Es ist die Ausgangssituation einer klassischen Space Opera in der Tradition von Flash Gordon oder Buck Rogers: Die Welt steht vor einer Katastrophe, weshalb zwei Auserwählte, ein Mann und eine Frau, mit einer Raumkapsel ins All geschossen werden – in eine bessere Zukunft, um der bedrohten Generation des ausgehenden 20. Jahrhunderts den Fortbestand zu sichern. 1000 Jahre später wird eine der beiden Kapseln geborgen und der Raumfahrer Christopher aus dem Kälteschlaf befreit, die andere Kapsel, die Insassin hat den Namen Valerie, bleibt hingegen verschollen. Damit kann die Suche – die klassische Quest – beginnen, eine Erzählformel, die schon in unzähligen Variationen erzählt wurde und auch in dieser Version ganz wunderbar funktioniert.
Paul Gillon und Jean Claude Forest haben mit Die Schiffbrüchigen der Zeit in den 1970er Jahren eine der besten euopäischen SF-Serien gestaltet. Vordergründig orientiert sich die Serie – wie sich an der Grundprämisse unschwer erkennen lässt – an den populären Trivialmythen klassischer Romane, Serials und Comics, die den Leser nicht zur Ruhe kommen lassen und von einem Cliffhanger zum nächsten hetzen. Man merkt allerdings schnell, dass Forest und Gillon auf diesem Niveau nicht stehen bleiben wollen, dafür inszenieren sie Verfolgungsjagden und Raumschlachten von Anfang an etwas zu beiläufig. Die vordergründigen Elemente der Trivialmythen, die in den Klassikern noch für Spannung sorgten, bilden in Die Schiffbrüchigen der Zeit nur das Hintergrundrauschen und bereiten die Bühne für Erzählungen, die Forest und Gillon wirklich am Herzen liegen.
Herzstück der ersten beiden Bände, und sicherlich auch in den Fortsetzungen, ist die Dreiecksgeschichte zwischen dem aus dem Weltall geborgenen Christopher und zwei Frauen. Da wäre zum einen Mara, eine Zeitgenossin des 30. Jahrhunderts, der Chris seine Bergung verdankt und die ihm von Anfang an in der neuen Welt mit Rat und Tat zur Seite steht. Andererseits gibt es aber natürlich Valerie, die Frau aus der zweiten Kapsel, die Anlass für Chris‘ erste Abenteuer in der Zukunft ist. Sie bringt, nachdem sie aufgeweckt wurde, einiges an Dynamik in die Beziehungskiste. Chris fühlt sich aus gutem Grund beiden Frauen verpflichtet, diese hätten ihn hingegen jeweils gerne für sich und nutzen jede Gelegenheit, Chris‘ Interesse und Fürsorge für die andere zu hintertreiben und zu torpedieren.
Dennoch ist Die Schiffbrüchigen der Zeit weitaus mehr als eine Soap Opera. Mit kalter Perfektion setzt Gillon faszinierende Welten in Szene, in denen man nicht leben möchte, sich als Leser aber doch gerne verliert. Sehr originell beispielsweise ist der „Fluss des Todes“, eine Welt nur aus Wasser, die sich ringförmig um einen Mond zieht. Es ist ein kultisch genutzter Ort, auf dem außerirdische Rassen ihre Toten auf schwimmenden Särgen bestatten, auf dem sich aber auch Kannibalen, Banditen und korrupte Polizisten in schwimmenden Holzstädten tummeln. Forest und Gillon erzählen vor solchen Hintergründen mit den erzählerischen Mitteln großer europäischer Spannungsautoren wie Jean Michel Charlier und Jean van Hamme, gleichzeitig wirkt die Serie mit ihren surrealistischen Elementen und einem größeren Fokus auf das Zwischenmenschliche aber deutlich erwachsener und moderner.
Von der etwas hölzern geratenen ersten Hälfte des ersten Bandes sollte man sich allerdings nicht abschrecken lassen. Die Erzählung läuft zunächst etwas unrund, breitet aber von Anfang an schnörkellos das Retro-Szenario aus, in dem sich die Figuren später frei bewegen. Hier dürfte der Umstand eine Rolle spielen, dass die ersten neun Seiten bereits 1964 entstanden, der Rest der Geschichte aber erst rund zehn Jahre später fertiggestellt wurde. Der Qualität und Reife der Erzählung dürfte dieser Riss nur gut getan haben.
Die Serie liegt in einer neu kolorierten Version vor, welche aber nur moderat vom Original abweicht. Erfreulich ist, dass die Serie nun endlich in einer hochwertigen Druckqualität vorliegt. Obwohl die Farbpalette, wie bereits in der Ursprungsverison, sehr dunkel angelegt ist, haben Paul Gillons Bilder eine bisher in Deutschland ungesehene Strahlkraft, die ihnen gut steht.
Tolle Wiederveröffentlichung eines SF-Klassikers. Die Schiffbrüchigen der Zeit ist eine Space Opera, die auch nach 40 Jahren noch modern und originell wirkt.
Splitter Verlag, 2015
Text: Jean Claude Forest
Zeichnungen: Paul Gillon
Übersetzung: Peter Daibenzeiher, Martin Budde
je 56 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: je 14,80 Euro
Band 1: Der schlafende Stern
ISBN: 978-3-95839-100-0
Leseprobe
Band 2: Das Rätsel der Charoner
ISBN: 978-3-95839-101-7
Leseprobe