Berichte & Interviews
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Comic-Salon 2024: Das Messe-ABC

Der Comic-Salon 2024 wird unter anderem bestimmt auch als „der nasse“ in Erinnerung bleiben. Doch nicht nur die Wassermassen von oben und eine auf fast schon unheimliche Weise prophetische  Ausstellung zum Thema „Comics über Wasser“ haben das anwesende Comicgate-Team beschäftigt. In unserem Messe-ABC geht es in Form eines launigen Themen-Alphabets um ganz subjektive Beobachtungen, Gedanken und Anekdoten, die wir auf Deutschlands größtem Comicfestival gemacht und gesammelt haben.

Foto: Alexander Christian

A

Appleby, Steven/Nancy
Steven Appleby brachte eine wohl dosierte und erfrischende Portion Absurdität auf den Comic-Salon. In Applebys gezeichnetem Kosmos sind die Dinge selten so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Ausgezeichnet mit dem Max-und-Moritz-Preis 2022 für den besten internationalen Comic (Dragman, Schaltzeit Verlag), widmete ihm der Kunstverein eine Einzelausstellung. „Nothing Is Real“ präsentierte eine Auswahl seiner grafischen Arbeiten und Cartoons aus über 40 Jahren seines Schaffens. Eine Plastik seiner Selbst in Reizwäsche unter einer Glasglocke ließ im Umfeld des Comic-Salons sogleich an die auf der benachbarten Messe gehandelten Actionfiguren denken. Sein subtilerer Cartoon „A man, dressed as a woman, dressed as a man“ könne laut Appleby rückblickend als ein versteckter Hinweis auf seine eigene Identität gelesen werden. Seit vielen Jahren trage er ausschließlich Frauenkleider, benutze aber sowohl den Namen Steven als auch Nancy. Das Personal in der Ausstellung animierte zum spielerischen Wechsel der eigenen Rolle. Einfach den Kopf durch einen von zwei lebensgroßen Aufstellern stecken und ein fotografisches Andenken mitnehmen. Interaktion ausdrücklich gewünscht. Nur vor dem Ausschneiden, Falten und Öffnen der sicherheitshalber durch Glas geschützten Dimensionstür wurde gewarnt: „God only knows what terrifying creature might come through.“ Das Comic-Film-Fest zeigte begleitend ein rund 50-minütiges Programm mit Applebys Kurzfilmen unter dem Motto: „Reality Controller“ (Regie: Linda McCarthy, Pete Bishop). Im Anschluss gab es noch ein aufschlussreiches Interview, das Markus Pfalzgraf mit dem Künstler führte. (AC)

Foto: Alexander Christian

Autobiografische Comics
Der Trend setzt sich ungebrochen fort: Immer weniger ambitionierte Comics geben sich offensiv fiktiv, immer mehr bezeichnen sich als selbst erlebt. Wenn aber tatsächlich nur noch gilt, was einem selber oder in der eigenen Familie passiert ist oder wenigstens von verbürgten Verwandten recherchiert wurde (was manche, guten!, Neuerscheinungen tatsächlich thematisieren), können wir einpacken.
Ich gehe davon aus, dass der Comic-Salon Erlangen 1984 zum ersten Mal stattgefunden hat, obwohl niemand aus meiner Familie dort war (und nicht einmal einer meiner älteren comicverrückten Bekannten). Vorschläge für Alternativen zu dieser bedenklich unauthentischen Herangehensweise bitte an die Redaktion. (FS)

B

Bibliophilie
Warm und porös schmiegen sich Cover in deine Hände, während sich irisierend schimmernde Seiten wie mit einem Flüstern vor dir aufblättern. Deutschsprachige Comics, lange Zeit gerade auch aus anspruchsvollen Verlagen bekannt als Loseblattsammlungen und EsgehtjaumdenInhalt, werden immer schöner gestaltet. Klar, das ist u.a. der Mut der Verzweiflung und die ganz schön gewollte Aufwertung des Offline-Comics zum erlesenen Gegenstand in Zeiten der Digitalisierung. Aber schön ist es trotzdem, dass Comics jetzt so etwas wie günstigere Kunstbücher sind (meist mit besseren Geschichten). Und hässlichere Bücher sind ja auch nicht billiger. (FS)
siehe auch → „Haptik“

Blutch
Der klassische frankobelgische Albencomic kommt heuer im Vergleich etwas zu kurz, aber Blutch präsentiert seinen Lucky Luke in einer feinen kleinen Ausstellung nahe beim Theater. Das aktuelle Enfant Terrible des europäischen Autorencomics hat in seiner hübschen Hommage dem unausrottbaren einsamen Cowboy innerhalb der altbekannten Formel ein bisschen Dreck und Patzigkeit verpasst, was im (überraschend kleinformatigen) Original sogar noch schmissiger und lässiger aussieht (und schön und echt sowieso). (FS)

Foto: Alexander Christian

C

Cosplay
Ein schlacksiger junger Jedi mit Brille zieht die Kapuze ins Gesicht und stellt sich schlafend, damit keine begeisterten kleinen Kinder an ihm herumzappeln und ihn zu gemeinsamen Fotos nötigen. Tun sie trotzdem. Mit Engelsgeduld macht er jedes Mal mit, stöhnt genervt und rollt die Augen und grinst in unbeobachteten Momenten begeistert. Ansonsten: Kopfgeldjäger und Sturmtruppen (und kleine Kinder singen entzückt „Manda-Manda-Manda-Mandalorian“ vor sich hin, als wäre das ein Abzählreim – oder eine wahnsinig erfolgreiche Serie), Elfenohren, hier und da  blaue und orangene Haare oder ein selbstgenähtes Kleid für Selfies oder den Kampf gegen das Böse. Einen Wettbewerb gab es wohl auch. Da geht noch mehr, aber: schön. (FS)

D

Deutscher Manga
Das Comicmuseum Erlangen mag bisher noch ein Konzept sein, aber der rührige Verein dahinter hat auf dem Salon mal wieder eine Kostprobe abgeliefert für das, was uns dort erwarten könnte. Die zweigeteilte Ausstellung, bei der the German Godfather of Manga Publishing Jo Kaps als Co-Kurator die Hände im Spiel hatte, zeigte Anfänge sowie Gegenwart des Deutschen Manga. (Plus ein „Grenzgänger“-Nebenraum, der sich hauptsächlich dem offenbar schwer einzuordnenden Mangawerk von David Füleki widmete.)
In der Galerie, die den ersten Jahren des Deutsch-Manga gewidmet war, gab es dabei viele erinnerungsgetränkte „Ahs“ und „Ohs“ und „Das hab ich damals immer gekauft“ und „Ich war SO ein Fan“ – angesichts früher Werke von Robert Labs, Christina Plaka oder Anike Hage sowie Publikationen wie Banzai und Manga Twister. Vieles Gezeigte hatte auch schon wieder um die 20 Jahre auf dem Buckel und die mittlerweile mittelalten Manga-Leser*innen der frühen 2000er unter der Besucherschaft glichen dabei frappierend anderen nostalgieergriffenen Comicfans auf dem Salon – was schön illustriert, wie sehr sich der Manga in Deutschland über die Jahre etabliert hat.
Auf andere Weise bewiesen das auch die Exponate der zeitgenössischen Deutsch-Mangaka wie Daniel Eichinger, Tamasaburo, Blackii und Dominik Jell, die in Sachen Qualität und stilistischer Vielfalt so manche bisherige Deutsch-Manga-Verweigerer motiviert haben dürften, doch mal über den Tellerrand zu blicken.
Der Katalog zur Ausstellung fand wohl so reißenden Absatz, dass der Bestand bereits am Samstag zur Neige ging. Das Gleiche galt für die gratis ausgelegte Veröffentlichung „25 Jahre Manga-Boom“ von Comicgate-Mitarbeiterin Elsa Venzmer, die es hier noch als PDF gibt. (AV)

Foto: Alexander Christian

Deutschsprachige Comics
Deutschsprachige Comics sind, obwohl oder weil der ganze Comicmarkt unter mindestens einer fundamentalen Umwälzung in Zeitlupe ächzt, so aufregend, slick und vielfältig wie nie. Dass diesmal vergleichsweise wenig Gaststars aus dem Ausland angereist sind, ist schade und gibt zu denken, aber fällt erst beim Drübernachdenken auf, denn die meisten LIeblingscomics und Liebingskünstler*innen sind ja da, und die, die schmerzlich fehlen, kommen auch nicht unbedingt  aus dem Ausland. Absolut kein Grund, sich Comics aus der ganzen Welt zu verweigern! Aber: ernsthaft, wer hätte das gedacht? (FS)

Digitalisierung
Ehapa macht es im großen Stil, anderen, vor allem kleineren, Verlagen fehlen nach eigenen Angaben Geld, Ressourcen und entsprechend auch die Motivation für Comics in der App oder am Tablet. In Japan, so sagen die anwesenden Fachleute, machen digitale Comics schon den Großteil des Marktes aus und ersetzen sukzessive die telefonbuchschweren Mangamagazine, die in der U Bahn gelesen werden. Prognose: für den deutschsprachigen Raum ist die Digitalisierung nicht die heftig vermisste Knaller-Zukunftsperspektive. (FS)
siehe auch → „Manga“ und „Krise“

E

Erlanger Bürgermeister
Von wegen „die da oben“: Die Zeiten steifer Anzugträger, die für die Pressekameras gequält lächelnd in einen Comic schauen, bevor sie erleichtert zum nächsten Termin davoneilen, sind klar vorbei: Erlangens Oberbürgermeister Dr. Florian Janik hatte sich nicht nur in die standesgemäße Salon-Tracht „schwarzes Print-Shirt“ geworfen, sondern fläzte sich ob Platzmangels während einer Podiumsdiskussion auch einfach mal auf dem Boden und war so vom durchschnittlichen Comic-Fan kaum noch zu unterscheiden. (AV)

Foto: Internationaler Comic-Salon Erlangen

F

Familiengeheimnisse
Der Opa von Bianca Schaalburg und die Onkel von Tobi Dahmen waren stärker in den NS-Staat verstrickt, als es die künstlerischen Nachkommen immer angenommen hatten (aufgearbeitet in Der Duft der Kiefern und Columbusstraße). Der Onkel von Hannah Brinkmann hat sich in der alten BRD umgebracht, als sein Zivildienstantrag abgewiesen wurde (Gegen mein Gewissen). Die Famile von Ika Sperling schliddert dagegen hier und jetzt an Verschwörungstheorien entlang (Der große Reset). Das werden in Zukunft heitere Familienfeiern. Hoffentlich helfen unser Applaus (und hoffentlich dazu noch ein paar zukünftige Comicpreise) darüber hinweg. Bei allem Respekt in diesen (und anderen!) herausragenden Fällen werden autobiographische und “authentische” Comics allerdings allmählich zu einem reichlich einschränkenden Korsett. (FS)
siehe auch → Autobiografische Comics

Freibier
Wann gibt es Freitagabend nach der Max-und-Moritz-Gala Freibier? Wo gibt es das Freibier? Muss Pfand für die Krüge bezahlt werden? Wer hat es gesponsert? Warum? Gab es früher eigentlich schon Freibier? Beruhigend, dass angesichts von Kriegen, Krisen und der Konkurrenz der verschiedenen künstlerischen Konzepte auch solche Fragen behandelt wurden. Ausführlich. Sehr ausführlich. (FS)

Dass es 2024 überhaupt Freibier gab, ist laut investigativer Recherche Delfinium-Prints-Verleger Roy Seyfert zu verdanken, der sich 2022 aus blanker Empörung über die Streichung des Gratis-Gerstenbräus dazu hinreißen ließ, die Kostenübernahme für eine Freirunde beim kommenden Salon zu verkünden. In der Salon-Orga erinnerte man sich offenbar an das Angebot und so erklärt es sich auch, dass einem das Delfinium-Verlagsmaskottchen Entoman aus dem Salon-Programmheft Seit an Seit mit Max und Moritz zuprostet. Nachdem es dieses Jahr also ein rühriger Indie-Verlag gestemmt hat, wer springt 2026 in die Bresche? Vielleicht einer der Verlage, deren Künstler*innen einen M&M-Preis abgestaubt haben? Wie ich hörte, würde sich mancheine*r aus der Comicszene dann auch über eine Zusatzrunde alkoholfreier Freigetränke freuen. (AV)

Fungirl
„I’m a loser baby, so why don’t you kill me?“ Vor meinem geistigen Auge läuft ein Soundtrack von Beck mit der Slackerhymne „Loser“. Alles kommt wieder, so auch die 90er, nur krasser. Während Beck in dem Musikvideo zu Loser einen Sarg hinter sich herzieht, chillt Fungirl lässig in ihrem Sarg mit Dosenbier, Erdnussflips und binged Friends. Elizabeth Pich und Edition Moderne haben Fungirl eine ganze Rauminstallation gewidmet. Etwas morbide das ganze, aber vielleicht ist Fungirl am Ende gar nicht so lustig und Fun steht für Funeral wie bei Fun Home von Alison Bechtel… (AC)

Foto: Alexander Christian

G

Gastro
Okay, es gibt ein unbestreitbares Konfliktpotential zwischen bspw. Comics und Ketchup, Comics und Eiscreme und Comics und aufgeregten Kindern, die gleichzeitig sehr schnell trinken und sehr schnell in Comics blättern wollen. Ist das der Grund dafür, dass es auf dem ganzen zentralen Schlossparkgelände keine nennenswerte Gastronomie gibt? Oder ist das ein dunkler Deal zwischen dem Salon und den umliegenden Cafés und Biergärten? Also: mit letzter Kraft ab ins Pressebüro in der Stadtbücherei und sich besinnungslos und dankbar Apfelschorle hinter die Binde gießen. Nachteil: alle anderen von Comicgate sind auch da und sehen betreten zu. Vorteil; man kann gleich gemeinsam über Essensbeschaffung nachdenken. (FS)

Ginco Award
Die Preisträger*innen 2024:
KATEGORIE KURZCOMIC: OK. von Hannes Stummvoll. Veröffentlicht als Riso-Zine im Selbstverlag
FORTLAUFENDE SERIE: Heimlich, still und leise von Anna Backhausen. Veröffentlicht auf Animexx und Webtoon
LANGCOMIC / EINZELBAND: Weltraumpolizistin Oma Gurke von Patrick Wirbeleit und Stephan Lomp. Veröffentlicht im Kibitz Verlag
MANGA SPOTLIGHT: Incidents von Meitei Miu. Veröffentlicht auf Animexx und im Eigenverlag
HERZENSCOMIC: Blood, Flesh and Bone von Naki. Veröffentlicht auf Webtoon, Tapas, globalcomix
HERZENSCOMIC:  Drifting  von Madita Schwenke. Veröffentlicht auf der ShortBox Comics Fair 2023
HERZENSCOMIC: Kennen wir uns von Matthias Lehmann. Veröffentlicht im Eigenverlag
HERZENSCOMIC: Schattenspiel von Luise Mirdita. Veröffentlicht bei Schwarzer Turm
(Mehr zu den prämierten Werken hier.)

Golem
Die beiden Golemskulpturen in der großen Sfar-Ausstellung im Stadtmuseum Erlangen sind die nächsten Ausstellungsstücke, die mich an Actionfiguren denken lassen. Unbestreitbar sehr faszinierende Objekte und noch dazu aufgeladen mit mystischen Erzählungen der jüdischen Literatur des Mittelalters. Rabbi Löw erweckt darin eine Lehmfigur durch ein Ritual zum Leben, indem er ihr einen Zettel mit den hebräischen Schriftzeichen „emet“ (Wahrheit) in den Mund legt. Dieser künstliche Mensch soll ihm dienen, um die jüdische Gemeinde Prags vor Verfolgung zu schützen. Als der Plan aus dem Ruder läuft und der Rabbi die Kontrolle über seine Kreatur verliert, entfernt Löw den ersten Buchstaben der Beschwörungsformel. Aus „emet“ wird „met“ (Tod) und der Golem verliert seine Kraft. Das lässt auch Sfar nicht mehr los. Mit der Legende des Golems hatte sich Sfar bereits im Rahmen seiner Magisterarbeit auseinandergesetzt. Immer wieder tauchen Golems in seinen Comics auf. Für Sfar seien solch fantastische Sujets aber keine Instrumente zur Realitätsflucht, sondern ein Weg, diese besser zu verstehen. (AC)
siehe auch → „Sfar, Joann“

Fotos: Alexander Christian

H

Halle D
Die Aussteller*innen in Halle D, dem Redoutensaal, die sich anfangs noch darüber echauffierten, dass sie in dem Bau nördlich des Schlossparks nicht ganz so leicht zu finden seien (und die Ausschilderung verbesserungsfähig sei), wurden angesichts sich wellender Druckerzeugnisse in den Zelten über die Tage merklich zufriedener mit ihrer Standzuteilung. Und es sah so aus, als ob die Besucher*innen den schönen Saal, der einst sogar der Hauptausstellungsort des Comic-Salons war, irgendwann auf ihrer Flucht vor dem Regen doch noch fanden. (AV)

Haptik
Die tastende oder „begreifende“ Wahrnehmung eines Comics fällt natürlich hinter die visuelle Wahrnehmung zurück. Den Beweis dafür, dass ein so richtig gut in der Hand liegender Comicband aber gerade am Messestand einen Unterschied machen und für regelrechte Euphorie sorgen kann, lieferte Kollege Muschweck am Stand des Indie-Manga-Duos Pushcart. (AV)

I

ICOM-Preis
Die Preisträger*innen des ICOM-Preises 2024:
– Bester Independent Comic (Selbstveröffentlichung): Digger von Ralf Marczinczik.
– Bester Independent Comic (Verlagsveröffentlichung): Viktoria Aal von Wiebke Bolduan (Reprodukt)
– Bester Independent Comic (Sonderpreis): Salon Journal von Jel&Rie, Naqshband Haidary, Heiko Vogel, Robert Posselt, Benjamin Caillari-Herzberg, Katrin Langhauser, Milivoj Kostic, Sascha Dörp, Falko Kutz, Frauke Berger, Annelie Wagner, Frank Cmuchal (Heimat- und Kulturverein Gönnheim)
– Bester Kinder- oder Jugendcomic: Schattenspiel von Luise Mirdita (Schwarzer Turm)
– XPPen-Preis für herausragende digitale Comics: Der unsichtbare Freund von Steff Murschetz (Undergroundcomix.de)
sowie
Somnium von Berrin Jost (Selbstveröffentlichung)
(Mehr zu den prämierten Werken hier.)

J

Jagdfieber
Jagdfieber bricht aus, wenn man nicht mehr findet, was man gerne haben wollte. Der Max-und-Moritz-Überraschungssieger Der Letzte löscht das Licht war jedenfalls ziemlich schnell abverkauft. Mit diesem Absatz hat man beim Verlag Helvetiq offensichtlich nicht gerechnet. Jürgen „Geier“ Speh dagegen kalkuliert seine Hefte knallhart: von seinem neuen Werk Roter Schnee in verblüffend authentischer Tom-Prox-Kolorierung gab es zwar noch einen großen Stapel bei Gringo-Comics, aber die waren alle reserviert. Ich hebe schon mal die Hand für die Neuauflage. Und dann war ich doch glatt daneben gestanden, als bei U-Comix der letzte Unsichtbare Freund seinen Käufer fand. Der ist jetzt auch erstmal weg. (CM)

Jazz
Das E-Werk Kino zeigte im Rahmen des Comic Film Fests den Anime Blue Giant von Yuzuru Tachikawa nach der gleichnamigen Mangareihe von Shinichi Ishizuka (Carlsen Manga). Blue Giant zeichnet den Karriereweg des jungen Erwachsenen Dai Miyamoto nach, der antritt, um nicht weniger als der beste Tenorsaxophonist der Welt zu werden. Der im Vergleich zur Vorlage arg gestraffte Plot lässt leider viele Nebencharaktere aus. Die verdichtete Handlung konzentriert sich auf den Umzug des Protagonisten nach Tokio und den Weg zum ersten Ziel, einem Auftritt im angesagtesten Jazzclub der Metropole.
Auf den ersten Blick ähnelt die Geschichte den zahllosen Genre-Erzählungen aus dem Sportbereich, in denen Talent, Hingabe und Disziplin zur Weltspitze führen. Als leidenschaftlicher Jazz-Fan tritt Dai Miyamoto allerdings als Außenseiter an. Sein Lebenstraum ist für viele einfach keine Wunschvorstellung. Das neu formierte Trio besteht noch dazu aus drei völlig unterschiedlichen Charakteren, was ihre Voraussetzungen, Werte und Ziele angeht. Dieser Twist sorgt dafür, dass die Geschichte interessant bleibt. Wirklich mitreißend sind die enorme Spielfreude und der Soundtrack der japanischen Pianistin und Komponistin Hiromi. Feelgood-Kino, das in der Animation die Nähe zum Kitsch verzeiht. (AC)

K

Krise
Die Branche leidet. Unter massiv gestiegenen Kosten bei Papier und Druck, moderat beunruhigend gestiegenen Transport- und Lieferkosten und einem zur Zeit absolut nicht kauffreudigen Publikum. Mehrere Veranstaltungen behandelten den fiesen Ist-Zustand, besonders ausführlich die Podiumsdiskussion “Artenschutz für Verlage?”, die Lars von Törne am Freitag in der Orangerie moderierte. Aufhänger für die Debatte waren das Ende des Zwerchfell-Verlags und die wenigstens vorübergehende Rettung von Reprodukt und Edition Moderne durch Crowdfunding und ähnliche Unterstützungen. Aus dem Publikum wurden mehrfach knallige Kioskcomics als kommerzielles Rückgrat für die Branche gefordert, aber: wo sollen die herkommen und wer sollte die kaufen? Comics als klassisches Massenmedium sind wenigstens jenseits der Manga bei uns erst einmal Geschichte. Umgekehrt würde die ebenfalls teilweise auf dem Podium geforderte Institutionalisierung der Branche mit mehr offiziellen Comicbeauftragten und mehr Subventionen von Bund und Ländern und einem Schwerpunkt auf gesellschaftlich relevanten Topics zumindest in meinen Augen die Fehler der Filmbranche wiederholen und jede Menge Leben aus der Kunstform pressen. Zu Comics als Liebhaberei, als eigenartiger Kunst, als Gegenleben und als Delikatesse, die dich dann doch unverhofft voll erwischt und mit allen Schatten und Möglichkeiten der Welt konfrontiert, scheint es im Moment keine Alternative zu geben. Angesichts einer massiv schwächelnden Film- und Serienlandschaft, angesichts leerer Theater und einer frei drehenden Kunstwelt für reiche Spezialisten ist das vielleicht nicht die schlechteste Nische. (FS)

KI-Comics
Beim ICOM-Preis gibt es bereits eine Kategorie für herausragende digitale Comics und die Jury hat auf diesem Sektor auch keine Vorbehalte gegen den Einsatz der KI-Technik, während andere Vertreter der Zunft jeden Künstler, der künstliche Intelligenz verwendet, am liebsten mit einem lebenslangen Bann versehen würden. Eine neue Frontlinie tut sich auf. Ich bedaure dabei vor allem, dass es Künstler mit einem fotorealistischen Stil in Zukunft schwerer haben werden und misstraue schon jetzt jeder verblüffenden Grafik, bei der die Entstehungsweise nicht transparent offengelegt ist. Die Zukunft gehört wohl dem Comic, der locker aus dem Handgelenk entsteht (Joann Sfar, Ralf König). Das Problem ist wohl der Kapitalismus, wenn beispielsweise Zeitschriftenverlage entscheiden, dass eine generische Illustration völlig ausreicht und man aus Budgetgründen keinen Künstler mehr dafür bezahlen mag (oder darf). Andererseits, die Illustrationen von Buchtitelbildern sind hierzulande schon seit 30 Jahren oft generisch zusammengestopselte Beliebigkeit. Das kann mit KI kaum noch schlimmer werden. (CM)

Kiloware
Am Stand der Sammlerecke wurde in A-Lage (Halle A) B-Ware zum Kilopreis verhökert. Mangas standen dabei deutlich höher im Kurs als andere Comics, was wohl am leichteren Papier liegt. Welche Comics mögen sich dort auf den Grabbeltischen stapeln, für die sich niemand die Mühe macht, einzelne Preise festzulegen? Der Entdeckergeist und die Aussicht auf ein Schnäppchen regten zum ausgiebigen Stöbern an. Ein sichtbar reges Treiben herrschte rund um den Stand. (AC)

Kindercomics
Das Programm „Kinder lieben Comics!“ erhielt diesmal mit dem E-Werk ein eigenes Veranstaltungsgebäude. Schade, dass das Wetter den im Garten geplanten Veranstaltungen wie Lesungen und Wimmelbildzeichnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung machte.
Drinnen im E-Werk waren Büchertische nur mit Kindercomics aufgebaut, es wurden Lesungen abgehalten und eine faszinierende Ausstellung zu Jim Curious – Reise in die Tiefen des Ozeans (Reprodukt) gezeigt, die unter Schwarzlicht und mit 3-D-Brille sehr mysteriös und magisch wirkte. Meinem Fünfjährigen wurde das allerdings etwas unheimlich und wir zogen zügig wieder von dannen – die Ausstellung war eh erst ab sechs Jahren empfohlen.

Leuchtende Ausstellungstücke unter Schwarzlicht

Foto: Frauke Pfeiffer

Ebenfalls toll war das Angebot diverser Workshops, von denen allerdings die meisten schon deutlich im Vorfeld ausgebucht waren. Vorschlag: Ein Kontingent einiger Plätze zurückhalten für die, die nicht wissen, dass man schon vorab buchen konnte. Oder größere Räume in petto haben. Die Regenpausen wurden unter anderem im Schlossgarten trotzdem sofort genutzt und Leinwände emsig bemalt.

Malen oben und unten

Foto: Frauke Pfeiffer

Mein Highlight des Programmpunktes war aber die interaktive Comic-Detektivjagd von Ulf und Tita quer durch Erlangen. (FP)
siehe auch → „Schnitzeljagd“

KNAX
Mit dieser Comicreihe der Sparkassen sind vermutlich viele von uns aufgewachsen – wurde sie doch 2024 bereits 50 Jahre alt und feierte dieses Jubiläum mit einem Stand auf dem Salon. Dort konnte man sich anschauen, wie ein Knax-Comic entsteht, wie sich das Aussehen der Figuren im Lauf der Jahre verändert hat und welche Figuren wann hinzugekommen sind. Etwas mehr Umfang der Ausstellung oder auch den einen oder anderen Zeichner am Stand (davon sind doch viele auch sonst im Comicbereich tätig) hätte mich gefreut. Herzlichen Glückwunsch zum runden Geburtstag! (FP)

Entstehungsschritte bei einem KNAX-Comic

Foto: Frauke Pfeiffer

L

Lesungen
Comic-Lesungen mit Bildprojektion sind auch schon fest etablierte Programmpunkte. Meistens geht es dabei eher launig und lustig zur Sache, ernst nachdenkliche Performances findet man weniger, aber natürlich gibt es diese auch. Man muss sie allerdings suchen. (CM)

Auch im E-Werk bei den Kindercomics gab es jede Menge gut gefüllte Lesungen; dankenswerterweise mit Altershinweis. So saßen mein fünfjähriger Sohn und ich zielgruppengerecht bei Flix’ und Mawils gemeinsamer Lesung zu Die Feuerwehr macht Urlaub und Das Zyx. Ihnen half ganz wunderbar spontan ein Mädchen aus dem Publikum als weibliche Stimme aus.

Flix und Mawil bei der Lesung von ZYX

Foto: Frauke Pfeiffer

Dazu dann im Gegensatz Ferdinand Lutz mit seiner Comicreihe über den Außerirdischen Q-R-T. Der Künstler war zwar nur allein auf der Bühne, hatte dafür aber jede Menge Musik- und Soundeffekte eingebaut. Bemerkenswert toller Aufwand! (FP)

Ferdinand Lutz bei der Lesung von Q-R-T

Foto: Frauke Pfeiffer

Luftfeuchtigkeit
Die war angesichts der stetigen Bewässerung von oben, die sich noch zu den eh schon vorhandenen Ausdünstungen der Besuchermeute addierte, hoch, vor allem in den beiden kleineren Zelten. Während in Zelt/Halle B irgendwann manches Softcover sich wie von Geisterhand aufklappte, wurden im kleinen Zelt/Halle C Plastikfolien an die Aussteller*innen verteilt, mit denen sie ihre dargebotenen Papierschätze schützen sollten. Definitiv nicht betroffen: Der Händler wertvoller US-Comicklassiker, der seine Hefte aus einem vor garstigen Temperaturen oder Luftfeuchtigkeit schützenden „Klimakoffer“ darbot. Wo bleibt das Klimazelt? Oder vermissen wir jetzt doch ein bisschen die trockenen Betonmauern der Heinrich-Lades-Halle? (AV)

Die durch die Luftfeuchtigkeit verursachte Welligkeit der Bücher hat sich dankenswerterweise bei meinen Einkäufen wieder zurückgebildet. (CM)

M

Mental Health
Sind Depressionen die neuen Superhelden? Zumindest sind psychische Krankheiten und kognitive Besonderheiten mehr denn je Trendthema für ambitionierte Comics. Während Ralf König mit “Harter Psücharter” sich dem Thema klassisch-komisch und an einem Normalitätsbegriff entlang nähert, springen andere kopfüber in innere Abgründe oder kämpfen sich durch psychedelische Nebenrealitäten. Den deutschsprachigen Max-und-Moritz-Preis gibt es für eine Reise durch die Welt der Angststörungen (Fürchten lernen von Nando von Arb, Edition Moderne), während Slinga am Stand von Edition Kwimbi charmant gegen die Angst vor ADHS anzeichnet (ADHS – Was isn das eigentlich, Slinga&Zeder Books). Vom autistischen Spektrum und Borderline-Störungen wird meistens in Minimaloptik erzählt, während Depressionen immer häufiger als Kämpfe gegen Monster dargestellt werden und Psychosen nach wie vor eher indirekt nebenbei behandelt werden (einige Rezensionen zum Themenkreis hoffentlich bald auf dieser Seite). Ist das alles richtig, wichtig und gut oder hochproblematisch? Beides, natürlich. So gut Aufmerksamkeit, Empathie und Entkrampfung für Krankheiten und ihre Betroffenen sind und so gut und richtungsweisend gerade die wilderen Beschäftigungen geraten, so problematisch ist die Tendenz, nicht mehr frech von der Welt zu erzählen. Verrückt waren wir schließlich alle schon immer. (FS)

Max-und-Moritz-Preis
Die Preisträger*innen 2024 werden im Erlangen-Tagebuch Teil 1 ausführlich vorgestellt.

Manga
Spielt immer noch nicht die ganz große Rolle auf dem Salon, aber scheint nach ruckeligen Anfängen seinen Platz in Erlangen gefunden zu haben, was sich in diesem Jahr neben den anwesenden Verlagen (bzw. deren präsentierten Manga-Programmen) und zahlreichen Kleinausstellern in zwei Ausstellungen und drei Podiumsdiskussionen niederschlug – mit lobenswert starkem Fokus auf dem deutschsprachigen Manga und dessen Vertreter*innen. Angesichts des anhaltenden Manga-Verkaufbooms könnte man für die Zukunft aber noch etwas mehr erwarten. Vielleicht ja auch mal wieder einen eingeladenen Manga-Star als Zugpferd, um noch mehr Manga-Fans nach Erlangen zu locken. (AV)
siehe auch → „Deutscher Manga“

Manifest
„Wir zeichnen vor Ort, drinnen oder draußen, nach direkter Beobachtung.
Unsere Zeichnungen erzählen die Geschichte unserer Umgebung, der Orte, an denen wir leben oder zu denen wir reisen.
Unsere Zeichnungen sind eine Aufzeichnung der Zeit und des Ortes.
Wir bezeugen unsere Umwelt wahrhaftig.
Wir benutzen alle Arten von Medien und schätzen unsere individuellen Stile.
Wir unterstützen einander und zeichnen zusammen.
Wir veröffentlichen unsere Zeichnungen online.
Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung.“
Das Urban Sketchers Manifest ist eine öffentliche Erklärung der Ziele dieser weltweiten Bewegung. Ihre Ergebnisse werden häufig in den Bereich des visuellen Journalismus eingeordnet. Mit Comics bilden sie schon allein deshalb eine Schnittmenge, weil sie die Technik des Skizzierens teilen. Die in Erlangen ausgestellten Skizzenbücher der Urban Sketchers reihten sich entsprechend nahtlos in die umgebenden Ausstellungen von Comickunst ein. Skizzen sind überaus nützlich zur Veranschaulichung von Ideen und zum Festhalten von Eindrücken. Apropos Manifest. Was ist eigentlich aus dem Comic-Manifest geworden? (AC)
siehe auch → „Urban Sketching“

Foto: Alexander Christian

Nahost
Im März stritt das Strapazin  über die Zusammenstellung  einer Ausgabe mit „arabischen Comics”, die eine Antisemitismusdebatte entfachte. Zum Salon erschien mit Wie geht es dir? eine digitale Anthologie von Comics „gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“, die seit Januar im Netz veröffentlicht werden und unter anderem auch bewusst die Perspektiven von jüdischen Menschen in Deutschland auf den 07. Oktober und den Krieg in Gaza zeigen wollen. Die Atmosphäre bei der multiperspektivischen Diskussionsveranstaltung dazu ist ernst, angespannt, konflikt- und verständnisbereit und friedlich (aber vor dem Ende bin ich schon unterwegs zum zweijährlichen Comicgate-Stammtisch). (FS)
siehe auch → „Strapazin“

O

Originalseiten
Wer genug Geld hat, sich Originalseiten zuzulegen, sollte nicht davor zurückschrecken, sich auch noch einen Klimakoffer zuzulegen. (CM)
siehe auch → „Luftfeuchtigkeit“

P

Perrodeau, Jeremy
Die Ausstellung „Andere Welten“ im Kunstpalais, die dem Comicschaffen von Jeremy Perrodeau gewidmet war, wurde ihrem Titel mehr als gerecht. Fein und ansprechend kuratiert und passend gestaltet, führte sie in die grafisch überaus spannenden Sci-Fi- (wie auch andere) Welten des französischen Künstlers, die ich in Zukunft nur zu gerne weitererkunden möchte. (AV)

Foto: Alexander Christian

Problemcomics
Viele der  nominierten und preiswürdigen Comics wirken derzeit auf mich wie die Wiedergänger des längst vergessenen „Problemfilms“, wie es ihn in  den 1970er und -80er Jahren im westdeutschen Fernsehen zu sehen gab. Im Filmlexikon der Uni Kiel findet sich dazu sogar eine Genredefinition:
„Große unspezifische Gruppe von Filmen, die klassen- oder gruppenspezifische oder individuelle Problem- bzw. Konfliktlagen thematisieren, für die es in der dargestellten Welt keine adäquate Lösung gibt (basierend auf Klassendifferenz, Armut, sozialen Konventionen). Bevorzugte Motive und Themen dieser durchwegs realistisch motivierten Filme sind Sucht und Drogen, Armut, Ehekonflikte, Behinderung (Verstümmelung) und Krankheiten. […] Das Genre wird manchmal unterteilt in den Gesellschaftsfilm (bougeois melodrama) und den Problemfilm im engeren Sinne (working-class melodrama), der wiederum in Straßenfilme, Kammerspielfilme und Arbeiterfilme aufgegliedert wird.“
Da findet sich einiges aus den Nominierungslisten diesjähriger Comicpreise, das die Kriterien des Problemfilms erfüllt, es ist also nicht unangemessen, von „Problemcomics“ zu sprechen. Nur habe ich von den „Problemfilmen“ der 1980er stets Reißaus genommen, während ich den Problemcomic wie selbstverständlich als Lektüre wähle. Alles nur eine Frage von Alter und Reife? Man sollte sich dennoch bewusst machen, wie selbstverständlich ein „Problemcomic“ Anerkennung findet, während sich jedes andere Genre fast schon ob seiner Existenz rechtfertigen muss. Liebe Fördergremien und Jurys: Schaut doch mal, was die Uni Kiel noch so an Definitionen anbietet. Es gibt auch andere Genres! Intelligentes Erzählen geht anderswo mindestens genauso gut. (CM)

Problemcomics sind halt immer noch gezeichnet. Ich denke, das macht einen Unterschied. (FS)

Q

Q-R-T
Ausgesprochen: Kurt. Ist ein 22-jähriger Außerirdischer, der wie ein Menschenkind aussieht. War die Grundlage für eine tolle Kindercomic-Lesung von Q-R-T-Autor und -Zeichner Ferdinand Lutz. (FP)
siehe auch → „Lesungen“

R

Regen
Gab’s auch. Jede Menge. Siehe auch “Luftfeuchtigkeit”. Überall in den Messezelten und hier und da in den Ausstellungen blockierten sich herumstehende Menschentrauben, wuchernde Warteschlangen und klaustrophobische Familien auf der Suche nach einem Ausgang gegenseitig. Häufiges Gesprächsthema: wie es erbeutete Comics sicher durch den Regen schaffen. Luxusprobleme: Nebenan in München war Hochwasser. Tropfnasse Erstbesucher kriegten erzählt, was für ein rauschhaftes Woodstock der Salon angeblich NORMALERWEISE, bei sommerlichem Wetter, sein soll. Ich glaube kein Wort. (FS)

In Woodstock hat’s auch geregnet. Und wie!! (CM)

Eben! (FS)

S

Schnitzeljagd
Eine interaktive Detektivrallye quer durch Erlangen konnte man zusammen mit seinen Kindern machen. Es galt, Ulf und Tita zu helfen, die gestohlene Max-und-Moritz-Medaille wiederzufinden und den Dieb zu erwischen.
Allein schon durch sein mitgeliefertes Startmaterial war klar, dass hier ganz viel Mühe und Arbeit drin steckte. Es gab unter anderem einen kurzen Comic (von der dann für den besten Kindercomic Boris, Babette und lauter Skelette mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichneten Tanja Esch), der erklärte, was passiert war. Des Weiteren waren eine Straßenkarte der Erlanger Innenstadt enthalten, eine rote Folie zur Dechiffrierung von Geheimschriften, ein Protokollheftchen, Hinweise für bestimmte Stationen…
Leider konnte ich den Rätselspaß aus Mangel an Interesse seitens des Nachwuchses nicht durchführen. Ich hoffe, jeder, der mitgemacht hat, hatte soviel Spaß, wie es das Starterset schon andeutete. (FP)

Bestandteile des Schnitzeljagd-Sets quer durch Erlangen

Foto: Frauke Pfeiffer

Sfar, Joann
War ein bisschen viel. Einer der größten lebenden Comickünstler, wenn nicht überhaupt, eine grundsympathische Erscheinung mit Charisma, Swag und Dauerschmunzeln, der Star des Festivals und einer mustergültig kreuz und quer durch das Stadtmuseum wuselnden Ausstellung randvoll mit Originalen und Aha-Momenten, betörenden Skizzenbüchern und besinnlichen klugen Gedanken, multimedialen Installationen, Lust und Lachen… und voller privater Kinderfotos, Super 8-Filmen von den Eltern und zum Teil weihevoller Selbstverortungen. Ein bisschen viel (FS)

Foto: Alexander Christian

Strapazin
Das manchmal ein wenig arg akademisch, aber immer konkurrenzlos knallbunt und kunstvoll daherkommende überformatige Comicmagazin aus der Schweiz feiert mit seinen vierteljährlichen Themenheften den 40. Geburtstag. Ein Jubiläumsheft mit 60 größtenteils selbst gegossenen und gezogenen Künstler*innen, größtenteils glanzvoll und witzig  Und niemand will etwas von den Kontroversen der letzten Monate anlässlich des Nahostkonflikts wissen. Angeblich alles prima. Na gut. Herzlichen Glückwunsch. (FS)

Foto: Alexander Christian

Spin-Off
Mit Brennendes Herz Band 1 und 2 waren am Stand von Finix Comics die ersten Teile einer Spin-off-Serie zu Die Sieben Leben des Falken am Start. Aber was heißt hier Spin-off: Patrick Cothias hat schon mit dem ungewöhnlichen Schock-Ende der Hauptserie etwas geliefert, was im Fernsehen erst Jahrzehnte später als effektives Erzählmittel entdeckt wurde. Der große erzählerische Knall am Ende der Serienstaffel, der gleichzeitig Hauptmotivator der nächsten werden sollte. Cothias war ein Meister darin, den Leser am Ende eines Erzählzyklus in Unruhe zu versetzen, weil irgendwas noch nicht fertig erzählt ist. Legendär auch der finale Twist in Des Königs Narr, der direkt in die Folgeserie Der Mann in der eisernen Maske mündet. Cothias ist ein Serienerzähler, den man wiederentdecken sollte. (CM)

T

Trocken
Trocken war es nicht nur in den Messehallen/zelten (mehr oder weniger) und Ausstellungen, sondern auch in den Kinosälen der Lamm-Lichtspiele und des E-Werk-Kinos, wo unter dem Banner „Comic Film Fest“ ein sehr abwechslungsreiches, im weitesten Sinne mit Comics verbundenes Programm zum Besten gegeben wurde. Dabei sollen viele Vorführungen außergewöhnlich gut besucht bis ausverkauft gewesen sein. Könnte am Wetter gelegen haben. Oder das Programm war in diesem Jahr einfach ausgesprochen gut. (AV)

U

Ukraine
Moga Mobo sind Meister darin, Comics aus fernen und teils schwer zugänglichen Ländern in Gemeinschaftsausstellungen und Anthologien zusammenzubringen. Auch für Erlangen haben sie wieder große Netzwerkarbeit geleistet, um einen Blick auf die Comicszene der Ukraine zu werfen: „Leben in der Kriegszone. Comics aus der Ukraine.“ Der Angriffskrieg Russlands gibt das ernste Thema vor. Wer die Tür zur Ladengalerie auf der Hauptstraße durchschreitet, blickt über dem Eingang auf ein überlebensgroßes Porträt Putins, der wiederum ängstlich und mit Schweißperlen auf der Stirn nach unten schaut. Sein Blick richtet sich auf eine Menschenmenge, die sich ihm trotzig entgegenstellt. Zu sehen ist sie in Form einer Beklebung der Schaufensterscheiben. Auch alle, die die Tür durchschreiten, sind mit einbezogen. Wenn der Ausstellungsbesuch nicht sogar ein Zeichen des Widerstands ist, so macht er doch die Menschen in der Ukraine und ihre Geschichten sichtbar. Besonders eindrucksvoll ist das großformatige Wandgemälde von Leo Reznik, das die Wirren des Kriegs in Form eines Wimmelbildes darstellt. Kontrastierend zu den Schrecken des Krieges laufen auf Monitoren am Boden sonnige Panoramen aus Kiew. Eine Mischung aus Spannung und Angst, dass jeden Moment vor laufender Kamera etwas ebenso Schlimmes passieren könnte, setzt sich im Nacken fest. Die Aufsicht der Ausstellung gibt Entwarnung, es handle sich um Endlosschleifen. Dabei sei ich längst nicht der Erste, der sich danach erkundigte. (AC)

Fotos: Alexander Christian

Ein Freund von mir hat vor über zehn Jahren eine längere Periode seines Lebens in der Ukraine verbracht, um dort Deutsch und Englisch zu unterrichten. Er meinte, dort gäbe es keine Comic-Kultur. Was er nicht bedacht hatte: die ukrainische Comic-Kultur ist sehr independent und blüht vor allem auf Social Media. Vieles, habe ich mir sagen lassen, existiert tatsächlich nur auf Instagram. (CM)

Urban Sketching
Urban Sketchers sind Zeichner*innen, die vor Ort ihre Umgebung skizzieren – in ihren Heimatstädten oder auf Reisen. Die Verschränkungen zur Comicszene sind dabei nicht nur stilistisch, sondern teils auch personell.
Schön also, dass der Salon dieser Community nicht nur eine Ausstellung, sondern auch einen Festivalort für Veranstaltungen spendiert hat, passenderweise natürlich draußen und zwar in Form eines „Urban Sketching Village“, bestehend aus offenen Containern, Zeichenwänden und zahlreichen Sitzgelegenheiten unter Sonnenschirmen direkt auf dem Hugenottenplatz. So wurden die Urban Sketchers leider neben den Cosplayer*innen, die zum Salon immer im Schlosspark auflaufen und ihren Wettbewerb am Samstag tapfer im Nieselregen abgehalten haben, die wohl größten Salon-Opfer des widrigen Wetters. Doch trotz stetigen Regens fanden sich dennoch immer wieder tapfere Teilnehmer*innen und Interessierte für Sketchcrawls, Workshops und Live Drawings ein.
In den trockenen Räumen der Ladengalerie am Altstadtmarkt gab es dazu eine Ausstellung von zehn Künstler*innen aus der Urban-Sketching-Szene, die mich in ihrer stilistischen Bandbreite und ihrem Können sehr begeistert hat. Darunter übrigens mit Barbara Yelin und Thomas von Kummant zwei deutsche Comickünstler*innen, deren Urban Sketches ihrer Comicarbeit um nichts nachstehen.
Auf der samstäglichen Salon-Party im E-Werk wurden übrigens auch Urban Sketchers beim Skizzieren des Tanzgetümmels gesichtet. (AV)

Foto: Alexander Christian

V

Verlagsprofile
Zumindest bei den großen kleinen Verlagen in Halle B sehen die Menschen am Stand häufig so aus wie fleischgewordene Verlagsprofile oder so, wie zumindest ich sie mir immer vorgestellt habe: Bei Reprodukt sehen alle aus wie flüchtige dufte Bekannte aus Kreuzberg, bei denen du gerade nicht auf den Namen kommst. Die Leute vom avant-Verlag wirken schlau verstrahlt und wie auf halber Strecke zwischen Galerie und Punkkonzert. Zauberstern ist eine mobile knuffige Retrokneipe, in der Spezialwissen besprochen und auch schon mal die Klampfe ausgepackt wird. Bei der Edition Moderne stehen offensichtlich Geheimdiplomati*innen mit der Lizenz zum Töten am Stand, die in der Freizeit in einer ironisch-stylishen Wave-Formation spielen. Bei Rotopol spukt in einnehmendem Understatement das gleiche abgründige Insichhineinlächeln über die Gesichter wie zwischen den Buchdeckeln. Und Cross Cult residieren in Halle A, darum passt gar nicht hierher, dass sie so einnehmend übernächtigt hip aussehen, wie sie bei den derzeitigen Neuerscheinungen einfach aussehen müssen. Und das sind nur die größeren Namen. Dass viele einzelne Comics dabei zu mehreren Verlagen hervorragend passen würden, macht diese verblüffende Erkennbarkeit nur noch interessanter. Beliebigkeit geht anders. (FS)

Vitalität
Wie vital ist die Branche? Offensichtlich sehr. Warum treffe ich trotzdem schon seit jeher Händler wie Künstler, die sagen, der deutsche Comic sei tot? Ich war schon dabei, als in den Neunzigern die Alben jedes Jahr teurer wurden und eine Serie nach der anderen eingestellt wurde. Der Untergang, habe ich manchmal das Gefühl, liegt schon hinter uns – seitdem geht alles trotzig und beharrlich immer weiter mit den Comics. Es lohnt sich, Hoffnung zu haben. (CM)
siehe auch → „Krise“

Vieweg, Olivia
Keine 15 Jahre, nachdem Olivia Vieweg zum richtigen Zeitpunkt japanische und europäische Traditionen verschränkt und weitergedacht hat, gibt es eine aufwändige Ausstellung in Erlangen und beinahe so etwas wie eine Werkausgabe zu (jungen) Lebzeiten beim Verlag Schwarzer Turm. Gefühlt vorhin hat uns Endzeit fulminant überrumpelt und die ganze kleine Gruppe oder Schule mit Vieweg im Zentrum den verblüffenden Beweis erbracht, dass Stilisierung, Geektum und Lebensnähe auch in ernsten Comics aus Deutschland funktionieren können (ein Publikum mit den gleichen Lieblingscomics hilft dabei allerdings vermutlich). Im öffentlichen Werkstattgespräch wird deutlich, wie provokant und schmerzhaft Viewegs innovative Grenzgängerei tatsächlich war, dass sie sich damit tatsächlich eine aufmerksame Fangemeinde erzeichnet hat und dass die jungen Wilden mit den überoffenen Augen mittlerweile souveräne, für dieses Außenseitermedium beinahe erschreckend arrivierte, Großkünstler*innen geworden sind. Wir bleiben dran. (FS)

Foto: Alexander Christian

W

Warmlaufen
Eine gute Gelegenheit zum Warmlaufen für den Salon bot der Empfang des Internationalen Comic-Seminars am Mittwochabend. Die Ausstellung „Wandel | Kurz & Bündig“ zu den Themen des ein Jahr zurückliegenden und des aktuellen Seminars eröffnete Einblicke in das Schaffen der rund 50 Teilnehmenden von nah und fern. Wir erfahren etwa, dass Jennifer Daniel, nominiert für den Max-und-Moritz-Preis 2022 (Das Gutachten, Carlsen), an einer neuen Graphic Novel mit dem Arbeitstitel Unser Erbe arbeitet. In der Gruppenausstellung zeigte sie einen Auszug aus dem Storyboard und das Character Design der beiden Hauptfiguren: Eine wohlhabende Modedesignerin, deren Tod dunkle Geheimnisse umgeben, und eine auf Nachlassverwaltung spezialisierte Anwältin, die sich auf die Suche nach der eigenen Wahrheit begibt. (AC)

Wasser
Es klingt ein wenig nach der Ironie des Schicksals. Da widmet sich der Comic-Salon einer Themenausstellung: „Wasserzeichen. Comics über das fluide Element“, und schon will es gar nicht mehr aufhören zu regnen. Dicke Bindfäden von Regen in der typischen Manier von Will Eisner, die Harvey Kurtzman „Eisnerspritz“ taufte, waren natürlich Teil der Ausstellung. Gezeigt wurden Seiten aus A Contract with God, in denen der Regen den Gefühlszustand des Protagonisten illustriert. Die begleitende Klanginstallation von Erich Lesovsky „In Regenschauern“ gibt’s bei Soundcloud zum Nachhören.
Mehrere Beamer projizierten Filmaufnahmen von fließendem Wasser und treibenden Eisschollen an Wände und Decken und schufen im Untergeschoss des Kunstpalais eine teils beklemmende Atmosphäre. Eine dramatische Hinleitung zu Emmanuel Lepages Reportage-Comic Weiß wie der Mond, in dem er zusammen mit seinem Bruder François eine Antarktis-Expedition dokumentiert und über das Verhältnis des Menschen zur Natur nachdenkt. (AC)

Foto: Alexander Christian

Alles wahr, aber war die von der Ausstellung mit blauen Wasserprojektionen, Naturgeräuschen und prickelnden Lieblingscomics von den Mumins (allerdings!) bis zu Loustal im Keller geschaffene eindrückliche Atmosphäre nicht auch hypnotisch, mystisch und sinnlich (oder entwickele ich allmählich eigenartige Perversionen? Und: nein, ich war alleine, nüchtern und in aufgeräumter Stimmung in der Schau)? (FS)

Foto: Internationaler Comic-Salon Erlangen

X

X wie Durchkreuzt!
Durchkreuzt wurden die Pläne des amerikanischen Fantagraphics-Verlags, die beste Don-Rosa-Gesamtausgabe aller Zeiten zu veröffentlichen, denn der Disney-Konzern verbietet – so viel ist bekannt – den Nachdruck einiger Geschichten. Das betrifft beispielsweise jede Story, in der Bombie, der Zombie, durchs Bild stapft. Im neuen ICOM-Comic-Jahrbuch von 2024 (Premiere in Erlangen) befindet sich ein erhellender Artikel über immerhin 52 Seiten, in dem der Autor detailliert die turbulente Geschichte der Disney-Comics nachzeichnet, über die Zeit der Weltwirtschaftskrise, des aufstrebenden Faschismus in Italien und Deutschland und der Mobilmachung für den Zweiten Weltkrieg hinweg. Man erfährt, dass es erste ernstzunehmende Kritik wegen rassistischer Darstellungen bereits 1946 gab; das aktuelle Bewusstsein gegenüber vermeintlicher und tatsächlicher rassistischer Darstellungen ist also mitnichten ein neues Phänomen. Stefan Pannor hat ein Füllhorn an Material zusammengestellt, auf denen teilweise überraschende Zusammenhänge deutlich werden. Es ist gewinnbringend, Don Rosas Schicksal in einem größeren Kontext präsentiert zu bekommen. Ob daraus je ein Buch wird? Oder ist das auch schon X wie durchkreuzt? (Ob das unzensierte Sein Leben seine Milliarden je wieder aus dem Giftschrank darf? Verdient hätte es diese Serie, die Don Rosa zum verdienten Preisträger des Eisner Awards machte.) (CM)

Wer sich im Jahr 2024 noch Bombie, den Zombie, wünscht, wird verdientermaßen siebzig Jahre lang von ihm verfolgt (im LTB Classic von 2020 ist er übrigens enthalten)! (FS)

Y

Yelin, Barbara
Die Comics von Barbara Yelin führen, meistens und unter vielem anderem, zu Zweifeln und flauen Gefühlen im Magen. Genau deswegen ist der Spezialpreis der Jury für sie einfach sonnenklar und prima (und quasi als Gegengewicht gibt es auch eine Flut an Zeichnungen und Skizzen von ihrem großartigen Wassergespenst in der Wasserausstellung). (FS)

Z

Zensur
Es ist zwar kein Teil des Comicsalons, aber zeitgleich fand in Nürnberg im Künstlerhaus (ehemaliges Komm, Glasbau) die Ausstellung „Das war Schwermetall“ statt (noch bis 16.06.). Die auf dem Salon ausliegenden Flyer mit einem Motiv von Caza waren so plakativ zensiert, dass ich erst dachte, es handelte sich um einen performativen Akt, der auf die Hässlichkeit der Zensur aufmerksam machen sollte. Aber freiwillig zerstört man ein sorgfältig ausgewähltes Motiv nicht. Da gab es schon wieder Zwänge, die Darstellung einer attraktiven SF-Dame in blau zu reduzieren. (Vermutlich hätte man ihr auch einen Büstenhalter aufmalen können, kein Witz, die Egmont-Ausgabe von John Difool ist diesen Weg gegangen.) Ich rate dazu, den aufschlussreichen Podcast von Geekeriki mit Achim Schnurrer und Sascha Dörp zur Sache anzuhören, wo endlich darüber aufgeklärt wird, warum auf dem Titelbild der Schwermetall so oft nackte Haut zu sehen war: es ging natürlich ums Geld. Anhören lohnt sich sehr (z.B. hier) – da lernt man einiges über die Bedeutung von Schwermetall, über Zensur, über Haltung und über Solidarität und Nicht-Solidarität in der Comicszene. (CM)

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