Rezensionen
Schreibe einen Kommentar

Moon Knight Collection von Brian Michael Bendis

Brian Michael Bendis‘ Interpretation der Moon-Knight-Figur ist eigenwillig, nimmt dem Helden aber sein Momentum. Die bei Panini gesammelt erschienene 12-teilige Reihe, welche in Heftform von 2011 bis 2012 lief, überzeugt in erster Linie durch Alex Maleevs Artwork.

Cover der deutschen Panini-Ausgabe. © Panini

Brian Michael Bendis und Moon Knight, das klingt zunächst nach einem match made in heaven. Mit Moon Knight hätte der Autor nach all den großen Marvel-Events der 2000er, in denen ständig das Schicksal der gesamten Menschheit auf dem Spiel stand (House of M, Secret Invasion, Siege etc.,) gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurückzukehren und sich endlich wieder auf überzeugende Weise mit bodenständigen, gebrochenen Helden widmen können – etwas, das er anhand von Figuren wie Jessica Jones (Alias, 2001-2003) oder Daredevil (Daredevil #26-81, 2001-2006) bereits meisterhaft vorgeführt hat. Moon Knight, der nicht selten auch als „Marvels Batman“ bezeichnet wird, ist geradezu prädestiniert für Bendis‘ Stil: grimmig, traumatisiert und ständig an der Kippe zum Wahnsinn. Wenn Bendis Helden schreiben kann, dann diese. Hinzu kommt, dass die Zeichen im Hause Marvel anno 2011 ganz zu Moon Knights Gunsten standen. Krimiautor Charlie Huston und Zeichner David Finch hatten mit ihrer düsteren, ultrabrutalen Moon-Knight-Reihe (2006-2009) soeben eine geniale Revitalisierung der Figur vorgenommen – Moon Knight existiert schließlich bereits seit 1975 – und sie stärker in der Gegenwart verortet.

Charlie Hustons und David Finchs Neuinterpretation legte den Grundstein für moderne Moon-Knight-Comics. (Zeichnungen: Finch, © Marvel Comics)

In Hustons Version ist Moon Knights Alter Ego Marc Spector ein Veteran aus dem Golfkrieg, der sich sein Geld als Söldner verdient. Seine Hintergrundgeschichte ist schnell erzählt: Bei einer Ausgrabung in Ägypten fällt ihm sein psychopathischer Soldatenkamerad Raoul Bushman in den Rücken, um die geborgenen Schätze für sich zu behalten. Er tötet den Archäologen Dr. Alraune und verwundet Spector schwer. Mit letzter Kraft schleppt sich Spector vor die Statue des ägyptischen Mondgottes Khonshu, der ihn wiederbelebt und mit besonderen Kräften ausstattet. Spector verwandelt sich in „Moon Knight“, der von nun an in Khonshus Namen für Gerechtigkeit sorgt. Dabei bleibt stets offen, ob es sich bei Khonshu nicht um Spectors Einbildung handelt, wobei zusätzliche Alter Egos – Steven Grant und Jake Lockley – auf eine dissoziative Persönlichkeitsstörung hindeuten. (Dieser Aspekt wird vor allem in Jeff Lemires Run von 2016-2018 eine Rolle spielen.) Huston lässt Moon Knight durch die Hölle gehen, macht ihn drogenabhängig, seine Kräfte sind weg, er sitzt im Rollstuhl und alle Menschen, die ihm einmal etwas bedeutet haben, haben sich von ihm abgewandt. In Rückblenden rekonstruiert Huston – unterstützt von Finchs detaillierten, den Horror auskostenden Zeichnungen – wie es soweit kommen konnte. Dabei taucht Huston tief in die Geschichte Moon Knights ein, in der alle Figuren – seine große Liebe Marlene, sein bester Freund Frenchie bis hin zur alten Nemesis Bushman – ihren Platz finden.

Bei Bendis weichen Spectors Alter Egos Spider-Man, Captain America und Wolverine. (Zeichnungen: Alex Maleev © Marvel Comics)

Und was macht Bendis? Der hätte Gelegenheit gehabt, das von Huston sorgsam für die Gegenwart adaptierte Szenario weiterzuentwickeln – und ignoriert es stattdessen völlig. In Bendis‘ Version ist Marc Spector ein TV-Produzent in Los Angeles, der seine eigene Geschichte in einer Fernsehserie verarbeitet, die niemand sehen will. Das soll wohl die Obskurität der Figur unterstreichen, die nicht so recht weiß, wo sie hingehört. (Was Bendis damals natürlich nicht wissen konnte, ist, dass es rund 10 Jahre später tatsächlich eine Miniserie über Moon Knight geben wird, aber das nur am Rande.) Das Problem ist, dass Bendis Moon Knight wieder zu jener Nischenfigur macht, die er nach Hustons Run nicht mehr sein müsste. Anstatt sich bei den neu etablierten Nebenfiguren und der reichhaltigen Backstory zu bedienen, verkommen diese zu müden Zitaten in Spectors TV-Show. Dafür konzentriert sich Bendis auf Moon Knights kurze Zwischenspiele als Mitglied der West Coast Avengers (#21-41, 1987-1988) und der Secret Avengers (2010). Statt seinen Alter Egos Steve Grant und Jake Lockley erscheinen ihm Captain America, Spider-Man und Wolverine, die nur in seinem Kopf existieren und mit denen er sich unterhält. Warum man Spectors dissoziative Identitätsstörung auf diese Weise neu interpretieren muss, bleibt fraglich. Mit Grant und Lockley stehen bereits Persönlichkeiten zur Verfügung, um die inneren Konflikte Spectors perfekt zur Geltung zu bringen. Der Verdacht liegt aber nahe, dass sich Bendis nicht wirklich mit Moon Knights Vergangenheit auseinandersetzen, sondern lieber auf den Wiedererkennungswert der bekannten Avengers setzen wollte. Wer Moon Knight also mit Captain Americas Schild, Spider-Mans Webshootern und Wolverines Klauen bewaffnet, für Recht und Ordnung sorgen sehen will, der ist bei Bendis‘ Take an der richtigen Adresse. Moon-Knight-Fans wird das aber eher vor den Kopf stoßen. Auch das restliche Figurenensemble dürfte für Stirnrunzeln sorgen. Weder Marlene noch Frenchie geben sich hier die Ehre, stattdessen darf Spector eine Romanze mit der tauben Superheldin Echo beginnen. Anstatt Frenchie steht ihm der von Bendis eigens für diese Serie kreierte Ex-Shield-Agent Buck Lime zur Seite. Der Gott Khonshu fehlt komplett.

Bendis‘ „decompressed storytelling“ wirkt an vielen Stellen redundant. Wie etwa hier beim Monolog von Snapdragon, einer Gegenspielerin Moon Knights. (Zeichnungen: Maleev, © Marvel Comics)

Was ist aber von der Geschichte selbst zu halten? Bendis‘ Erzählstil wird meist mit dem Schlagwort „decompressed storytelling“ zusammengefasst. Das bedeutet, dass die Handlung nicht mit jedem Panel vorangetrieben wird, sondern durch minimale visuelle Iterationen einen Fokus auf Dialoge oder wichtige Charaktermomente legt. Der Plot hält durch dieses Verfahren immer wieder inne, erzeugt Atmosphäre und ermöglicht eine differenziertere Figurenzeichnung. Gerade bei Soloserien hat Bendis bisher bewiesen, wie großartig Dekompression in Comics funktionieren kann: Denken wir nur an seinen phänomenalen Daredevil-Run und wie sehr die langgedehnten Dialogszenen in Bars, Verhörräumen und auf den Dächern New Yorks zur Stimmung des Buches beigetragen haben. Wenn sich Bendis in Moon Knight also erneut mit Alex Maleev zusammentut – demselben Zeichner, der schon bei Daredevil an Bord war – dann sind die Erwartungen dementsprechend groß. Die Dekompression wird dann auch eingesetzt, allerdings wirkt sie an vielen Stellen selbstzweckhaft. Wenn es keine Geschichte hinter den Figuren gibt, nützen auch scheinbar tiefschürfende Gespräche nichts, im Gegenteil machen sie eher einen redundanten Eindruck. Damit die Geschichte rund um Spector, der einem neuen Kingpin des Verbrechens in L. A. auf der Spur ist, nicht völlig in sich zusammensackt, gibt es (zumindest für Bendis‘ Verhältnisse) erstaunlich viel „Action“, aber auch die lenkt nicht wirklich von der mangelnden Substanz der Story ab. Der MacGuffin, dem alle hinterherjagen, stellt sich dann ausgerechnet als Kopf der Künstlichen Intelligenz Ultron heraus und dient einzig dazu, Bendis‘ nächstes Marvel Event Age of Ultron (2013) vorzubereiten. Als Leser kann man nicht umhin, sich da ein bisschen verarscht vorzukommen.

Immerhin findet Zeichner Alex Maleev für die sexuelle Spannung zwischen Echo und Moon Knight stimmige Bilder. © Marvel Comics

Einziger Lichtblick: Maleevs Artwork erzeugt durch seine groben Striche genug Dynamik, damit man bis zum Schluss dabeibleibt. Besonders die Szenen zwischen Spector und Echo erzeugen eine tolle erotische Spannung, diese wären nur in einem anderen Buch wohl besser aufgehoben. Nicht zuletzt aufgrund der Zeichnungen ist Bendis‘ Moon Knight durchaus einen Blick wert, für Fans der Figur stellt dieser Run aber einen Rückschlag dar, von dem sie sich wohl erst durch Jeff Lemires Neuinterpretation Jahre später wieder erholt.

Wird den Erwartungen nicht gerecht.

4von10Moon Knight Collection von Brian Michael Bendis
Panini, 2024
Text: Brian Michael Bendis,  Zeichnungen: Alex Maleev
Übersetzung: Bernd Kronsbein
300 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 45,00 Euro
ISBN: 978-3-7416-3628-8
Leseprobe

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.