Man nehme den Bestseller-Hunger von Erfolgsautor Sebastian Fitzek und die Comic-Expertise des Münchner Zeichners Frank Schmolke und lasse 200 Seiten köcheln. Ist dieses Rezept einer Comic-Adaption des Psycho-Thrillers Der Augensammler überzeugend?
Der Berliner Polizeireporter Alexander Zorbach hat sein freudloses Journalistenleben ganz der Berichterstattung über den so genannten „Augensammler“ gewidmet, einen Serienkiller, wie ihn nur die amerikanische Kriminalgeschichte oder ein Thrillerautor wie Sebastian Fitzek erfinden könnte. Zorbachs rechte Hand, der Volontär Frank Lahmann, unterstützt ihn bei seinen Recherchen, so gut er kann. Als abgehalfterter Ex-Polizist mit Alkoholproblemen, einer gescheiterten Ehe und einem beruflich bedingten Trauma kennt Zorbach die Vorgehensweise der Polizei und ist rasch am Tatort, als eine weitere Frau aufgefunden wird.
Der Augensammler tötet Frauen und entführt deren Kinder. In der Hand der Frauen platziert er eine Stoppuhr, die 45 Stunden runterzählt. Wenn die Zeit abgelaufen ist, ohne dass die Polizei die Kinder gefunden hat, müssen sie sterben. Seinen Namen hat der Psychopath sich redlich verdient, weil den aufgefundenen Kinderleichen das linke Auge fehlt.
Wähend Zorbach mit der blinden, vorgeblich hellseherisch begabten Alina, zu ermitteln beginnt, gerät er selbst in den Verdacht, der Augensammler zu sein. Seine Ex-Kollegen, ähnlich zwielichtig wie Zorbach selbst, haben keine allzu hohe Meinung von ihm, und dass seine Brieftasche an einem Tatort gefunden wird, stellt wirklich keine Entlastung dar.
Der Autor Sebastian Fitzek gehört zu den routiniertesten und erfolgreichsten deutschen Genre-Autoren. Sein Thriller Der Heimweg stand 2019 auf Platz 1 der Jahres-Bestsellerliste des Spiegels, aber auch sein humoristischer Ausflug in neue literarische Gebiete, Der erste letzte Tag (2021), eroberte die Spitze der Bestsellerliste auf Anhieb (und blieb dort monatelang). Ein Publikumsliebling also, vom Feuilleton hingegen wenig überraschend ignoriert oder wortreich gescholten. Jakob Biazza nannte ihn in der Süddeutschen Zeitung wegen seiner auffälligen Selbstinszenierung auf Literaturbühnen den „Thomas Gottschalk des Psychothrillers“. Ein Verkaufstalent ist er allemal, weit mehr als 10 Millionen verkaufter Bücher stehen zu Buche, und seine Titel sind (allesamt!) seit Jahren regelmäßig die Topseller hierzulande. Nun also eine Comic-Adaption seines Thrillers aus dem Jahr 2010.
Der Zeichner Frank Schmolke ist auch längst kein Unbekannter mehr. Nachdem sein Debüt Trabanten (2013) noch einigermaßen unter dem Radar der Kritik flog, erhielt er für seine folgenden Comics Nachts im Paradies (2019) und Freaks (2020) außerordentlich viel Anerkennung etwa von Christoph Haas in der Süddeutschen Zeitung oder von Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und auch von mir auf comic.de. Mit anderen Worten: Diese Zusammenarbeit lässt einiges erwarten.
Schmolkes jüngste Erfolgscomics lebten auch und besonders von dem rauen und expressiven Schwarzweiß-Stil, der den Stories Leben eimhauchte. Nun hat Schmolke seinen Comic selbst koloriert, und der Effekt entspricht der düsteren Stimmung von Fitzeks Handlung, ist aber weit entfernt von dem wilden Charme, der Spontaneität und Unvermitteltheit der Zeichnungen in Freaks und Nachts im Paradies. Ganz reizlos ist es nicht: Schmolke setzt die Farbhighlights sehr gewählt in seinen sehr überwiegend dunklen Szenen ein.
Abgesehen aber von den Zeichnungen hat Schmolke nicht nur für die grafische Gestaltung, sondern auch für den Plot seiner beiden letzten Comics viel Lob erfahren. Seine komplexe Darstellung von Außenseitern in Freaks übertraf die zeitgleich publizierte Netflix-Verfilmung um Längen. Indem er eine Geschichte von Thrillerpapst Sebastian Fitzek adaptiert, lässt er sich auf die literarischen Fähigkeiten Fitzeks voll und ganz ein. Oder in den drastischeren Worten des Literaturkritikers Denis Scheck:
„Sebastian Fitzek markiert den geistigen Ground Zero dessen, was in Deutschland derzeit geschrieben und veröffentlicht wird. Der Grobmotoriker unter den deutschen Thriller-Autoren ist nun schon so lange Stammgast auf den deutschen Bestsellerlisten, dass ich sogar vorschlagen möchte, dass ‚ein Fitzek‘ eine literarische Maßeinheit markiert für die größte anzunehmende literarische Peinlichkeit auf kleinstem Raum.“
Man darf natürlich fragen, ob Denis Scheck den richtigen Maßstab ansetzt. Arte ist kein RTL, Pilcher kein Pynchon und Fitzek klingt nur zufällig nach Fitzcarraldo. Fitzek-Fans würden Schecks Kritik entgegenhalten, dass der Erfolg ihm doch schließlich recht gebe. Nun ist das Argument, „Wer es verkauft, hat Recht“, allerdings nicht so überzeugend, wie es auf den ersten Blick aussieht, immerhin würden wir Gummibärchen, Cola oder Zigaretten auch nicht als ‚gute Ernährung‘ bezeichnen, nur weil sie erfolgreich kommerzialisierte Konsumgüter sind. Wie ist es aber, wenn wir Gummibärchen nach Gummibärchenmaßstaben beurteilen? Oder in diesem Fall: Sind die Figuren interessant? Ist die Detektion nachvollziehbar? Ist die Geschichte spannend?
Ob Scheck übertreibt oder nicht – es lässt sich nicht übersehen, dass Der Augensammler sich diverser Klischees bedient: Der abgewrackte Ermittler Zorbach mit seinen Alkohol-, Sex- und Familienproblemen, dann der in seiner Kindheit vom Vater vernachlässigte Serienmörder und die bei den Leser*innen geschürten Zweifel, ob der Held nicht doch der Killer selbst sei – Fitzek bedient sich mit wenig Phantasie des Genrerepertoires des Serienmörderthrillers, und ein wirkliches Interesse für komplexe oder widerspruchsvolle Figuren, deren Motive und Schicksale kommt dabei kaum auf. Die ermittelnden Polizisten sind korrupt, weil sie es eben sind. Die blinde Seherin ist blind und zugleich hellsichtig, weil sie es eben ist. Punkt.
Auch irritiert manche abrupte Leerstelle in der Handlung: Als Zorbach von Alina erfährt, dass der Augensammler gerade eben bei ihr gewesen sei, hält Zorbach ein Panel später bereits die Überwachungsvideos der benachbarten Galerie in den Händen: „Ich hab mir die Festplatte besorgt – Pflasterstein.“ Offenbar ist ein ganzer Tag vergangen, aber als Leser*in erhält man in Text und Bild keinerlei Hinweis darauf, dass viel Zeit vergangen ist.
Die Szenenwechsel nachzuvollziehen fällt nicht immer leicht, weil man spekulieren muss, ob es sich um einen Schauplatzwechsel, eine Rückblende oder eine Vision der hellseherisch begabten Alina handelt. Insgesamt überzeugt der Augensammler daher leider nicht, das vermeintliche Erfolgsrezept geht nicht auf.
Man muss dem Comic zugutehalten, dass es ihm trotz der vielen Mankos gelingt, Spannung aufzubauen. Ob das aber reicht, um über die Fitzek-Community hinaus Begeisterung für den Augensammler zu entwickelt, kann ich mir nicht so recht vorstellen.
Fünf Fitzek a la Scheck
Splitter Verlag, 2021
Text und Zeichnungen: Sebastian Fitzek, Frank Schmolke
200 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 35,00 Euro
ISBN: 978-3-96792-177-9
Leseprobe