Die beginnenden Nuller Jahre waren eine spannende Ära für Comic-Enthusiasten in Deutschland. Nach einem deprimierenden Jahrzehnt, in dem Comics sich immer mehr in die spezialisierten Comicläden zurückzogen, kam mit voller Kraft die zweite Manga-Offensive, die selbst Skeptiker nicht lange unbeeindruckt lassen konnte. Allerorten gab es Drehständer mit einer schwindelerregenden Vielzahl an Taschenbüchern mit einer thematischen Vielfalt und einer Bandbreite an Stilen, von der man noch kurz zuvor nicht zu träumen wagte. Auch Hiroki Endos Eden – It’s an Endless World erschien damals zum ersten Mal und gewann mich nachhaltig für die neue Form. Dass eine so komplexe, packende, brutale Serie einfach so am Kiosk überhaupt existieren konnte, war an sich schon ein kleines Wunder. Bei Egmont Manga hatte man damals wirklich ein gutes Händchen für interessante Stoffe.

Eliah in den Wastelands. Alle Abbildungen © Egmont Manga
Die nun erschienene Master-Ausgabe lässt visuell keine Wünsche offen. Vom Format her nahezu doppelt so groß wie die ursprüngliche Ausgabe sind Bilder und Texte übersichtlicher als in der alten Ausgabe von 2000, die ihrerseits einige Vorzüge hatte, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde. Aber zunächst zum Inhalt, einem Endzeitszenario in einer nahen Zukunft.
Das erste Kapitel hebt sich formal vom üblichen Erzählduktus ab: keine Unterteilung in flott lesbare Chapter, stattdessen sind die ersten 116 Seiten ein in sich abgeschlossenes Kapitel, ein Prolog, oder auch fast schon eine in sich abgeschlossene SF-Erzählung, die auch für sich allein stehen könnte. Die Annahme liegt nahe, dass Hiroki Endo Eden zunächst im Stil seiner surrealen SF-Short-Storys konzipiert hat, von denen ebenfalls einige in den 90ern bei Egmont ihren Weg nach Deutschland fanden. Der Prolog erzählt, wie eine Seuche einen Großteil der Erdbevölkerung dahinrafft; doch in einer entlegenen Forschungsstation leben zwei Kinder mit einem Professor, der an einem Impfstoff forscht. Der Professor ist ein Freund der Eltern der Kinder. Gleichzeitig gehören die Kinder zu den seltenen Menschen, die gegen das Virus immun sind.
Nach und nach erfahren wir Hintergründe über die Figurenkonstellationen, gleichzeitig splittet sich die Handlung in zwei Zeitebenen: In der einen wütet das Virus und die Menschheit sucht verzweifelt nach einem Ausweg, in der anderen hat die Menschheit bereits verloren und auch der Professor ist trotz aller Forschung von der Krankheit gezeichnet. Er glaubte in Wahrheit gar nicht an ein Fortbestehen der Menschheit und brachte sogar einen fehlerhaften Impfstoff in Umlauf, um dein Untergang voranzutreiben. Dennoch bleiben die Kinder immun und überleben auch den Weltuntergangswahn ihres Vormunds. Am Ende tanzen sie zu „People get ready“ von den Impressions, der Professor kann nur noch still zusehen, die Krankheit hat ihn schon soweit paralysiert, dass er außer Starren nichts mehr machen kann.

Ein knisternder Plattenspieler, Curtis Mayfield singt „People get ready“. Der Professor stirbt, die Kinder blicken einer ungewissen Zukunft entgegen.
Aber das war erst der Prolog. Das Folgekapitel setzt 20 Jahre später ein. Der Untergang fast aller ermöglichte den Aufstieg eines paramilitärischen Systems auf Expansionskurs. Statt friedlicher Gesundschrumpfung dominiert auch in der neuen Weltordnung Gewalt und Härte, K.I.-unterstützt, hochpräzise und lebensfeindlich. Ein junger Mann namens Eliah streift mit einem Motorrad durch die Wastelands und bald finden wir raus, dass es sich bei ihm um den Sohn der Kinder aus dem Prolog handelt. Nach und nach erfahren wir, dass sein Vater der mächtigste Drogenboss Südamerikas ist, seine Mutter aber offensichtlich mit der Polizei zusammenarbeitet und mit Eliah und dessen Schwester eine riskante Reise unternahm, bevor Eliah von seiner Gruppe getrennt wurde. Es gibt also noch Justiz und Strukturen, aber fragil. Als Killerroboter die Reisegruppe angreifen, flüchtet Eliah und wird so erst zu dem einsamen Motorradfahrer, den wir anfangs kennenlernen und der bald in die Fänge einer Söldnergruppe gerät, die auf gefahrvoller Reise durch feindliches Gebiet ist und sich erhofft, einen Vorteil daraus zu schlagen, dass sie jetzt in Begleitung des Kinds vom Drogenboss sind. Eine komplizierte Handlung, die aber sehr treibend ohne Atempause vorwärtsdrängt.
Hiroki Endo ist ein Meister darin, düstere Science Fiction mit tief empfundener Melancholie zu koppeln. Die Erstausgabe dieser Mangareihe – 2000 bei EMA im Kleinformat – bot dahingehend einen echten Mehrwert, dass in jedem Buch eine Seite für Endos persönliche „Gedanken eines Mangaka“ reserviert blieb. Das machte den – damals sehr jungen – Autor auf sympathische Weise nahbar. Er erzählte von ganz grundliegenden Gedanken, Gefühlen, Wünschen und Prägungen, die er in seine Erzählung mit einfließen hat lassen, wodurch eine interessante Spannung zur derben Science Fiction entstand, die in Band 1 düster losgeht und in den Folgebänden deutlich an Action und Härte zulegt und gleichzeitig immer facettenreicher wird. Leider fehlen die „Gedanken eines Mangaka“ in der Neuausgabe. Das üppige Großformat tröstet uns darüber hinweg.
Weniger tröstlich finde ich die neue Textversion. Zwar ist die gleiche Übersetzerin genannt, die damals ’98 die Urversion recht stimmig ins Deutsche übertrug, aber die Übersetzung wurde überarbeitet, nicht immer zu ihrem Vorteil. Über einen kleinen, wenn auch hässlichen Lektoratsfehler auf Seite 45 kann ich noch höflich hinwegsehen – solange die Texte gut fließen, verzeihe ich so einiges. Wenn jedoch ganze Wörter fehlen wie auf Seite 94, dann wird der Band zum Ärgernis: „Als mich die befreite, war ich von Folter und dem Virus gezeichnet“, steht da beispielsweise. 2000 hieß es an der gleichen Stelle: „Als mich die Organisation herausholte, war ich von Folterungen und der Infektion fast tot.“ Einerseits wurde der damalige Text offensichtlich gerafft, um die Dialoge geschmeidiger zu machen, sauber gearbeitet hat man indessen leider nicht. Hier fehlt ein Buchstabe, da sind zwei Wörter zusammengerückt – ganz offensichtlich hatte der Lektor seine liebe Mühe, den Wechsel der Leserichtungen – innerhalb der Sprechblasen von links nach rechts, den Übersprung der Panels aber von rechts nach links – auf die Reihe zu kriegen. So schnoddrig gearbeitet ist das schon fast Verrat am Kunden. Ist das Buch deshalb so preisgünstig?

Mit den Steckern im Gesicht sieht die empathische Sophia fast krank aus.
Dessen ungeachtet packt uns Endo mit der emotionalen Intensität seiner Story. Es gibt nahezu keinen Abgrund des Menschlichen, ebenso keine ethische Fragestellung, die er nicht scheinbar mühelos in seiner vielschichtigen Story unterbringt. Daneben setzt er bisweilen poetische Impressionen aus besseren Tagen, die wiederum kontrastiert er mit Cyborgs, die sich mit ihren Waffensystemen koppeln, indem sie sich Stecker ins Gesicht einfügen, was überraschend unangenehm aussieht – vor allem wenn der Cyborg ein junges Mädchen namens Sophia ist, das sich das Bewusstsein einer 40-jährigen Mutter – ihrem früheren Selbst – einpflanzen hat lassen. Ihren Mitmenschen erzählt sie gerne, dass sie sich belastende Informationen von der Festplatte löscht, tatsächlich aber behält sie alles – denn sie braucht den Zugang zu intensiven Gefühlen. Das hat schon fast was von Lanthimos. Mit derart intensiven Inhalten ist Eden über die ersten 420 Seiten eine Lesefreude, der nicht mal Egmonts nichtvorhandenes Lektorat etwas anhaben kann.
Intensiv, klug, grausam, zärtlich, emotional – und viel, viel Action.

Egmont Manga, 2025
Text und Zeichnungen: Hiroki Endo
Übersetzung: Ute Maaz, Marco Walz
420 Seiten, schwarz-weiß, vier Farbseiten, Softcover
Preis: 24,00 Euro
ISBN: 978-3-7555-0503-7
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