Nun ist bereits der achte Band der „heißblütigen Comicreihe aus China“ erschienen, und der neunte wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. In der folgenden Rezension aber sollen Band 4 und 5 im Fokus stehen, da hier die Schwelle überschritten wird, welche die Serie zu etwas Großartigem werden lässt.
Autor und Zeichner Xu Xianzhe hält zu diesem Zeitpunkt eine beachtliche Anzahl an Bällen in der Luft, und die Geschichte ist seit dem ersten Band zunehmend komplex, aber auch interessanter geworden. Auf Daoma, den Kopfgeldjäger, wie Itto Ogami aus Lone Wolf and Cub stets mit seinem Kind unterwegs, ist nach den Ereignissen im ersten Band ein Kopfgeld ausgesetzt worden; dennoch erklärt er sich bereit, einen geheimnisvollen Maskierten namens Zhishiliang nach Chang’An, in die nächstgelegene große Stadt zu begleiten.
Obwohl selbst eher schwächlicher Natur, hegt Zhishiliang den Wunsch, in Chang’An die kaiserliche Regierung zu stürzen. Als er deswegen auf seine körperliche Schwäche angesprochen wird, entgegnet Zhishiliang, er sein nur derjenige, der die Lunte zünden wolle: „Ein Zünder benötigt nicht die Fähigkeiten eines Kriegers.“ Ist es ein Zufall, dass Zhishiliang dabei eine Maske trägt, die an die Guy Fawkes-Maske aus V for Vendetta erinnert? Der Autor gibt im dritten Band an, dass bei der Maske Anleihen an den Theatermasken der Sichuan-Oper und volkstümlichen Gesichtsmasken genommen wurden, aber das schließt Anleihen an die globale Anonymous-Ästhetik ja nicht aus: „Zhishiliang ist niemand“, heißt es in Bd. 3 der Reihe und: „Ein jeder kann Zhishiliang sein.“
Die Reise von Daoma, Zhishiliang und einigen anderen Begleitern führ uns bereits am Ende des ersten Bandes in die Wüste, an einen Ort, an dem Zivilisation und Barbarentum gleichzeitig möglich sind. Hier treffen Entwicklungsstufen aller Schattierungen aufeinander: dämonisch-zombieähnliche Tierwesen und marodierende Räuberbanden einerseits, der Bund der fünf barbarischen Handelsfamilien und das chinesische Kaiserreich, das nach Expansion strebt, auf der anderen Seite. Hier setzt auch das komplexe Ränkespiel der chinesisch-kaiserlichen Politik an. Zwischen den Handelsfamilien wird gezielt ein Konflikt geschürt, damit die Familie, die übrig bleibt, vom chinesischen Tiger ins Reich integriert werden kann.
Obwohl vieles bei der Lektüren anfangs noch nicht völlig zu verstehen ist, sind die Intrigen doch geschickt mit dem Hauptplot verwoben. Daoma, der Held, steht unter dem Schutz des Herren Mo, dem Oberhaupt einer der fünf Familien. Dessen Tochter Ayuya ist wiederum seit ihrer Kindheit einem weiteren Clanchef, dem heißblütigen Xuan Yi, versprochen. Dieser jedoch erwies sich gegenüber der Tochter als grausam, woraufhin die Ehe wieder geschieden wurde, was wiederum den Zorn Xuan Yis auf Mo nur vergrößerte. Es kommt zum Äußersten: Während Ayuya gemeinsam mit Daoma und Zhishiliang die Wüste durchquert, verheert Xuan Yi die Siedlung Mos und enthauptet den Herrn, dann stellt Xuan Yi in der Wüste mit seinen Soldaten Daomas Zug und erzwingt die Herausgabe Ayuyas. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, wirft er ihnen dabei den Kopf des Vaters vor die Füße.
Es wirkt in der Zusammenfassung verwirrend und es geht tatsächlich um viel, aber Xu Xianzhe hat seine Geschichte in Griff. Erstaunlich oft greift er auf elliptisches Erzählen zurück, richtet während des Marschs durch die Wüste den Fokus immer wieder auf die persönliche Geschichte einzelner Figuren, schlägt den Bogen in die Vergangenheit und wieder zurück. Traumsequenzen gestatten wechselweise einen subjektiven Blick auf die sonst scheinbar objektiv erzählte Geschichte. Aber auch der Objektivität kann man nicht trauen, denn immer wieder verfremdet Xianzhe die Darstellung: Herrscher und Anführer, deren Macht ins Monströse mündet, werden bisweilen überdimensioniert gezeichnet, mit Händen so groß, dass sie die den Kopf des Untergebenen nach Belieben wie eine reife Pflaume zerquetschen können. So gelingt es Xianzhe immer wieder, die Darstellung künstlerisch um eine innere Wahrheit anzureichern, die über das objetiv Sichtbare hinausgeht.
Manchmal wird das Gefälle zwischen gefühlter und objektiv sichtbarer Realität aber auch selbst zum Thema. Als Ayuya sich in rasender Wut auf ein Pferd schwingt und Xuan Yis Soldaten dezimiert, wird sie solange in strahlender Heldenpose gezeigt, bis sie vom Feind gestellt und gefangen ist. Als der sie dann daran erinnert, dass sie sich mal ansehen sollte, erkennt man auch als Leser erst, was tatsächlich los ist, denn sie ist verdreckt, verletzt, von mehreren Pfeilen getroffen und inzwischen, nachdem das Adrenalin verflogen ist, am Ende ihrer Kräfte. Xu Xianzhe gelingt es meisterhaft, seine Figuren zu führen, ihnen Freilauf zu geben und dann wieder die Fäden konzentriert zusammenzuführen. Manchmal ist die Darstellung dabei akkurat bis ins Pedantische hinein, in den Actionszenen jedoch dominiert ein wilder Schwung mit hoher Abstraktion, in der die Bewegung keinerlei Kontur mehr sichtbar lässt. Das Wechselspiel zwischen dynamischer Linienführung und Ruhemomenten ist atemberaubend.
Es ist erstaunlich, wie explizit politisch Die Klingen der Wächter immer wieder ist. Die Monstrosität der tyrannischen Regierung der Ära wird präzise durchdekliniert, an einer Stelle erzählt Zhishiliang von einem niedergeschlagenen Volksaufstand, der in der Vergangenheit stattfand: Als damals das Volk nach der ungezügelten Grausamkeit der Soldaten völlig aufgewühlt war, verhängte der Kaiserhof eine Nachrichtensperre und versuchte, die Exzesse zu vertuschen und durch gezielte Lügen zu ersetzen. Ich kann der Meinung des japanischen Fernsehsender NHK uneingeschränkt zustimmen, der in der Sendung „Ich verstehe das in der Welt“ über Klingen der Wächter urteilt, es sei ein „Paradebeispiel eines chinesischen Comics (Manhuas) mit einer Relevanz in der Größenordnung eines Sonnensystems.“
Ich halte Klingen der Wächter für die aufregendste Neuentdeckung des Jahrzehnts. Die Veröffentlichung bei Chinabooks überzeugt durch hervorragende Übersetzung und ein attraktives Lettering. Der Verlag hat sich deutlich weiterentwickelt seit seinen frühen zweisprachigen Ausgaben im reinen Maschinensatz. Ein gutes Händchen für reizvolle Stoffe hatte man dort ohnehin schon immer.
Chinabooks, 2021
Text und Zeichnungen: Xu Xianzhe
Übersetzung: Elisabeth Wolf
je Band 272 bis 280 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 14,90 Euro
ISBN: 978-3905816983 (Band 5)
ISBN: 978-3905816976 (Band 4)
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