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Der Letzte löscht das Licht

Trondheim meets Tarantino: Tobias Aeschbachers grinsige Gangster-Moritat wurde in Erlangen mit dem Max-und-Moritz-Preis für das beste deutschsprachige Debut ausgezeichnet.

Die niedliche Optik soll bitte niemanden täuschen: hier geht es um Leben und Tod, Tod, Tod. Mit etwas Glück ist nach dem Showdown im dunklen Auto vielleicht noch die Katze am Leben, auch wenn die laut ihrem Besitzer (zu diesem Zeitpunkt längst erschossen) mindestens so böse ist wie der Rest der Besetzung.

Wir kennen solche Geschichten: Ein dusseliges Gaunerpärchen in einem heruntergekommenen Mietshaus voller verkrachter Existenzen hat beim Überfall auf einen Imbiss nebenbei eine herumstehende Tasche mitgehen lassen. In der Tasche befand sich eine Urne mit der Asche der Mutter von Profigangster Eric. Eric taucht wütend in dem Mietshaus auf, in dem alle Parteien morbide Geheimnisse haben, und die meisten scharfe Schusswaffen im Schrank. Das Appartement des Paars wird von einem schwerbewaffneten Voyeur totalüberwacht. Zwei verschnarchte Graszüchter sorgen mit ihren Heizlampen für ständige Stromausfälle. Ein Pharmavertreter testet an einer leutseligen Hure für viel Geld ein gemeingefährliches Medikament. Am Ende stehen 14- 15 Leichen, ohne die Katze, und vermutlich ist niemand mehr da, um das Licht zu löschen.

Copyright: Tobias Aeschbacher/Helvetiq

Wir kennen solche Erzählstrategien: Der Imbissüberfall, mit dem das Desaster seinen Lauf nimmt, erinnert natürlich nicht zufällig an die Rahmenhandlung von Pulp Fiction und wir sehen ihn nicht zufällig genau so wenig im Bild wie den Coup in Reservoir Dogs (wenn Anti-Heldin Claire von ihrem Komplizen „Honigzopf“ geheißen wird, ist das natürlich eine launige Alternativübersetzung von  „Honeybunny“, dem endlos wiederholten Kosenamen aus Pulp Fiction). Dass jedes alltägliche Missverständnis und jedes Missgeschick spontan zu maximalen absurden Gewaltausbrüchen führt, kennen wir aus Filmen von Guy Ritchie und Anders Thomas Jensen und einer Menge an Nachfolgewerken. Die ergreifende Episode über den letzten Abend eines alten Paares, das gemeinsam in den Tod geht, funktioniert als Kontrapunkt in der allgemeinen Lieblosigkeit ähnlich gut wie in The Last of us (Spiel und Serie).

Wir kennen solche Stolpersteine: Alltagsnahe absurde Dialoge voller Thrill und Charakterisierungen sind die Königsklasse im Dialog, ineinander verschränkte anachronistische Episoden die Königsklasse der Dramaturgie. Aeschbacher schlägt sich wirklich wacker.  Palavernde Gespräche über bspw. Che oder Mittelaltermärkte sind eine clevere Übertragung der Tarantino-Methode nach Mitteleuropa, nur sind sie leider nicht annähernd so überraschend und pointiert wie die bei Tarantino. Und die multiperspektivische episodische Struktur voller zeitlichen Überlappungen ist für die Katz, wenn daraus keine Aha-Effekte, Gags und überraschende Verschränkungen gewonnen werden und die Geschichte eigentlich genau so gut von A nach B erzählt werden könnte. Quasselnde Killer mit seltsamen sentimentalen Anwandlungen in einer komisch korrupten Welt sind auch nicht besonders frisch. Wenn diese Geschichte nicht gezeichnet wäre, ja, selbst, wenn sie „realistisch“ gezeichnet wäre wie 100 Bullets, würde sie vermutlich als altbekannt an uns vorbeirauschen.

Aber das ist sie nicht, und das ist alles andere als ein Zufall.

Copyright: Tobias Aeschbacher/Helvetiq

Das kennen wir noch nicht: Grundsätzlich orientieren sich die Figuren stark am Stil von Lewis Trondheim, sie sind allerdings keine Tiere und weisen ein paar Stirnfalten mehr und generell etwas expressivere Gesichter auf. Das Dekor mit seinen Erdfarben und seinen wilden Schraffuren erinnert dagegen an die Comics von Sfar. Beiden sind makabre Ideen alles andere als fremd, aber sie werden bei ihnen in der Regel mit verzerrten Figurengesichtern und absurdem Humor präsentiert. In ihrer emotionalen Wertigkeit sind sie eindeutiger und nicht so aufwühlend wie die Bilder von Aeschbacher. Seine gnadenlose Alle-gegen-alle-Welt ist gleichzeitig verstörend und anheimelnd und hat Züge von mittelalterlicher Kunst, in der ausnehmend grausame Geschehnisse von stilisierten lächelnden Menschen erlitten und begangen werden. Anklage, Anteilnahme und Indifferenz gehen bruchlos und eigenartig stimmig ineinander über. Dafür hat er eine Bildsprache gefunden, mit deren Hilfe sich Blutbäder und kaputte Gestalten still, dynamisch und einleuchtend in minimalistischen Karikaturen und schiefen Perspektiven darstellen lassen. Die ironische und ausführliche Lakonie, mit der hier ein Profikiller vor seinem Auftrag raucht, liest und Kuchen isst, ist schon sehr eigen und sehr gekonnt. Die Konzentration auf Details, auf den Schraubverschluss einer Espressokanne, verleiht dieser grausamen Welt etwas sorgfältig Gebasteltes. In der Summe entsteht eine sehr spezielle fatalistische Wehmut, die dann doch das Gegenteil von Zynismus ist.

Von der Gestaltung her gehört das Buch zu den um sich greifenden mustergültig schönen Comics, von der gemaserten Pappe des Covers bis zu den nuancierten gedeckten Farben des Drucks. Im Vergleich zu der von Aeschbacher mitgezündeten Anthologie Kosmos Vertikal, die, je nach jeweiligem Thema, als bspw. riesenhaftes Paperback oder kleines Büchlein erscheint, erscheint das Format beinahe als konventionell, aber ein kleines Gesamtkunstwerk ist der Band dann doch.

Ein wenig mehr Feinschliff bei der Plotmaschinerie und den Formulierungen und noch ein bisschen mehr Betonung der überzeugenden Eigenheiten, und dieser Comic wäre noch viel besser. Aber nach einem Preis für das beste Debut ist ja eine Menge möglich.

Hübsch und brutal: Absurdes Thriller-Puzzle mit einnehmendem Stil.

7von10Der Letzte löscht das Licht
HELVETIQ, 2024
Text und Zeichnungen: Tobias Aeschbacher
122 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-03964-040-9
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