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Brennendes Herz 1 – Der wandernde Pfad

April 1625, Atlantischer Ozean. Ein englischer Freibeuter rettet einen schiffbrüchigen Franzosen. Der wollte alleine mit einem kleinen Boot den Atlantik überqueren, was nicht lange gut ging. Aber auch die Gefangenschaft des Franzosen währt nicht lange, nur etwa eine Stunde. Ein französisches Prunkschiff taucht auf, die Freibeuter bringen sich schon in Stellung, um es auszurauben und zu versenken, da reißt sich der Franzose los, begibt sich in die Sainte-Barbe, die Pulverkammer, und verursacht eine vernichtende Explosion. Natürlich übersteht unser Franzose auch das und wird nun wiederum von den Franzosen aufgenommen, die  eine wichtige Nachschublieferung nach Neu-Frankreich, in die neue Welt, bringen.

Der Anfang. Tatsächlich hat Grandpin schon mehrere Existenzen hinter sich und weiß nicht, dass sein wahres Leben erst noch vor ihm liegt. Alle Abbildungen © Finix-Comics

Ganz schön turbulent also, was schon auf den ersten Seiten von Brennendes Herz passiert, einer Abenteuerserie von Patrick Cothias und Jean-Paul Dethorey, mit der der Finix-Verlag eine wichtige Lücke schließt. Brennendes Herz ist das fehlende Glied zwischen den beiden von André Juillard gestalteten Serien Die 7 Leben des Falken und Wie eine Feder im Wind. Darin wurden zwar die Abenteuer der Baronin Ariane de Troil vollständig erzählt, aber Patrick Cothias hat mit dem Falken-Universum einen Erzählteppich gewoben, der für mehr als eine Hauptfigur reicht.

Den eingangs erwähnten Franzosen, der so frech von einem Schiff zum anderen hoppt, um nach Amerika zu kommen, kennen wir bereits vom ersten Band von Die 7 Leben des Falken. Es handelt sich um den Soldat Germain Grandpin, dem vom Sohn König Heinrichs IV gleich bei seiner ersten Szene das Ohr abgeschossen wird. (Dem Prinz war danach, ein bisschen auf Männchen zu schießen.) Im Verlauf der Geschichte entfaltet sich Grandpin zu einem wichtigen Handlungsträger: In seiner Jugend war er ein Kampfgefährte des Mannes, der später als Roter Falke den Rächer der Entrechteten gibt, dann ist er Oberster Vertrauter von König Heinrich von Navarra (Handlungsbogen in Die 7 Leben des Falken). Nach dessen Ermordung entgeht er knapp der Hinrichtung (er war zu vertraut mit dem König), stattdessen verbringt er mehrere Jahre als Gefangener in der Bastille. Als er nach Jahren der Gefangenschaft im Zuge einer Generalamnestie entlassen wird, kreuzt sein Weg Ariane von Troil, die er vergewaltigt – eine Tat, die er sich später nicht mehr verzeihen kann.

Grandpin sucht seinen alten Bekannten Baron von Troil auf und erfährt sogleich, wer es war, den er vergewaltigt hat, da er auch Ariane wieder begegnet. Sie nutzt dessen Freundschaft zum Baron als Druckmittel, erpresst ihn mit dem schrecklichen Geheimnis, das die beiden verbindet und erzieht Germaine so zu ihrem willigen Werkzeug. Die Vergewaltigung bereut er bald; stattdessen beginnt er, Ariane abgöttisch zu lieben, auch wenn der Start ihrer Bekanntschaft eine Verletzung bleiben wird, die nie heilen wird. Dass Ariane bei einem Duell getötet wird treibt Germaine schier in den Wahnsinn – noch dazu von dem Mann, mit dem er in seiner Jugend befreundet war und der – noch viel schlimmer – Arianes leiblicher Vater war. Arianes Vater reist nach dieser schrecklichen Tat für immer nach Neu-Frankreich. Grandpin beschließt, ihn zu verfolgen und Ariane zu rächen.

Soweit die Ereignisse aus Die 7 Leben des Falken. Was für eine Tragödie!

Es war durchaus vermessen von Patrick Cothias, als er entschied, dass sein Die 7 Leben des Falken (1983 bis 1991) nur der Grundstein für einen wesentlich größeren Erzählkosmos sein sollte. Bereits 1991 erschien das erste Album von Coeur Brúlé, wie Brennendes Herz im Original heißt, in dem die weiteren Abenteuer von Grandpin erzählt werden. Ariane von Troil durfte man zu diesem Zeitpunkt noch lange für tot halten, erst 1995 eröffnete Cothias, diesmal wieder zusammen mit André Juillard, die Nachricht, dass Ariane überlebt hat und ihrerseits auf Mörderjagd in die neue Welt geht, jedoch nicht wie Grandpin aus Rache, sondern um ihren Vater zur Rede zu stellen, ihn vielleicht auf gewisse Weise wieder auf „die helle Seite der Macht“ zu bringen (manchmal erinnert die schicksalshafte Konstellation tatsächlich an Star Wars).

Erläuterungstexte in Comics nerven ja oft. Hier aber schafft die Info über den Jesuiten, von dem man weiß, dass er ein Martyrium durchläuft, eine interessante erzählerische Ausgangsbasis. Jean de Brébeuf wird eine wichtige Nebenfigur in Brennendes Herz werden.

Viele Jahre lang waren die Leser völlig damit zufrieden, dass neben Die 7 Leben des Falken auch die Fortsetzung Wie eine Feder im Wind auf deutsch erhältlich war. Ich hielt die Wiederbelebung von Ariane damals ja tatsächlich für einen kommerziellen Stunt, mit dem Cothias und Juillard ihren größten Erfolg noch etwas verlängern wollten. (Ähnlich hatte 1984 der Romanautor David Morrell seine Figur Rambo für die Romanversion von Rambo 2 wieder zum Leben erweckt, obwohl die Figur, anders als im Film, am Ende seines ursprünglichen Romans First Blood ums Leben kam). Auch empfand ich es als eine recht rasch erzählte Wendung, dass gegen Ende von Wie eine Feder im Wind Germain Grandpin wie ein Deus Ex Machina auftaucht und wieder eine wichtige Rolle einnimmt, zumal er einen Rucksack an unbekannter Backstory mit sich schleppt.

Na gut, dachte ich, ist eben die Fantasie des Lesers gefordert. Dass es diese Backstory aber tatsächlich bereits gab, diese jedoch nur noch nicht ins Deutsche übertragen war, das blieb deutschen Lesern und Leserinnen lange verborgen. Für uns blieben es für lange Zeit einzig und ausschließlich die Abenteuer der Ariane von Troil, geschaffen in künstlerischer Einheit durch Patrick Cothias und André Juillard. Dabei ist es eine erfreuliche Abwechslung, in Brennendes Herz einen anderen Künstler am Werk zu sehen. Dethorey zeichnet ungezähmter, wilder, weniger formstreng als Juillard.

In Brennendes Herz 3 wird es einen weiteren Zeichnerwechsel geben, wenn Meral den Zeichenstift von Dethorey übernimmt, der einen noch roheren, primitiveren Strich führt. Ich weiß, dass diese künstlerische Entscheidung nicht unumstritten ist und dass es einige Leser gibt, die sich wünschten, dass doch am besten alles von Juillard wäre. Dem Setting, das sich mehr und mehr weg von der Zivilisation hin zu ungezähmten Regionen verschiebt, verträgt aber einen wilderen, entfesselten Strich.

Es ist ein Geschenk, dass Finix sich dazu entschieden hat, Brennende Hezen zu veröffentlichen. Erst jetzt erkennt man, was für eine feste erzählerische Einheit Die 7 Leben des Falken, Brennendes Herz und Wie eine Feder im Wind bilden. Es gibt weitere Serien dieses ausufernden Erzählkosmos, aber sie sind weniger stark in die Plotlinie um Ariane von Troil eingewoben. Als singuläre Serie bereitet Brennendes Herz auch ohne Vorkenntnisse Vergnügen. Wer es liest, der wird auf kurz oder lang aber sicher auch die Vorgeschichte haben müssen.

Die wichtigste Veröffentlichung eines Klassikers der letzten Jahre

10von10Brennendes Herz 1 – Der wandernde Pfad
Finix, 2024
Text: Patrick Cothias
Zeichnungen:  Jean-Paul Dethorey
Übersetzung: Saskia Funke
48 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 17,80 Euro
ISBN: 978-3910965195
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