Rezensionen
Kommentare 1

Der Vagabund der Unendlichkeit – Integral 1

Mehr Weltraumoper geht nicht: Verglichen mit Der Vagabund der Unendlichkeit ist Star Wars nur ein verkleideter Western.

Axle Munshine: Raumfahrer, Schlichter, Erforscher der Träume. Alle Abbildungen © Kult Comics

Axle Munshine heißt der Held unserer Geschichte. Er ist der große Schlichter und befindet sich auf dem Nachhauseweg wie ein Kämpfer von Troja. Soeben hat er das Planetensystem der Eternauten überzeugt, sich dem großen Bund der Gilde anzuschließen, nun will sich Axle auf einem selbstgewählten Planeten zur Ruhe setzen. Zudem erwartet ihn ein Amt im großen Rat.

Begleitet wird Axle von Musky, dem einzigen Kind des großen Eternauten. Obwohl Musky als  Sohn des Eternauten bezeichnet wird, hat er offensichtlich weibliche Züge. Ebenso uneindeutig wie Muskys Geschlecht ist auch sein Alter. Einerseits lebt Musky bereits seit 300 Jahren, andererseits ist seine Entwicklung angehalten worden, als er 13 Jahre alt war. Nach Art der Eternauten wartet der freche Musky immer noch auf die Begegnung mit einem Erwachsenen, der ihm das Bedürfnis gibt, den derzeitigen Entwicklungsstand hinter sich zu lassen und erwachsen werden zu wollen.

Weitere große Opernrollen sind der Große Mittler, nicht weniger als der oberste Fürst des Systems, der von Magh-Oz, dem intriganten und ehrgeizigen Chef der Purpurgarde nicht immer gut beraten wird. Magh-Oz wiederum ist vom Neid gegenüber Axle zerfressen und wartet nur auf eine Gelegenheit, den Herrscher gegen Axle aufzubringen. Vervollständigt wird das Ensemble mit der einflussreichen Ratsangehörigen Reemihc (wenn das mal kein Anagramm ist), die Axle liebt und vor den Intrigen des Widersachers zu schützen versucht.

Neben der Bühne der Politik gibt es aber noch Axle Munshines eigentliche Leidenschaft und gleichzeitig Achillesferse: Axle hat verbotenerweise die Schwelle des Schlafs überschritten und erforscht das Reich der Träume. Mithilfe eines treu ergebenen Professors koppelt sich Axle an eine Maschine, die seine Träume aufzeichnet, ein Vergehen, für das die Gilde die Todesstrafe verhängt. Axles Träume haben es durchaus in sich: Zunächst träumt er sich in die Rolle eines Soldaten in einem modernen Krieg des 20. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, was in krassem Gegensatz zur schönen bunten Raumschiffwelt des bisherigen Settings steht. Dann aber verlässt das Traumszenario das Schlachtfeld und Axle sieht eine lesende Frau namens Shimere. Von nun an wird es Axles Ziel sein, diese Erscheinung zu erforschen. Das größte Mysterium aber ist, dass es sich bei dem Buch, das Shimere liest, um den vorliegenden Comic über Axle Munshine handelt. Wer träumt hier eigentlich wen?

So sind die Pfade angelegt, in die die Saga nun fortgeschrieben werden wird: einerseits die große Weltraumoper mit Planetensystemen und Intrigen, andererseits die Reise ins Innere, selbstreflexiv, metadiskursiv und intertextuell. Damit ist die große Erzählung so breit aufgestellt, wie man das im vergleichbaren Maßstab vielleicht nur von Jean van Hammes und Grzegor Rossinskis Thorgal kennt, eine Serie, die ja ebenfalls scheinbar mühelos zwischen SF-, Fantasy- und historischen Setttings hin und her springt.

Manchmal verstrickt sich die Geschichte des Vagabunden auch in utopischen bzw. dystopischen Versuchsanordnungen, wie man sie exemplarisch auch in Stanislaw Lems Sterntagebüchern findet. So treffen wir unter anderem auch eine Gesellschaft, die nur Ereignisse anerkennt, die von vornherein vorherbestimmt sind, während alle unverhofften Ereignisse, egal wie offensichtlich sie sich vor den Augen abspielen, schlichtweg nicht akzeptiert werden. Dieses Garn hätte uns Lems Ijon Tichy nicht besser auftischen können, ganz so, wie es Tichy auch ganz sicher gelungen wäre, in ein schwarzes Loch hinein- und wieder zurückzufliegen. So gesehen war Lem vielleicht tatsächlich einer der Impulsgeber für Ribera und Godards hemmungslos überbordende Reise durch die Galaxien. Dennoch finden Godard und Ribera immer zurück zur eigentlichen Geschichte, und im Idealfall verschmelzen Raumfahrergarn und Oper miteinander. Erzählerisch ist es durchaus ein kleiner Geniestreich, wenn in der dritten Episode ein skrupelloser Wissenschaftler den Körper von Axle Munshine kapert, und obwohl er Axle Munshines Bewusstsein nach allen Regeln der Form aus dessen Körper gespült hat, vernimmt der vorübergehende Okkupator doch ein Echo der Sehnsucht nach der geheimnisvollen Shimere. Man meint, ein fernes Leitmotiv zu spüren.

An Motiven gibt es nichts, was es in Axle Munshines Universum nicht gibt, und es finden sich Weltkriegspanzer ebenso wie schaurige Burgen aus einer Gothic Novel, Orgien in mittelalterlichen Settings irgendwo zwischen Pasolini und Manara, sogar niedergemetzelte Stofftiere. Julio Riberas Stil erinnert entfernt an den frühen P. Craig Russell, was wiederum die Nähe zum Opernhaften bestätigt, allerdings fehlen dessen ornamental-verspielte Panelbegrenzungen und Vignetten, was bei Russell stellvertretend für das musikalische Element steht. Was bleibt sind ebenso komplexe wie sinnliche und lebensfrohe Figuren mit großen Gefühlen und Gesten.

Psychedelische Space-Opera

10von10Der Vagabund der Unendlichkeit – Integral 1
Kult Comics, 2023
Text: Christian Godard
Zeichnungen: Julio Ribera
Übersetzung: Klaus Jöken
232 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 39 Euro
ISBN: 978-3964302700
Leseprobe

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.