1963 erschien Hannah Arendts Buch Eichmann in Jerusalem. Die Banalität des Bösens. Geschrieben wurde es von der jüdischen Autorin Hannah Arendt, die vor Beginn des zweiten Weltkrieges in Deutschland geboren wurde und inzwischen in Amerika lebte. Der Band wurde nach dem Prozess gegen den ehemaligen SS-Offizier und Holocaust-Drahtzieher Adolf Eichman verfasst. Arendt machte sich mit diesem Buch nicht nur Freunde, da sie Eichmann vor allem als normalen Menschen bezeichnete und nicht als übermenschliches Monster. Der Cartoonist Ken Krimstein, dessen Cartoons seit 2011 im New Yorker erscheinen, erzählt in seinem Comic die Die drei Leben der Hannah Arendt von dieser und anderen wichtigen Episoden im Leben dieser politischen Theoretikerin. Arendt studierte in Marburg, floh vor Beginn des Zweiten Weltkriegs von Deutschland nach Frankreich, von dort nach Amerika und schrieb von da an Bücher, die sich unter anderem mit der Frage nach der Wahrheit beschäftigten. Ken Krimstein versucht mit Die drei Leben der Hannah Arendt ihr gesamtes Leben abzudecken. Am Ende des Comics wird allerdings angemerkt, dass der Band nicht als Biografie Arendts, sondern vielmehr als Interpretation ihres Lebens zu verstehen ist, basierend auf einem Buch von Elisabeth Young Bruehl, das 1986 erschien.
Die Biografie Arendts im Comic wird von einem fiktiven Avatar der echten Theoretikerin erzählt. Leser*innen erfahren aus ihrer Perspektive von den Geschehnissen in ihrem Leben und welche Gedanken sie sich dazu macht. Diese sind lakonisch und meistens mit viel Ironie gespickt. Krimstein erzählt Arendts Lebensgeschichte chronologisch, aber episodenhaft. Ein richtiges Narrativ gibt es nicht. Die Geschehnisse werden größtenteils durch Text erzählt, obwohl es klassische Panelstrukturen gibt. Die Bilder haben jedoch oft nur einen Schmuckcharakter, selten arbeiten sie und der Text zusammen, wie zum Beispiel in einer Szene, in der Herausgeber Rudolf Hilferding erschossen wird, während Arendt von den Geschehnissen erzählt. Den Comic also als „Graphic Novel“ zu bezeichnen, wäre in diesem Fall durchaus passend. Das Schriftliche, nicht das Visuelle gibt hier den Ton an. Krimsteins Stil ist sehr skizzenhaft, sieht man von einigen Bildern ab, in der er die reale Arendt abbildet. Das sorgt zwar für etwas grafische Abwechslung, aber es trägt nicht dazu bei, Text und Bild zu einer harmonischen Einheit zusammenzubringen. Vielleicht soll in diesen Bildern noch einmal verdeutlicht werden, dass Hannah Arendt tatsächlich existierte.
Die Figuren reden oft wie in einem Theaterstück von Bertolt Brecht, also gewollt künstlich, sodass man nicht ins Geschehen eintaucht und sich immer bewusst ist, eine Graphic Novel in der Hand zu halten. Während aber bei Brecht dieser Effekt gewünscht war, damit die Zuschauer weiterhin über das Geschehen auf der Bühne nachdenken, werden die Absichten Krimsteins nicht klar, vor allem da man nur einen flüchtigen und kurzen Eindruck von Arendts Leben gewinnt. Krimstein scheint oft kein Interesse zu haben, Arendts tiefe Gedanken wirklich auszuformulieren. Vielleicht aus Sorge, der der Comic würde dann zu umfangreich werden oder die philosophischen Gedankengänge Arendts würden auf Kosten ihrer Biografie gehen. Mitunter hätte das aber auch dabei geholfen, ihre Persönlichkeit stärker darzustellen. So bleibt die Person Arendts vage und wenig greifbar. Die drei Leben der Hannah Arendt stellt sich durch sein Format selbst ein Bein. Der Comic möchte ein cleveres Buch über einen cleveren Menschen sein, aber am Ende bleiben nur vage Skizzen und kühle Dialoge, die kein Interesse wecken und kein Lesevergnügen bereiten.
Die Szenen, in denen die Figur Arendt menschlicher wird, drehen sich allesamt um Beziehungen zu den Männern in ihrem Leben. Vor allem ihre Liebesbeziehung zum Philosophen Martin Heidegger nimmt vergleichsweise viel Platz ein. Kein anderer Mensch wird von der Figur Arendt mit so vielen Gedanken bedacht wie dieser Mann, der zu Beginn ihrer gemeinsamen Affäre 35 ist, die Erzählerin gerade mal 17. Später wird er sich den Nazis anschließen und nach dem Ende des Krieges jegliche Schuld von sich weisen. Die Arendt des Comics wird ihre Philosophie als Gegenentwurf zu seiner aufbauen. Eine freudianische Interpretation würde sagen, dass Arendt sich auch deswegen nach Heidegger verzehrt, da ihr durch den Tod des Vaters durch die Syphilis eine starke Vaterfigur fehlte. Später wird ihr Freund, der Philosoph Walter Benjamin, ihr den Weg weisen und ihr Ehemann Heinrich Blücher ihr noch einmal bestätigen, was sie alles Gutes bewirkt hat. Am Ende sind es also die Männer, die wirklich das Leben einer Frau bestimmten, die als die erste Dozentin an der Universität Princeton in New Jersey lehrte. Angesichts der damaligen Verhältnisse mag das noch normal gewesen sein, aber es macht aus einer Person, die als eigenständig und clever im Comic beschrieben wird, eine vor allem fremdbestimmte.
Neben einem Nachwort von Krimstein, enthält der Band noch ein Verzeichnis der Werke, die zu Recherchezwecken verwendet wurden und ein ausführliches und informatives Personenverzeichnis von Leuten, die im Comic vorkommen oder erwähnt werden. Ich habe mir jetzt vorgenommen, Hanna Arendts Texte zu lesen, um zu sehen, ob die echte Arendt mich mehr überzeugen kann als die fiktionale Version. Immerhin das hat Krimstein mit diesem Comic erreicht.
Kühler und distanzierter Comic, der vor allem daran scheitert, möglichst clever sein zu wollen
dtv, 2019
Text und Zeichnungen: Ken Krimstein
Übersetzung: Hanns Zischler
244 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 16,90 Euro
ISBN: 978-3-423-28208-6
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