Jidis kleine poetischen Geschichten in Mein Weg, eine Serie, die inzwischen zu ihrem Hauptwerk angewachsen ist, kreisen stets um das gleiche Thema. Dieses richtig zu benennen oder vollständig zu erfassen, ist jedoch nicht so ganz einfach.
Also kreist Jidi dieses Etwas ein. Man könnte es mit dem Wort „Liebe“ eingrenzen, denn um Liebe geht es in nahezu jeder dieser kleinen Geschichten. Aber es geht eben auch um die Abwesenheit von Liebe. Es geht ums Loslassen, Suchen, Amkommen, Verzichten, Gewinnen, Sterben, Finden, Verlieren – kurz, ums „Menschsein“, aber auch das ist ein Begriff, der gleichzeitig zu viel und zu wenig aussagt und deswegen konstant mit Bedeutung aufgeladen werden muss. Also arbeitet Jidi seit ihren ersten Erzählschritten in dieser ausufernden Serie daran, die Essenz all dessen einzugfangen, was sich hinter Worthülsen wie eben Liebe, Leben, Sehnsucht oder ähnlichem subsummiert.
Dem stand ich bei der Lektüre des ersten Bandes durchaus zwiespältig gegenüber. Zu allgemeingültig und beliebig schien mir die Poesie, während die Bilder sich oft in poetisch verträumten Stadtansichten verlieren, die als Postkarten sicher hübsch aussehen, erzählerisch aber zunächst kaum einen Mehrwert bieten. Eher noch als die Darstellung sind es in diesen ersten Kapiteln dann auch die Farben, die jedem Kapitel eine ganz eigene Stimmung verleihen.
Im ersten Kapitel, ganz in Pastellblau, geht es um eine junge Frau, die einen stacheligen Kaktus mit Blüte trägt, von dem sie erzählt, dass dessen stachelige Schönheit ihrem Innenleben am nächsten kommt. Die nächste Story, in Nachtblau, erzählt von unerfüllter Liebe aufgrund eines Missverständnisses: Ein Mädchen will mit ihrem Jungen zusammen den Sternenhimmel sehen, der Junge jedoch verlässt sie, weil er in der Stadt, in der sie beide leben, die Sterne nicht für sie scheinen lassen kann. Dabei wären ihr die Sterne doch so gleichgültig gewesen, hätte sie nur bei ihm sein können.
Dann folgt eine Geschichte in lichtdurchflutetem Sonnengelb: Sie erzählt von Kindern, die einen Leuchtturm suchen, von dem keiner weiß, ob es ihn wirklich gibt, bis das einsame Männchen mit dem Herz auf der Brust, das uns durch all diese Episoden führt, tief in den Herzen der Kinder tatsächlich diesen Leuchtturm entdeckt und ihnen so den Segen für ihre weitere Suche geben kann. Man kann eben nur mit dem Herzen richtig sehen.
Schöne kleine Geschichten, irgendwo zwischen der gut abgehangenen Poesie eines Antoine de Saint Exupéry und deutschem Schlager, manchmal berührend, manchmal kitschig, manchmal fast reaktionär, wenn zu sehr die Bereitschaft glorifiziert wird, sich für seine Liebe aufzuopfern. Aber auch diese Liebe hat Jidi, deren Mutter gestorben ist, als sie noch jung war, kennengelernt, und man erkennt bald, dass sie in Mein Weg zu einem nicht geringen Anteil das eigene Erleben verarbeitet. Jidi erkundet, was im Leben wirklich zählt, und zwar nicht Effizienz und Funktionalität, so dass das mitunter Repetitive ihrer Geschichten fast folgerichtig scheint. Sie umkreisen immer wieder aufs Neue das eigene Gefühlsleben und kommen doch an immer neuen Orten an.
Im Nachwort erzählt uns die Autorin, dass die frühen Geschichten bewusst nicht überarbeitet und ihrer späteren Professionalität angeglichen wurden, sondern tatsächlich in ihrer ursprünglichen Rohheit von 2004 abgedruckt sind. Man sieht deutlich den Entwicklungsschub, wenn man den zweiten Band öffnet, der inhaltlich wie gestalterisch überraschend neue Töne und Varianten anschlägt, ohne dabei das ursprüngliche Konzept zu verraten. Mögen aber die späteren Kapitel auch die besseren, ausgereifteren sein, so haben die ersten erzählerischen Gehversuche, in denen sie noch ihre eigene Stimme sucht, doch ihren eigenen Zauber. Es ist spannend, Jidi bei ihrem erzählerischen Reifungsprozess zuzusehen.
Es bietet sich an, Mein Weg als Komplementärcomic zu Jidis Coming-of-Age-Serie Der freie Vogel fliegt zu sehen, die sie nur als Erzählerin verfasst hat, während die Künstlerin Ageng für die grafische Umsetzung sorgte. Während sie in Der freie Vogel eine sehr plotlastige Geschichte über eine verträumte Schulversagerin namens Lin erzählt, die auf verschlungenen Pfaden ihren Weg findet, bekommen wir nun, weitestgehend ohne Plot, das ungefilterte Innenleben einer ganz ähnlich gestrickten Figur.
Poetische Geschichten in verträumten Postkartenwelten
2021, Chinabooks
Text und Zeichnungen: Jidi
Übersetzung: Elisabeth Wolf
124 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: je 18,90 Euro
ISBN: 978-303887000-5, 978-303887001-2
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