorie – Geschichte – Medien
transcript, 2018
Herausgeber: Lukas Etter, Thomas Nehrlich, Joanna Nowotny
536 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 29,99 Euro
ISBN: 978-3837638691
Leseprobe

 

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