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Das Kabinett der Wunder

Die Entdeckung Südamerikas wird derzeit vor allem von Avant vorangetrieben, aber auch Panini leistet seinen Beitrag: Mit dem Kabinett der Wunder lernen deutsche Leser*innen den brasilianischen Dark-Horse-, DC- und Marvel-Zeichner Gustavo Duarte besser kennen.

Alle Abbildungen: © Panini

Ein Kuriositätenkabinett zeichnet sich durch seine Vielfalt, manchmal auch seine Unordnung aus. Das trifft auf die wortkargen Kurzgeschichten von Duarte durchaus zu.

In einer „Little Nemo in Slumberland“-Episode zeichnet Duarte eine doppelseitige Hommage an die frühe Zeitungsserie von Winsor McCay, natürlich mit dem obligatorischen Abschlusspanel, in dem Nemo wieder aus seinem Traum erwacht.

In dem einseitigen „Reißzähne“ beobachten wir einen altmodisch dreinschauenden Vampir mit Verführerblick nebst vermeintlich leichter Beute in Form einer ebenso schulterfreien wie kicherfreudigen Schönheit. Der kurze Flirt endet mit einer Pointe: Die Schönheit entpuppt sich als Nixe. Und erst wenn man den Kontext der Erstveröffentlichung berücksichtigt, erschließt sich die Pointe voll und ganz: Denn die Comicseite ist ursprünglich im Daily Lurker erschienen, einer Festivalzeitung im Stil der 1920er Jahre, die anlässlich des H.P. Lovecraft Film Festivals sowohl im Printformat als auch als digitale Prämie für das Kickstarter-Event erschien.

Die Nixe ist eben keine Hans-Christian-Andersen-Meerjungfrau, sondern ein schreckliches Lovecraft-Wasserwesen (namenloses Grauen, ihr wisst schon …). Dass sie äußerlich aber ganz unschuldig, tentakelarm und lovecraft-atypisch daherkommt, täuscht den Vampir, ein junges Vincent-Price-Lookalike (der allerdings niemals Dracula verkörperte), und bestraft ihn für seinen dümmlichen Flirt.

Das Thema scheint es Duarte angetan zu haben. Auch in der Eröffnungsgeschichte, „Die Meerjungfrau“, geht es um die gefährlichen Wasserwesen, denen schon Odysseus nicht recht traute. Auch der Held in Duartes Geschichte schützt sich vor dem Gesang der Sirenen, und so ziehen die flossenschwänzigen und langzähnigen Frauen wieder davon. Eine Nixe aber verfängt sich in seiner Angelschnur, und Campari sei Dank verstehen die beiden sich blendend. Viel Werbung etwa von Mignolas Hellboy (die Story wurde bei Dark Horse erstveröffentlicht), Gemüse oder Taschenmesser durchzieht die Bilder – aber auch nur dort.

Das Kabinett der Wunder umfasst zehn überwiegend stumme Comics, die zwischen 2011 und 2020 verstreut, in Anthologien wie Zeitschriften, publiziert wurden. Diese Vielfalt – ein echtes Kuriositätenkabinett – spiegelt sich in den unterhaltsamen und herrlich gezeichneten Stories wieder. Duartes sehr cartoonige Zeichnungen (etwa sein „Bauruzilla“ – ein zum Monster mutierter Burger, dessen Beine aus Käsefäden bestehen) sind herrlich grotesk.

Der studierte Grafiker aus Brasilien begann erst vor wenigen Jahren, auch international Fuß zu fassen. 2014 wurden drei seit 2009 in Brasilien veröffentliche stumme Comics in der Sammlung Monsters bei Dark Horse veröffentlicht, die es 2017 auch nach Deutschland schaffte (Panini 2017). Im gleichen Jahr zeichnete er sowohl für Marvel als auch für DC.Die Bedeutung der brasilianischen Comic-Szene haben in den letzten Jahren schon Augusto Paim im Tagesspiegel und Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hervorgehoben – letzterer unter besonderer Würdigung der Übersetzerin Lea Hübner. Die Zahl international erfolgreicher Titel, darunter Tungstenio von Marcello Quintanhila (Avant 2017) und die Titel von Gabriel Ba und Fabio Moon (Daytripper, Panini 2013) ist ein Indiz für die Qualität und Vielfalt dieser Szene.

Auf seinem Facebook-Account zeigt Duarte einen Robin, der seinem Batman-Kater erklärt, er solle zuhause bleiben und seine Fantasie nutzen: „Stay at home! Use your imagination!“ So politisch wird er in seinem Kabinett der Wunder nicht, auch bieten die Geschichten darin nicht allzu viel Tiefe. Aber was soll’s: Die Oberfläche so schön zu gestalten, ist auch eine Kunst. Und die ist in einem Kuriositätenkabinett gut aufgehoben.

Kurioses, Skurriles und Surreales

7von10Das Kabinett der Wunder
Panini Verlag, 2020
Text und Zeichnungen: Gustavo Duarte
100 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 17,00 Euro
ISBN: 978-3741617713
Leseprobe

 

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