Haben Reptiloide die Mondlandung fingiert? Wurde Barack Obama in Kenia geboren und muslimisch erzogen? Sind wir alle verrückt geworden? In The Department of Truth würfeln James Tynion IV und Martin Simmonds alles durcheinander.
Nichts ist so, wie es scheint. „Oben ist unten und unten ist oben.“ Was nach der Gehirnwäsche in George Orwells Roman-Dystopie 1984 (auch mehrfach als Comic adaptiert) klingt, ist auch durchaus so einzuzordnen, wenngleich das dortige Ministry of Truth eine staatliche Propagandainstitution ist, wohingegen das Department of Truth noch wesentlich dubioser ist. In der Welt von The Department of Truth streiten zwei geheime Geheimstorganisationen, die titelgebende Einrichtung und eine Gruppe mit dem Tarnnamen „The Black Hat“ um die Deutungshoheit über politische Schlüsselereignisse: Wer hat John F. Kennedy ermordet? Wo wurde Barack Obama geboren? Sind die Amerikaner wirklich auf dem Mond gelandet?
Das Besondere an dieser Wahrheitssuche besteht darin, dass Wirklichkeit hier ein sehr demokratisches Konstrukt ist, d.h. es manifestiert sich als Wahrheit, woran eine Mehrheit glaubt: „Gäbe es genug Kinder auf der Welt, müssten wir jedes Jahr den Weihnachtsmann töten. Zum Glück ist das nur ein- oder zweimal passiert.“
Der amerikanische Journalist Cole Turner interessiert sich für die Aktivitäten der amerikanischen White Supremacists und besucht in diesem Kontext eine Konferenz von Flatearthern, also von Menschen, denen ein runder Erdball viel zu unwahrscheinlich erscheint, so dass sie an die Scheibentheorie glauben. Cole gerät tiefer in diese Gesellschaft, als es ihm lieb gewesen wäre und erhält einen Einblick in das verführerische Denken dieser Menschen. Schließlich aber wird er von dem Department of Truth rekrutiert und ohne Vorwarnung oder Ausbildung zu einem Agenten gemacht. Für die Wahrheit. Gegen die Lügen. Was aber Wahrheit oder Lüge ist, welcher der beiden Organisationen wir unser Vertrauen schenken sollten, bleibt offen.
Comics, die sich mit Alternativen Realitäten bzw. mit Fake News und Verschwörungsnarrativen auseinandersetzen, haben derzeit Konjunktur. Falsche Fährten von Duhamel (hier rezensiert für Comic.de) und Fake Story von Jean-Denis Pendanx und Laurent Galandon sind nur zwei Beispiele unter vielen. James Tynion IV und Martin Simmonds kleiden dieses gesellschaftliche Gegenwartsthema in ein angsteinflößendes Horrorgewand.
Das Artwork von Martin Simmonds zeigt deutliche Parallelen zu den verstörenden Bilderwelten von Bill Sienkiewicz (Stray Toasters, Moby Dick). Die Bilder zerfallen in Fragmente wie die Scherben einer Welt, die solange intakt war, bis ein bösartiger Gott sie aus Lust an der Zerstörung zerschmetterte. Diese Welt ist zerkratzt, von Farbklecksen übersät, geritzt und verschmiert, und unter dieser schmutzigen Oberfläche könnte alles mögliche stecken. Dieser visuelle Ansatz lässt sich durchaus auf das Thema beziehen, insofern die Realitätswahrnehmung von Verschwörungsgläubigen ähnlich wild strukturiert sein mag. Wer unablässig an den Bildern kratzt, um die dahinter vermuteten Wahrheiten zu finden, wird vielleicht am Ende etwas in den Händen halten, das wie Martin Simmonds The Department of Truth aussieht. Auch dass die Konturen der kantigen Sprechblasen durchgehend nicht deckungsgleich mit den Weißflächen sind, erzeugt so einen Hier-stimmt-doch-etwas-nicht-Effekt.
Der sehr naheliegende Sienkiewicz-Vergleich ist natürlich eine Würdigung, lastet aber notwendigerweise auf Simmonds, denn die fantastischen Kunstwerke von Sienkiewicz, die Arrangements vor allem in dessen Meisterwerk Stray Toasters (hier rezensiert für Comicgate) sind ein anspruchsvoller Maßstab. Und so ganz gerecht werden Simmonds Zeichnungen dem Vorbild dann eben doch nicht, weil sie dessen Vielfalt nicht erreichen und der irritierende Effekt, den Sienkiewicz durch die Kombination verschiedener Techniken erzielt, schlichtweg ausbleibt. Das Worldbuilding erfolgt vor allem in den Dialogen, und so beobachten wir seitenweise Köpfe mit Sprechblasen. Nun könnte man sagen, das die Welten von Verschwörungsgläubigen sich nun einmal vor allem in deren Köpfen abspielen, aber so ganz kann das den Talking-Heads-Vorwurf nicht wegwischen. Nichtsdestotrotz: Simmonds hat bereits bewiesen, dass das Horrorgenre ihm liegt (Dying is Easy, mit Joe Hill, 2020), und sein Ansatz funktioniert auch hier.
Nach dem ersten Band, der die Hefte #1–5 umfasst, sind mir die Zusammenhänge im Einzelnen aber noch nicht klar. Tynion wirft viele Zutaten in seinen brodelnden Topf: Lee Harvey Oswald, Reptiloide, die Flatearther und Birther, Pizzagate, Illuminati und die Men in Black und so weiter und so fort. Es mag in der Natur von Verschwörungsnarrativen liegen, dass die dafür Empfänglichen manche Leerstellen hinnehmen, für einen Comic über ebensolche ist es aber eine Herausforderung, das Verfahren zu kopieren. Die Serie, die seit September 2020 im Original bei Image Comics erscheint, ist derzeit bei #21 angelangt, so dass uns auch bei Splitter noch einige Bände erwarten sollten. Band 2 (Die Stadt auf dem Hügel) ist seit Kurzem erhältlich.
Zu wahr, um schön zu sein
Splitter Verlag, 2022
Text und Zeichnungen: James Tynion IV, Martin Simmonds
Übersetzung: Katrin Aust
144 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-96792-254-7
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