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Sláine 7: Die Hexenkönigin – Genial oder verantwortungslose Propaganda?

Früher, in unschuldigeren Jahren, hätte ich einen Comic wie Sláine – Die Hexenkönigin als Barbarencomic mit Anspruch gelesen. Heute wittere ich Politik mit manipulativer Schlagseite zwischen den Zeilen.

Sláine McRoth. Erster Großkönig von Irland. Zeitreisender der Göttin. Alle Abbildungen © Dantes Verlag

Auf alle Fälle wirkt Sláine – Die Hexenkönigin deutlich politischer als der großartige Vorgänger Sláine – Der gehörnte Gott, wenn „politisch“ überhaupt das richtige Wort ist. Pat Mills wirkt getrieben, will etwas von bleibendem Wert vermitteln, unterhaltsam, aber immer mit Seitenhieben gegen das Establishment. Das war ihm auch schon in Charley’s War, seiner großartigen Comicserie über den Ersten Weltkrieg, ein wichtiges Anliegen, denn folgt man Pat Mills‘ Argumentation, war es das Establishment, das den braven Mann von der Straße in die Schützengräben nach Verdun brachte.

Und was kann der brave Mann von der Straße besseres machen als aufzustehen und sich zu wehren? Ein Autor wie Mills kann aber auch dann nicht von seinen politischen Ansichten lassen, wenn es sich um Fantasy-Storys über keltische Barbaren handelt. In Sláine – Die Hexenkönigin nimmt das in Teilen durchaus bedenkliche Züge an.

Über die Vorgängerstory Sláine – Der gehörnte Gott schrieb ich 2019:

„Die Grafik von Simon Bisley ist unbeschreiblich kreativ und opulent und doch stets im Dienst von Pat Mills‘ ambitionierter Story um seinen zum König gekürten Sláine, der sich aufmacht, zum gehörnten Gott aufzusteigen. Sein großes Ziel ist es dabei, für die Rückkehr des Matriarchats zu kämpfen. Aber ist er wirklich in der Lage, seine toxische Männlichkeit abzustreifen? Oder ist er trotz allem nur ein Sprücheklopfer, der mit der Erdgöttin Danu unter die Bettdecke will? Mit solchen Fragen bleiben die Geschichten um Slaine, diesem gegen den Strich gebürsteten Conan, spannend bis zur letzten Seite.“

Die Hexenkönigin

In der Fortsetzung Sláine – Die Hexenkönigin, 2020 bei Dantes erschienen, treffen wir einen Sláine an, der alles gewonnen hat: Das Matriarchat hat sich durchgesetzt, Sláine ist erster Hochkönig von Irland, das Land ist im Frieden, und damit das so bleibt, gibt es ab und an ein Menschenopfer, das der Geopferte selbstredend und mit größter Opferbereitschaft gerne gibt. „Wie ich den Tag herbeisehne“, sagt Sláine.

Bevor aber auch Sláine seiner rituellen Opferung nach sieben Jahren Herrschaft entgegentritt, erleben wir ihn noch in einer lustigen kleinen Geschichte über Sláines eheliche Untreue und wie die Stammesgesellschaft dafür sorgt, dass der König und seine Frau ihre würdelosen Streitereien gefälligst beilegen. Ich halte ja diese nette Alltagsgeschichte, die das Fremdartige der Keltenkultur einmal etwas weniger morbide nachzeichnet, für den Höhepunkt des Bandes. Es ist wirklich schade, dass die erste deutsche Sláine-Ausgabe, damals in den 1990ern bei Feest, meinte, darauf verzichten zu können. Dabei ist der Blick aufs Alltägliche und Menschliche das eigentliche Herz der Saga. Es ist ein seltener Blick auf ein politisches Miteinander, das auch ohne ständige Gewaltbereitschaft oder Verweise auf Menschenopfer auskommt.

Dann aber kommt das siebte Jahr: Sláine begibt sich bereitwillig auf den Opferaltar und nach alter Sitte möchten sich auch seine Frauen und Geliebten nur zu gerne mit ihm verbrennen lassen. Die morbide Begeisterung für den Totenkult wird von Mills mit Humor gebrochen, als Sláine sich stattdessen dafür entscheidet, dass er doch am liebsten Ukko, den Zwerg an seiner Seite geopfert sehen möchte; auch im Jenseits braucht man schließlich etwas Spaß und ab und zu einen Zwerg zum Verprügeln. Aber der feige Nichtsnutz möchte lieber leben.

Göttliche Intervention richtet es: Danu, die Erdgöttin höchstselbst erscheint und verfügt, dass Sláines Leichnam in den Zauberkessel gegeben werden soll, damit er in einer anderen Zeit weiterleben kann. Das Reich benötigt den größten aller Krieger noch in der Zukunft. Um Ukko die Reise an Sláines Seite ebenfalls schmackhaft zu machen, verspricht die Göttin dem Zwerg „Wege aus Gold“ auf der anderen Seite, woraufhin Ukko mit einem Hechtsprung in den Kessel seinem alten Herrn folgt. (Man musste nicht einmal mehr das Messer ansetzen.) Und so verlassen wir die düstere Keltengesellschaft des ersten Zyklus und finden uns Tausende Jahre später wieder, als gerade die Römer daran sind, die britischen Inseln zu unterwerfen. Aber jetzt ist ja Sláine da.

Hexenkult und Beltanefeuer.

Was nun folgt, war schon 1992/93 harter Stoff und ist heute kaum noch genießbar: Sláine und Ukko finden ihren Weg zu Boudicca, der Hexenkönigin, einer historischen Figur, die wie Vercingetorix und Arminius gegen die römische Herrschaft rebelliert hat. In Sláine schart Boudicca die Kelten der Insel um sich, um die römischen Invasoren zurück ins Meer zu werfen. Die Römer hingegen haben dämonischen Beistand durch Elfric, einen alten Feind Sláines aus früheren Geschichten. Elfric stachelt die Römer an, die Hexen während eines religiösen Rituals in deren Heiligen Hain zu überfallen und den Hain niederzubrennen.

Dazu ein Stimmungsbild, wie die Legionäre das Ritual in Sláine wahrnehmen:

„Auf der Insel erstarrten sie angesichts dessen, was sich ihren Augen darbot. Blutiges Menschenfleisch hing an den Bäumen. Meine Schwestern bliesen auf ihren Knochenflöten und vergnügten sich mit toten Körpern, um die dunkle Seite der Göttin zu erfreuen und zu ehren.“

Obwohl die Römer zuerst zögern, vernichten sie, was sie nicht verstehen, woraufhin die vertriebenen Hexen, jetzt mit Sláine an ihrer Seite, Rache schwören. Während die edlen Kelten aber stets mit oberster Integrität und Opferbereitschaft handeln, sind die Römer dekadent und verdorben gezeichnet. Wie Parasiten saugen sie das Land aus, um dann auf ihren Landsitzen Orgien zu feiern. Um bei der Völlerei nicht mehr kotzen zu müssen, essen sie Bandwürmer, die ihnen noch maßloseres Fressen ermöglichen, und sie haben den Dämon Elfric auf ihrer Seite, der seine eigene Agenda hat und blutige Gemetzel provoziert, weil Chaos sein Lebenselixier ist.

Pat Mills erzählt gerne, dass er den alten Sagas gerecht werden möchte und arbeitet viel angelesenes Wissen ein. In seiner autobiografischen Schrift Kiss My Axe! Sláine the Warped Warrior: The Secret History macht er dabei keinen Hehl aus seiner Verachtung gegenüber griechischen Sagen und modernen Aneignungen römischer Geschichte, die den Römern zu viel Sympathie entgegenbringen:

„Man muss sich nur umsehen: die Propaganda ist überall. Die Häuser der renommierten Sherborne Prep-School sind in Normannen, Römer, Griechen und Trojaner unterteilt. Es herrscht immer noch die Bewunderung für die imperialen Eroberer. Wie wäre es mit Kelten, Pikten, Galliern und Icenern, um unsere Vergangenheit zu ehren? Aber das wären viel zu ungehorsame und rebellische Vorbilder für Kinder, die neben ihren akademischen Studien vor allem den Gehorsam gegenüber Autoritäten lernen sollen. Es ist die Bewunderung für Imperien, die die Wilden zivilisierten (und ausbeuteten).“ [siehe Anmerkung 1]

Pat Mills glänzt hier mit einer fast schon paranoiden Argumentation, die sich mit Internet-Recherche nicht so einfach validieren lässt. Der einzige Wikipedia-Eintrag, der die Einteilung in die Häuser „Normans“, „Romans“, „Greeks“ und „Trojans“ bestätigt, ist ohne Beleg. Gehe ich direkt auf die Seite der Sherborne School, die inzwischen mit der Prep School fusioniert hat (war sie nicht schon immer), finden sich dort die Häuser „School House“, „Abbey House“, „The Green“, „Harper House“, „Wallace House“ (früher: „Elmdene“), „Abbeylands“, „Lyon House“, „The Digby“. Die bestätigen Mills vorgefertigte Meinung aber leider nicht.

Die Knochen der Feinde liegen so zahlreich auf den Feldern, dass sie Häuser davon bauen.

In seinen Sláine-Comics seit 1983 ist es Pat Mills und den diversen Künstlern oft auf hohem Niveau gelungen, einen reizvollen, Mills selbst sagt: „punkigen“, auch authentischen Gegenentwurf zu den Geschichten zu präsentieren, mit denen er so gar nichts anfangen kann. Aber mit „Die Hexenkönigin“, der Geschichte über die direkte Konfrontation zwischen den Kulturen, treibt er die Ablehnung auf die Spitze. Die Römer bringen buchstäblich den Teufel ins Land, die Kelten sind ebenfalls Teufel, aber von eigenem Blut und Boden. Sláine – Die Hexenkönigin zelebriert Grausamkeit mit fast schon kindlicher Freude und überzeichnet dabei so maß- wie schamlos. Höhepunkt der Story ist das Massaker der keltischen Krieger an der römischen Stadt Colchester, wo römische Siedler bereits Familien gegründet haben, um auch ziviles Leben zu etablieren. Wie die Xenomorphen von LV-426 fallen die Kelten über die überforderten Invasoren her.

„Auch die Frauen und Kinder der Veteranen werden nicht verschont. Einige werden grausam verstümmelt und aufgespießt. […] Es heißt Sláine alleine habe dreihundert Männer, Frauen und Kinder getötet … und ihre Zahl sei ihm nicht zu hoch erschienen.“

Und mit den Knochen der Feinde düngen sie die Felder, und weil es noch mehr Knochen gibt, bauen sie daraus Gefängnisse zur Abschreckung, die tatsächlich etwas Xenomorphes an sich haben.

Der damalige Sláine-Künstler Glenn Fabry war nicht besonders begeistert von der Richtung, die die Figur zu diesem Zeitpunkt einschlug und beendete seine Mitarbeit kurz danach. Jahre später aber sagte Fabry zu Pat Mills:

„Wir haben uns über ‚Demon Killer‘ zerstritten, weil du damals geschrieben hast, Sláine […] töte Frauen und Kinder. Ich war damals frischgebackener Vater und konnte das nicht ertragen. Jetzt verstehe ich es besser.“ [2]

Die letzten Worte markieren, dass Fabry inzwischen seinen Frieden mit der Story gemacht hat und anerkennt, dass auch Pat Mills Skrupel mit der Geschichte hatte. Mills wollte nicht den einfachen Weg gehen, wollte seinen Helden nicht unrealistisch heroisieren.

Dazu Mills in „Kiss My Axe“:

„Für gewöhlich würde ein Comicheld niemals etwas so Unheldenhaftes tun. Er würde eher sogar versuchen, das Blutvergießen zu stoppen oder zumindest Frauen und Kinder zu verschonen. Aber ich wusste, dass die Kelten und ihre Göttin nicht so gnädig waren – und ich wollte authentisch sein.“ [3]

Pat Mills versetzt sich ein ganzes Stück weit in eine fremde Mentalität, die sich zumindest authentisch anfühlt. Eine ähnliche Vorgehensweise konnte man auch bei Robert Eggers Film The Northman (2022) erleben, der das Hineindenken in das Fremde in seinem topmodernen, herausfordernden Film meisterlich zelebriert. Mills aber zerschellt fast an der völligen Überzeichnung der dämonischen Anteile der Story, was immerhin die Frage gestattet, ob man Krieg im Innersten vielleicht nur verstehen kann, wenn man einsieht, dass Feindbilder vielleicht zwangsläufig dämonisch aufgeladen sein müssen. Erst muss man ihnen das Menschliche absprechen, dann kann man den Feind mit reinem Gewissen töten.

Pat Mills ist bekennender Marxist, der im Grunde seines Herzens immer politische Comics macht, und in Sláine – Die Hexenkönigin wird das besonders deutlich, steht doch der Kampf gegen den Unterdrücker hier besonders im Fokus. Am Ende aber ist der Aufstand von Boudicca und Sláine vergeblich und die grenzenlose Eskalation endet in der Zerstörung weiterer keltischer Heiligtümer und zigtausender Toten; Sláine und Boudicca beenden schließlich ihren eigenen Kampf durch die rituelle Einnahme von Gift. Sláine als Held ist in dieser Geschichte besonders grausam und gewinnt trotzdem wenig. Vielleicht ist das die eigentliche Moral der Geschichte, und es ist nicht das schlechteste Fazit, das gezogen werden kann. Die Göttin aber ist Sláine trotzdem dankbar, weil die Römer nach Boudiccas Wiederstand die Schnauze voll haben und von einem Überfall Irlands absehen.

„Es ist nur der Tod.“

Bei aller Blutigkeit federt dennoch immer wieder comic relief die grellsten Spitzen ab und bricht die Story mit Humor, bevor der politische Ballast die Geschichte zu erdrücken droht. Sehr schön die Episode, in der der Zwerg Ukko den Römern druidischen Mutterkorn-Kuchen verhökert und dafür von Sláine zum Tod im Wicker Man verurteilt wird. Dem streng-idealistischen Sláine ist nicht ohne Grund stets der materialistische Ukko gegenübergestellt, was den Geschichten an den entscheidenden Stellen die Schärfe nimmt und vielleicht sogar einen Ausweg aus der Ideologie-Falle gestattet. An diesen Stellen ist Mills auf eine ähnliche Weise politisch, wie es Sergio Leone in seinen Western war. Das Ideologische kippt um und wird zur Farce.

Auch Ukkos Hoffnung darauf, dass er endlich Sex haben könne mit der von ihm so verehrten Priesteranwärterin Nest, gehört dazu, denn „um die Göttin wirklich zu verstehen“, musste Nest bereits von den widerlichsten Speisen kosten, verbotene Flüssigkeiten versuchen und mit Leichen auf Gräbern tanzen – aber jetzt steht die letzte Prüfung an. Sie soll sich dem abstoßendsten, unflätigsten Bewohner der ewigen Festung hingeben:

„Der Erkenntnisgewinn ist es wert. Ich will Mutter Natur verstehen.“

Deine Chance, Ukko!

Die Welt steht Kopf: Ausgerechnet dem Narren fällt es zu, als einziger Worte der Mäßigung und der Reflexion zu finden. Es ist vor allem diese Ironie, die ich an Pat Mills so schätze.

Aber es kommt natürlich anders als erwartet, denn Ukko ist eben doch nur der Zweitunflätigste, nur beinahe der Hässlichste und manchmal sogar erschreckend vernünftig. Vor allem aber zieht Pat Mills den keltischen Blut- und Opferkult auf das Niveau der Burleske herunter. Mills und Dermot Power schütteln das Grauen der Geschichte ab und erzählen, was ein echter Kelte eben doch noch lieber tut als töten: nämlich saufen, raufen, vögeln, derbe Witze erzählen. Keiner weiß das wie Pat Mills. Er ist eben auch ein echtes Kind der Insel. Als Chronist der Ereignisse kann er es glatt mit Ukko aufnehmen.

[1] „If you look around, you will find the propaganda everywhere. Thus today the school houses of the prestigious Sherborne preparatory school are named Normans, Romans, Greeks and Trojans, in admiration for imperial invaders. Not Celts, Picts, Gauls and Iceni, to honour our past. They would be far too unruly, far too rebellious to act as role models for children who need, above their academic studies, to be taught obedience to authority in admiration for empires who civilised (and exploited) the savages.“

[2] „The reason why we fell out on ‚Demon Killer‘ was this, there were things you wrote, Sláine […] killing women and children. At the time I was a new father, couldn’t take it. Now I understand.“

[3]„Usually in comics, the protagonist would never do anything so unheroic. He might even try and and stop the bloodshed, or at least spare the women and children. But I knew the Celts and their Goddess were not that merciful and I wanted to be authentic.“

Sláine 7: Die Hexenkönigin
Dantes Verlag, 2019
Text: Pat Mills
Zeichnungen: Glenn Fabry, Greg Staples, Dermot Power
Übersetzung: Jens R. Nielsen
148 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 29 Euro
ISBN: 978-3946952367
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