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Moby Dick

Moby Dick. Ist es nicht erstaunlich, wie das Drama um Kapitän Ahab und den weißen Wal immer wieder Künstler inspiriert, sich auch mal daran abzuarbeiten? Und nicht nur, dass immer wieder Adaptionen auf den Markt drängen, auch jenseits der direkten Übertragung finden sich vielfach Bezugnahmen auf den Stoff, in so unterschiedlichen Werken wie Jeff Smith’s Bone oder Mike Carey’s Mystery-Serie The Unwritten. Und im Lustigen Taschenbuch wurde der Stoff sogar schon erfolgreich disneyfiziert. Nachdem wir erst letztes Jahr die Adaption von Jouvray und Alary beim Splitter-Verlag hatten, erscheint nun schon der nächste große Entwurf einer Umsetzung – und es sieht ganz so aus, als erhebe Chabouté den Anspruch, die definitive Adaption präsentieren zu wollen.

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Alle Abbildungen: © Egmont Graphic Novel

Während Jouvray und Alary sehr stark mit Stilisierung und eigenwilliger Farbästhetik gearbeitet haben, präsentiert uns Chabouté einen realistischer gehaltenen Gegenentwurf in strengem Schwarzweiß. Man merkt, dass Chabouté immer wieder auch Romane illustriert: Nahezu sämtliche Panels würden – auch losgelöst aus der Comicerzählung – jede Buchausgabe des Romans schmücken. In der vorliegenden grafischen Adaption zeigt Chabouté darüber hinaus aber auch, dass er ein gutes Gespür fürs Medium Comic hat. Sein Moby Dick ist ebenso opulent gezeichnet wie spannend erzählt.

Hermann Melvilles Moby Dick ist ein Roman, der sich inhaltlich in drei Teile zerlegen lässt. Der erste Teil, in dem sich der junge Abenteurer Ismael auf kuriose Weise mit dem Kannibalen Quiqueg anfreundet und mit diesem einen Walfänger sucht, ist unterhaltsam und beinahe komödiantisch. Der zweite Teil ist im krassen Gegensatz dazu nahezu losgelöst von erzählerischen Konventionen. Manchmal enzyklopädisch, manchmal abschweifend, dann wieder in Form eines Singspiels umkreist dieser Mittelteil so lange das Thema Walfang und Seefahrt, bis es sich erschöpft hat, so dass die Erzählung endlich zum dritten Teil übergehen kann: Den Thriller, der von Kapitän Ahabs grenzenlosem Hass auf den aggressiven weißen Wal handelt und seiner gebeutelten Mannschaft, die zwischen Pflichtbewusstsein und Vernunft hin- und hergerissen ist und schließlich mit dem Kapitän in den Untergang geht. Klar, dass sich auch Chabouté auf den dritten Teil konzentriert und diesen atmosphärisch mit harten Kontrasten vor uns ausbreitet.

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„Das Schiff verwandelt sich in ein Schlachthaus, jeder Seemann in einen Schlächter.“

Bevor das Drama seinen Lauf nimmt, zeigt uns Chabouté über mehrere Kapitel hinweg blutige Szenen des Walfangs und der Herstellung des begehrten Walöls. Das ist beeindruckend, zumal völlig ohne Worte und nah am literarischen Vorbild, wie überhaupt die Schiffsdarstellungen und die Detailliertheit der Bilder überzeugt. Dennoch fehlt mir ein stimmiger Kommentar zu dem, was in dem Gezeigten zu sehen ist. Nirgends wird das umstrittene Handwerk des Walfangs reflektiert oder gar in Frage gestellt – und das, obwohl Hermann Melville selbst bereits eine durchaus kritische Haltung in seinem Roman zeigte. Natürlich, nicht zu kommentieren und zu werten ist zeitgemäß, und jede Wertung vonseiten des Autors kann als Bevormundung des kritischen Lesers gesehen werden. Dass aber die kritische Reflexion eines klassischen Stoffs im Comic durchaus funktionieren kann, konnte man erst unlängst in Will Eisners Ich bin Fagin sehen.

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„Der toll gewordene Teufel höchstpersönlich ist dir auf den Fersen!“

Chabouté verlässt sich völlig auf die Ästhetik seiner Zeichnungen und zeigt das blutige Geschehen mit heiligem Ernst. Gerade diese Ernsthaftigkeit aber lässt die Adaption eindimensional wirken. Sicher, seine langen, wortlosen Sequenzen, vor allem gegen Schluss, als der Wal das Schiff rammt und versenkt, sind grandios und die vielen offenen Panels, die die Takelage des Schiffs aus unterschiedlichsten Winkeln zeigen, sind wunderschön. Aber am Ende ist die Adaption eben doch nur die ausufernde Illustration eines Meisterwerks. Alles in allem ist das kein Fehler, denn das eigenständige Ergebnis überzeugt trotz alledem. Auch Chaboutés Moby Dick wird seinen Platz finden im bereits existierenden Kanon gelungener Adaptionen des Werks. Es wird nicht die letzte gewesen sein.

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Chaboutés Versuch, das literarische Monster Moby Dick zu bändigen, überzeugt. Er zeigt aber auch die Grenzen eines Ansatzes, der sich völlig auf Bilder verlässt.

Moby Dick
Egmont Graphic Novel, 2015
Text und Zeichnungen: Chabouté
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
256 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 29,99 Euro
ISBN: 978-3770455232
Leseprobe

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