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Der Nazi an Mamas Frühstückstisch

„Die derzeit einzige Graphic Novel, die den aktuellen deutschen Zeitgeist unmittelbar aufgreift“, so preist der Indie-Verlag Books on Mars Victoria Portens Comicdebut Der Nazi an Mamas Frühstückstisch an. Der Comic reiht sich ein in eine Reihe politisch aktivistischer Comics, die vor dem Erstarken der Rechten in Deutschland warnen.

Der „Nazi“ an Mamas Frühstückstisch, das ist Alexander, der neue Lebenspartner der alleinerziehenden Mutter Christine, die es im Leben nie leicht hatte und sich glücklich schätzt, nicht mehr alleine zu sein. Die sofortige Abneigung, die ihr Sohn Jona gegen das neue Familienmitglied hegt, wischt sie beiseite, ebenso jeglichen kritischen Blick auf dessen politische Aktivität für die fiktive NKU-Partei, die eine stramm rechte Ideologie vertritt und die im Lauf der Geschichte an Einfluss gewinnt und an die Macht kommt.

Der Feind ist im Haus. Alle Abbildungen © Books on Mars.

Der Konfrontationskurs zwischen Jona und Alexander eskaliert schnell: Jona durchschaut Alexanders ausländerfeindliche, menschenfeindliche Ideologie, Alexander wiederum gibt sich oberflächlich charmant, will Jona aber besser heute als morgen aus dem Haus haben. „In seinem Alter war ich längst in der Ausbildung. […] Der Junge ist faul. Arbeiten soll er. Es wird jede Hand gebraucht in diesen Zeiten.“ Da hilft alles Flehen der überforderten Mutter nichts – und als die Situation am Küchentisch vollends unerträglich wird, verlässt Jona aus freien Stücken die elterliche Wohnung und wohnt von nun an bei Freunden. Ein Teil seiner Freunde wandert indes nach Estland aus; offensichtlich dringt der starke Arm der NKU nicht nur bei Jona bereits ins Private ein.

Der Nazi an Mamas Frühstückstisch ist, wie bereits 2021 Vogelschiss, unter dem Gefühl hoher Dringlichkeit entstanden, man sieht das den Zeichnungen an. In einer fast schon antiästhetischen Form sehen sämtliche Figuren zerzaust, übernächtigt und zerknittert aus. Die spärliche, monochrome Farbgebung trennt in erster Linie die Kapitel voneinander ab und gibt der Geschichte Rhythmus, die Farbe Rot ist dabei den Szenen mit besonderer Wut und Eskalation vorbehalten. Bei den anderen Farben scheint mir keine symbolische Bedeutungsebene zugeordnet zu sein.

Leider verpasst der Comic die Chance, die Ambivalenzen des Themas auszuloten. Versprochen wurde die Darstellung des „schleichenden Einfluss politischer Extreme“; tatsächlich ist Alexander bereits am Anfang eine dämonisch-manipulative Figur. Später, in der weit fortgeschrittenen Story, wird Alexander zunehmend noch tyrannischer, überwacht das Telefon der Mutter, schlägt sie, sodass sie schlussendlich ihre Partnerwahl doch noch bereut. Sicher, solche „Nazitypen“ gibt es auch, ich bin nur sicher, dass es deutlich mehr Rechtswähler gibt, die Wert auf eine intakte Familie legen und in ihrem Lebensumfeld charmant und liebenswürdig sind. Das Credo, nicht mit Rechten zu reden, scheint von der Autorin so weit verinnerlicht zu sein, dass sie gedanklich keine Auseinandersetzung mit rechten Motiven zulässt. Das ist schade, denn so ließe sich der Denkfehler in der Ideologie der „Wohlgesinnten“ klarer entlarven.

Immer wachsam.

Die Geschichte findet ihre entscheidende Wendung, als Jona beschließt, sich ans „Haus Unsernusch“ zu wenden, den antifaschistischen Treff vor Ort. Aber warum nur hat Victoria Porten die dort ansässigen Aktivisten als schwarze Silhouetten mit vielen Augen gezeichnet? Ich bin hin- und hergerissen, ob sie mit dieser grafischen Verknappung darstellerische Probleme umschiffen oder die Antifa als stabilen Block darstellen wollte, der einerseits geschlossen und mit einer Stimme spricht, dabei aber stets wachsam auf der Hut zu sein hat. Vermutlich beides.

Letztes Jahr hat Ika Sperling in ihrem Comic-Debut Der große Reset eindringlich vorgemacht, wie sich mit symbolischer Verfremdung ein interessanter Effekt erzielen lässt; ein Mensch, der sich in Verschwörungstheorien verliert, verwandelt sich bei Sperling in ein Blasenwesen, das Flüssigkeit absondert. Die Antifa bei Victoria Porten sieht ein bisschen wie der Dämon Azazel aus den Sandman-Comics aus (eine schwarz wabernde Masse mit unzähligen Mündern). Jona verlässt mit seiner Kontaktaufnahme mit dem schwarzen Block die Schwelle von der vertrauten Welt, in der er ein Opfer ist, in die gewaltbereite Welt des Widerstands. Damit gehört die Begegnung mit den vieläugigen schwarzen Schatten tatsächlich zu den stärksten Bildern des Comics. Am Ende gibt es eine Aktion: Der Mutter werden dabei die Augen über die wahre Natur ihres falschen Freunds geöffnet und die Solidarität unter den Widerständigen bietet einen echten Hoffnungsschimmer.

Nicht totzukriegen, die Parole.

Eine der ersten politischen Maßnahme der fiktiven Rechtspartei des Comics ist es, für eine Verschönerung des Stadtbilds zu sorgen. Victoria Porten hat ihren Comic noch deutlich vor Friedrich Merz‘ Stadtbildaussage geschrieben und darf sich zu Recht in ihrem Gefühl bestätigt fühlen, einen Nerv getroffen zu haben – gleichzeitig äußerte Donald Trump in Amerika den Wunsch, Obdachlose nicht länger in der Hauptstadt zu dulden, weil sie das Stadtbild stören (im Gegensatz zu bewaffneten Soldaten). Hier schließt Victoria Porten die rechte Ideologie der NKU mit einem pervertierten Bedürfnis nach Glanz und Sauberkeit kurz und deutet an, dass die Gentrifizierung der Städte bereits ein Einfallstor für rechte Ideologie sein könnte. Die Förderung der Reichen, die Vernachlässigung der Armen: die Verwandtschaft zwischen Herrenmenschen-Ideologie und Reichtum ist zwar noch verborgen, aber doch schon bemerkbar. Dort, wo nicht mit dem erzählerischen Holzhammer erzählt wird, offenbart sich das größte erzählerische Potenzial des Themas.

Engagiertes Politstück: etwas roh und wenig subtil, aber durchaus einnehmend und mit interessanten Ideen.

5von10Der Nazi an Mamas Frühstückstisch
Books on Mars, 2025
Text und Zeichnungen: Victoria Porten
140 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 18 Euro
ISBN: 978-3982542355
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